Die Putin-Kritikerinnen von Pussy Riot verhaftet? Ein Umweltaktivist für öffentliches Fluchen zu Lagerhaft verurteilt? Eine Verfechterin von Homosexuellen-Rechten aus dem Olympiapark entfernt? Das hat doch alles gar nichts mit den Winterspielen zu tun! Sagt zumindest das Internationale Olympische Komitee – und tendiert damit zum Zynismus.
Mark Adams macht natürlich auch nur seinen Job. Und er macht ihn nicht schlecht, wenn man als seinen Job versteht, mit vielen Worten wenig zu sagen. Adams ist Kommunikationsdirektor des Internationalen Olympischen Komitees IOC. Während Präsident Thomas Bach permanent an Schanzen, Loipen und Pisten zu sehen ist, für Kommentare aber nur zu Beginn und am Ende der Spiele bereit steht, muss der 50-jährige Brite die olympische PR managen. Jeden Tag.
Immer um elf Uhr morgens steigt im überdimensionierten Puschkin-Saal des überdimensionierten olympischen Pressezentrums das «Daily Briefing». Da sitzen dann Adams, leger mit Hemd und Pullover, schwarze Brille, die dunklen Haare akkurat nach hinten gestriegelt, und Aleksandra Kosterina, die Sprecherin des Organisationskomitees. Meistens haben sie sich noch einen Gast dazu geladen, damit bestimmte Aspekte der Spiele näher beleuchtet werden können. Damit es nicht allzu fad wird. Und damit im Idealfall die Berichterstattung in genehme Bahnen gesteuert werden kann. «Agenda-Setting» nennt man das in der PR-Sprache.
Das IOC hat sich schön was eingebrockt
An diesem Tag sitzt in ihrer Mitte der Finne Timo Lumme. Der Marketing- und Fernsehdirektor des IOC kann minutenlang Zahlen und Superlative herunter rattern: 464 TV-Stationen, davon 310 frei empfangbare, übertragen aus Sotschi insgesamt 102’000 Stunden, davon 42’000 Stunden Fernsehen und 60’000 digitale Inhalte. Etcetera, etcetera. Wer nach dieser Kanonade von Rekorden noch geradeaus denken kann, darf jetzt Fragen stellen. Für Adams beginnt dann sein eigentlicher Job.
Denn natürlich hat sich das IOC da ganz schön was eingebrockt mit Sotschi und Russland, was in den letzten Tagen wieder ganz deutlich wurde, als der Staatsapparat von Präsident Wladimir Putin die anfängliche Maske olympischer Toleranz lüftete. Unter anderem wurde Umweltaktivist Jewgeni Witischko zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt, die italienische Aktivistin für Homosexuellenrechte, Vladimir Luxuria, aus dem Olympiapark verwiesen, und schliesslich zwei Mitglieder der mittlerweile weltberühmten Oppositionellen-Punkband «Pussy Riots» aus fadenscheinigen Gründen mit einer Festnahme in einem McDonald’s traktiert; bereits ihre dritte in ebenso vielen Tagen Sotschi, wie die Musikerinnen später angaben.
Das IOC geht mit seiner Standarderklärung in Richtung Zynismus
Mark Adams hat für diese Vorfälle eine olympische Generalklausel parat: «not games-related» – hat mit den Spielen nichts zu tun. Klar, Witischko wurde formal wegen Delikten wie Besprayen einer Baustelle oder öffentlichem Fluchen an einer Busstation verhaftet. Und die Pussy Riots sollten ja in einem Hotel etwas geklaut bzw. ihre Personalien nicht dokumentiert bzw. sich zu nah an der Grenze zu Abchasien aufgehalten haben.
Aber es ist schon ein wenig dreist, die politische Verfolgung hinter diesen lächerlich klingenden Tatbeständen und ihren Bezug zu den Olympischen Spielen zu negieren. Besonders im Falle Witischkos, der seine Freiheit verliert, weil er gegen die Umweltzerstörung durch die Spiele protestierte, ist es sogar zynisch.
Alle Zusagen der russischen Regierung würden eingehalten, die olympische Charta für alle Athleten und Zuschauer respektiert, sagt Adams: «Wir sind sehr zufrieden und glücklich darüber». Der Fall Luxuria beweise bloss, wie wichtig es sei, Demonstrationen vom olympischen Gelände fernzuhalten. Im übrigen habe sich die Italienerin sogar bei den Sicherheitsleuten dafür bedankt, nach ihrem vergeblichen Versuch, die Eishockeyhalle zu betreten, so «sanft» vom Gelände eskortiert worden zu sein. Und wenn sie einmal weg ist, hat sie ja mit den Spielen nichts mehr zu tun.
«Not games-related»: Eigentlich ist das der olympische Offenbarungseid. Der Beweis, dass das IOC aus der Erfahrung der Spiele von Peking 2008 wenig gelernt hat und hinter seiner vermeintlichen Neutralität weiterhin einen erschreckenden Mangel an Courage verbirgt. Damals in China war Adams übrigens noch nicht im Amt. Seine Vorgängerin hiess Giselle Davies. Zehn Tage nach Peking trat sie zurück.