Faschismus- und Nazi-Schimpfworte gehen heutzutage wieder leichter über die Lippen – auch in der offiziellen Politik. Jetzt ist sogar der Islam faschistisch.
«Nazi» ist zum billigen Schimpfwort verkommen. Gleich verhält es sich mit den verunglimpfenden Zwillingswörtern «Faschismus», «Faschist», «faschistisch». Besonders populär waren diese Wörter in den 1970er-Jahren. Mit ihnen konnte ein Schulkind das andere im Pausenhof beschimpfen, wenn das «Gschpänli» keinen Kaumgummi herausrücken wollte.
Das Motiv ist ernster, das Niveau aber nicht höher, wenn Frau Merkel in Griechenland als SS-Frau verunglimpft und wenn – nicht überraschend – Wladimir Putin jetzt als neuer Hitler eingestuft wird. Worte sind eines, Zeichen noch etwas anderes. Das Anbringen des berühmten Schnäuzchens oder von Nazi-Symbolen ist besonderes einfach, denn es erspart jedes Argumentieren.
Nazi-Beschimpfungen in Israel
Erstaunen mag, dass ausgerechnet in Israel ein Gesetz in Bearbeitung ist, das hohe Strafen (bis sechs Monate Haft) für Nazi-Beschimpfungen vorsieht. In Israel kommt diese Beschimpfung offenbar besonders häufig zur Anwendung, worin – zu Recht – eine Banalisierung der historischen Nazi-Welt gesehen wird. Orthodoxe Juden bezeichnen beispielsweise ihren Einbezug in die allgemeine Wehrpflicht als «Nazi-Verhalten». Und der liberale Rabbiner Dow Lipmann wird öffentlich als Nazi beschimpft, weil er gegen das Verbot von Miniröcken ist.
Wie in Israel haben verständlicherweise viele Deutsche ein besonderes Verhältnis zu diesem historischen Bezug und entsprechend ein besonderes Bedürfnis, diesen auch juristisch einzuordnen. Gemäss Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofs ist «Nazi» strafbar, wenn es als Schimpfwort benutzt wird – wenn also, wie ein Beispiel lautet, ein Jemand einem anderen Jemand aus Unachtsamkeit (oder Blödheit) Bier über die Hose schüttet. Nicht strafbar ist «Nazi» dagegen, wenn seine Verwendung das Produkt «meinenden Nachdenkens» ist.
Das Beispiel von Bier und Hose lässt übrigens vermuten, dass wir uns gerade mit einem Männerproblem beschäftigen, aber sicher nicht mit einem bloss deutschen Problem. Selbstverständlich haben wir auch in der Schweiz solche Beschimpfungsfälle oder aus ruhiger Überzeugung respektive «meinendem Nachdenken» vorgenommene Gleichsetzungen.
So sind etwa von der in der heilen Bündnerwelt Sedruns eingenisteten Internetplattform «Gloria» deutsche Bischöfe mit Hakenkreuzen bedacht worden, weil sie die «Pille danach» gutheissen. Und der Tessiner Sozialist Franco Cavalli verstärkte seine Kritik an den Lebensbedingungen im Gaza-Streifen, indem er sie mit denjenigen eines Konzentrationslagers gleichsetzte. Und Christoph Blocher füllt ganze Seiten, um die grosse Nähe zwischen Sozialisten und Nationalsozialsten nachzuweisen.
Klärung oder Verunklärung
Vergleiche können und müssen nicht in jedem Punkt stimmen. Sie sollten aber den Punkt, auf den es im Vergleich ankommt, klarer machen und nicht unklarer. Die meisten Bezüge zur NS-Welt führen aber nicht zu zusätzlicher Klarheit. Die Gefährlichkeit einer Politik, die etwa von einem Silvio Berlusconi oder einer Marine Le Pen verkörpert wird, lässt sich nicht mit Seitenblicken auf die aus alten Wochenschaufilmen bekannten Bilder von Nazi-Horden erkennen. Ein Problem besteht darin, dass in «korrekter» Aufmachung daherkommende Kräfte brandgefährliche Programme verbreiten.
Ob Putin der neue Hitler – auch ohne Schnäuzchen – sei, muss hier inhaltlich nicht diskutiert werden. Hingegen darf man darauf aufmerksam machen, dass solche personalisierenden Vergleiche oder Gleichsetzungen insofern eine zusätzliche Verkürzung vornehmen, als sie unberücksichtigt lassen, dass es um Exponenten eines grösseren Ganzen (eines Systems, einer Ideologie, einer Mentalität) geht, wie uns Hitler weniger als Individuum denn als Ausgeburt des Faschismus interessieren müsste.
Gibt es einen «Urfaschismus»?
Der bekannte italienische Schriftsteller und Linguist Umberto Eco hat in einem Traktakt etwas intensiver über den Faschismus nachgedacht und 1997 eine Liste mit 14 Punkten zusammengestellt, die – jeder für sich – zu einem Kristallisationspunkt für Faschismus werden könnten. Ein wichtiger Punkt ist da etwa die Angst der Mittelklasse vor dem sozialen Abstieg und die für Europa weiter bestehende Möglichkeit, dass Faschismus aus der biederen mitteleuropäischen Moderne erneut herauswachsen könnte.
