Die SPD triumphiert und gewinnt bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen zusätzlich eine Kanzlerkandidatin. Das Wahlergebnis zeigt: Rot-Grün ist doch eine Machtoption.
An diesen Wahlabend wird man noch lange zurückdenken. Nicht nur, weil die FDP mit 8,3 Prozent der Wählerstimmen (ARD-Hochrechnung) ihre Wiederauferstehung vom Umfrage-Tod feiern kann. Oder weil sich die Piraten (7,7 Prozent, ARD) endgültig als eine politische Kraft etabliert haben. Oder weil die Linke (2,8 Prozent, ARD) ihre Quittung dafür bekam, dass sie sich schon viel zu lange mit sich selbst beschäftigt. Nein, dieser Sonntagabend wird vor allem deshalb im Gedächtnis bleiben, weil er die Geburt einer neuen Kanzlerkandidatin für die SPD markiert.
Aus dem Männertrio Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück ist nach diesem SPD-Wahlerfolg (38,8 Prozent, ARD) in Nordrhein-Westfalen ein Quartett geworden. Denn Hannelore Kraft hat bei dieser «kleinen Bundestagwahl» nicht nur den Beweis erbracht, dass Rot-Grün (immer noch) eine realistische Machtoption ist – trotz aller Konkurrenz der Piraten und der Auflösung der klassischen Wählermilieus. Sie hat erneut gezeigt, dass die SPD verlorene Wähler zurückgewinnen und kräftig zulegen kann. In NRW ist das seit der Wahl von Gerhard Schröder zum Bundeskanzler noch keinem Sozialdemokraten gelungen.
Kraft gegen Merkel?
Krafts Erfolgsrezept in diesem Wahlkampf bestand dabei weniger aus einem überzeugenden Politikangebot als vielmehr daraus, dass sie es verstand, dem Wähler den Eindruck zu vermitteln: «Die weiss, was sie tut.» Damit unterscheidet sie sich wohltuend von Gabriel (tut alles, was er weiss), Steinmeier (weiss alles, was Merkel will und tut es) sowie Steinbrück (weiss alles besser). Gegen Hannelore Kraft wird in den kommenden Monaten in der SPD nicht viel zu bewegen sein. Wenn sie ihre neue Macht klug einsetzt, wird ihr Ende des Jahres die Kanzlerkandidatur der SPD nur schwer zu nehmen sein. Ein Duell Angela Merkel vs. Hannelore Kraft bei der Bundestagswahl – das wäre ein Wahlkampf, der das Land elektrisieren könnte.
Auch der CDU wird dieser Wahlsonntag noch lange nachhängen. Nicht nur, weil sie mit 26,1 Prozent der Wählerstimmen ein dermaßen katastrophales Ergebnis eingefahren hat, dass der Spitzenkandidat Norbert Röttgen noch vor der ersten Hochrechnung seinen Rücktritt erklärte und die CDU erneut um ein Nachwuchstalent ärmer ist. Sondern auch, weil sich die Konservativen in dem grössten Bundesland innerhalb von nur zwei Wahlen nahezu halbiert haben. 2010 verloren sie zehn Prozent der Wählerstimmen, jetzt lagen die Verluste erneut in dieser Größenordnung. Das kann nicht nur an der Paddeligkeit des Kandidaten Röttgen gelegen haben, der sich zum Wahlkampfauftakt nicht für NRW entscheiden mochte und im Wahlkampf kaum einen Fehler ausließ. Da ist etwas ins Rutschen gekommen. Möglicherweise trifft die CDU die Auflösung der klassischen Milieus härter als ihre Konkurrentin SPD.
Nicht dafür, nicht dagegen
Die Linkspartei schliesslich steht nach diesem Wahldesaster nun tatsächlich am Abgrund. Aus ihrer bundesweiten Verankerung zog sie einst ihre Glaubwürdigkeit als politische Alternative. Die ist nun schwer erschüttert. Die Linke war eine Partei, mit der die Konkurrenz zwar nicht rechnen mochte, es gleichwohl aber musste. Das ist nun vorbei, im Westen ist sie nur noch in Hessen und Niedersachen in Parlamenten von Flächenländern vertreten. Die Partei ist auf dem besten Wege, sich zu einer ostdeutschen Klientelpartei zurückzuentwickeln.
Chancen für die Linke gab es genug, die meisten wurden verschenkt, zuletzt in NRW. Denn statt – wie beispielsweise einst in Sachsen-Anhalt – eine Minderheitsregierung verlässlich zu tolerieren, gab es im Düsseldorfer Landtag immer wieder wechselnde Mehrheiten. Nicht wirklich dafür, aber auch nicht wirklich dagegen: So aber macht man sich überflüssig.
Die Grünen können nach diesem Wahltag wieder etwas entspannter in die Zukunft blicken. Denn zum einen ist es ihnen gelungen, trotz des erneuten Erfolges der Piraten ihre Stimmanteile (12,1 Prozent, ARD:Hochrechnung) sogar leicht auszubauen. Ob Rot-Grün auch ein erfolgversprechendes Projekt für die Bundestagswahl 2013 sein kann, wird sich in den kommenden Monaten entscheiden. Es wird dabei auf vieles ankommen. Vor allem aber auf eines: Dass sich die beiden Parteien für Kandidaten entscheiden, die diese Option am glaubwürdigsten vertreten können. Die Wähler in NRW haben der SPD an diesem Sonntag dazu einen deutlichen Hinweis gegeben.