Ecos Traktat wird oft unter dem missverständlichen Titel «Urfaschismus» zitiert. Eco meinte aber, mit Blick auf die Gegenwart, dass es eine «ewige» Faschismusgefahr und in diesem Sinne einen «fascismo eterno» gebe. Er meinte nicht, dass es einen ursprünglichen und gleichsam weitersprudelnden Ur-Quell gebe, wie das auch ein Bert Brecht mit dem bekannten Wort von 1941 gesagt hat, dass der Schoss noch fruchtbar sei, aus dem das Unheil kroch. Umberto Ecos Analyse liegt kein generatives, sondern ein relatives Verständnis zu Grunde, sie geht von stets neu gegebenen Möglichkeiten aus und sieht das Aufkommen des Faschismus richtigerweise von jeweiligen Gegebenheiten abhängig.
Ganz anders der seit über 20 Jahren in Deutschland lebende und als Politologe und Publizist tätige Ägypter Hamed Abdel-Samad, der unter falsch verstandener Berufung auf Eco, die These vertritt, dass der Islam «faschistische Züge» aufweise und dies durch die Quelle der muslimischen Religionsstiftung im 6. Jahrhundert dauernd gegeben sei.
Zu der Parallelisierung mit dem Faschismus sieht sich Abdel-Samad berechtigt, weil der Islam – wie der Faschismus – die Welt in Gläubige und Ungläubige aufteile, Andersdenkende ausschliesse, seine Gegner töte und die Weltherrschaft anstrebe. Dies, als ob es nicht andere Ideologien und Bewegungen mit den gleichen Eigenheiten gäbe. Vom Kommunismus und Stalinismus ist ganz kurz die Rede, man könnte auch an China der Kulturrevolution denken.
Die «Diktatur-Zwiebel»
Abdel-Samad ist Islamspezialist und kein Faschismusexperte. Mit halbem Wissen zum Faschismus ist unseren Einsichten zum Islam wenig gedient. Gibt es in der muslimischen Welt wie im Falle Deutschlands und Italiens nationale Verspätungen in der Entwicklung und der Staatenbildung und demütigende Erfahrungen nach schmerzlichen Niederlagen, macht sie das noch nicht faschistisch. Dazu würden eine Staatlichkeit und Bürokratie und Organisationskultur gehören, die in den als faschistoid charakterisierten Gesellschaften der muslimischen Welt nicht bestehen. Auch müsste darüber nachgedacht werden, ob der Nationalismus nicht ein anderer ist.
In der stärksten Passage seines Buches spricht Abdel-Samad ganz kurz vom «inneren Kampf der Kulturen» in Abwandlung von Samuel Huntingtons bekannter These des äusseren «clash of civilization». Er bezeichnet (und das ohne Faschismusbezug) die islamischen Welt als multitiple Diktatur, als «Diktatur-Zwiebel», die aus verschiedenen Schichten bestehe: Auf die Klandiktatur folge die Militärdiktatur, die religiöse Diktatur und schliesslich die soziale Diktatur, die mit ihren archaischen Rollenvorstellungen das Leben innerhalb der Familie prägt. Das Bild dient der Veranschaulichung der Problematik, mit der sich Menschen konfrontiert sehen, wenn sie eine Schale (auch als Mauer bezeichnet) überwinden und dann auf die nächste stossen. Diese Problematik wäre es wert gewesen, dass ihr ein ganzes Buch gewidmet worden wäre.
Der Autor ist verständlicherweise stark auf Ägypten ausgerichtet, ohne aber wirklich auf die politischen Fragen dieses Landes einzugehen. Von Iran heisst es im Schnelldurchgang durch die muslimische Welt, dieses Land habe den modernen islamischen Faschismus als Staatsdoktrin durchgesetzt. Die heutige Türkei Erdogans wird ebenfalls gestreift und als Heimat für eine «Lightversion des islamischen Faschismus» bezeichnet. Bedauerlicherweise geht er aber auf den Kemalismus zur Zeit Atatürks nicht ein, obwohl gerade hier Nähe zu Mussolinis Faschismus zu diskutieren gewesen wäre.
Applaus und Entrüstung
Eine grosse Schwäche dieses Buches, das an sich manche höchst bedenkenswerte Kritikpunkte enthält, liegt darin, dass sein Autor trotz oder gerade wegen der Ablehnung dessen, was er Islamismus nennt, in Konvertitenmanier eine umgekehrte Polarität pflegt. Seine Sicht ist tendenziell der gleichen Zweiteilung der Welt verfallen, die der Autor der kritisierten Gegenseite vorwirft.
Die mit der Absicht der politischen Kompromittierung unternommenen Bezüge haben den Vorteil, dass sie sogleich höchste Beachtung finden. Sie haben aber auch den Nachteil, dass die konkrete Kritik an einem bestimmten Sachverhalt, die man anbringen will, meistens in einer Kontroverse um die Zulässigkeit dieses Vergleichs beziehungsweise dieser Gleichsetzung untergeht.
Die publizistische Anbindung an den Faschismus ist wenig hilfreich. Sie skandalisiert, bringt aber darüber hinaus keinen Mehrwert, zumal das heutige Publikum über den Faschismus nicht viel mehr weiss, als dass er böse war und dass zum Beispiel ein Bruno Ganz den Hitler im Film «Der Untergang» (2004) recht gut gespielt hat.
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Hamed Abdel-Samad. Der islamische Faschismus. Eine Analyse. Droemer Verlag München 2014, 221 Seiten, Fr. 25.90