Frankreich – la France – hat ein weibliches Selbstverständnis: Die Nationalfigur heisst Marianne, die wichtigste Nationalheldin ist Jeanne d’Arc. Die Macher der Nation, also die Politiker, sind hingegen meist Männer, eben «les hommes politiques».
Französische Politik ist eine Männerdomäne, ja -arena. Da wird viril gefochten und gerungen, speziell bei Präsidentschaftsduellen wie Mitterrand-Chirac oder jetzt Sarkozy-Hollande. Die wenigen Ausnahmen wie Ex-Premierministerin Edith Cresson (1991-1992), Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal oder die aktuelle Front-National-Chefin Marine Le Pen bestätigen die Regel. In den französischen Parlamenten und Exekutiven sitzen neun Zehntel Männer, obwohl in der Nationalversammlung per Gesetz die «parité» (Geschlechtergleichheit) gilt.
Auffällig ist ein kaum je thematisierter Umstand. Obwohl die Immigranten aus Nordafrika oder anderen Ex-Kolonien und Überseegebieten bis zu zehn Prozent der Bevölkerung stellen dürften, schaffen es von dort kaum je Männer in die hohe französische Politik. Durchschnittsbürger wären normalerweise nicht in der Lage, auch nur einen Spitzenpolitiker zu nennen, der ein «beur» (Umkehr-Slang für «arabe») ist. Vor diesem Befund ist es umso erstaunlicher, dass ausgerechnet aus der vermeintlichen «Machokultur» des Maghreb zahlreiche Frauen den Sprung in die Pariser Politelite schaffen.
Frauen als Alibi
Zu den Multikulti-Ministerinnen zählte zu Beginn der Sarkozy-Ära etwa Ex-Justizministerin Rachida Dati (46). Die von algerisch-marokkanischen Eltern abstammende Politikerin erhielt als erste Immigrantentochter ein Schlüsselministerium zugeteilt. Aus Senegal nach Frankreich gekommen, brachte es Rama Yade (35) ihrerseits zur Staatssekretärin für Menschenrechte.
Beide Frauen erlitten in der Regierung das gleiche Schicksal: Dass sie vom Staatspräsidenten nur zu Alibizwecken in Führungspositionen gehievt worden waren, zeigte sich, als sie schnöde entlassen wurden, sei es, weil sie nicht mehr gebraucht wurden, sei es weil sie ein politisches Eigenleben entwickelten. Dati rettete sich gerade noch ins Europaparlament; Yade hat nicht einmal mehr ein Mandat.
Schöne Banlieue-Maghrebinerinnen
Im aktuellen Wahlkampf rücken die beiden Spitzenkandidaten wieder eine Reihe von Maghrebinerinnen – keine Maghrebiner! – ins Rampenlicht. Sarkozy förderte unter anderem Salima Saa (40), eine algerienstämmige Geschäftsfrau aus dem Ökologiesektor, die nebenbei die nationale Agentur für Chancengleichheit leitet. Vor weniger als einem Jahr in die Sarkozy-Partei UMP eingetreten, wurde sie fast über Nacht an die Spitze des Wahlkampfdispositivs katapultiert und managte einzelne der grössen Wahlmeetings Sarkozys. François Hollande wiederum hat die in Marokko geborene Lokalpolitikerin Najat Vallaud-Belkacem (34) zu seiner Wahlkampfsprecherin ernannt. Das bringt sie häufiger ins Fernsehen als viele altgediente Hollande-Berater, die seit Jahren auf diesen karrierefördernden Posten hingearbeitet hatten.
Ein weiteres Detail fällt auf: Wie Dati und Yade sind Saa und Vallaud-Belkacem nicht gerade das, was man als unansehnlich bezeichnen würde. Die Pariser Presse nennt sie gelegentlich «les belles beurettes» – zu Deutsch etwa: die schönen Banlieue-Maghrebinerinnen.
Weibliche Mythologie
Das Phänomen hat meist in Wahlzeiten Konjunktur, ist in Frankreich aber auch dann kein Gesprächsthema. Eine von wenigen Pariser Politikerinnen, die trotzdem darüber reden, ist die grüne Senatorin Esther Benbassa, die schon unlängst ein Interview über die Toulouse-Affäre gab. «Warum handelt es sich bei diesen Alibi-Schönheiten immer um Frauen, nie um Männer?», fragt die Historikerin für jüdische Geschichte und Kämpferin für die Integration von Immigrantinnen. «In der Vorstellung ihrer französischen Politikerkollegen sind Araber grausam und können ihnen deshalb gefährlich werden. Also lässt man sie gar nicht erst in Führungspositionen aufsteigen. Frauen sind leichter verschiebbar. Dazu entsprechen sie einer in einer ehemaligen Kolonialmacht nachwirkenden Mythologie – derjenigen der schönen Orientalin.»
An der These ist sicher einiges. Schon deshalb, weil sich die Betroffenen ihrer selbst durchaus bewusst zu sein scheinen. Wer sich mit ihnen unterhält – im vorliegenden Fall mit Dati und Vallaud-Belkacem – merkt schnell, wie vorsichtig sie das Thema angehen. Sie wissen, dass sie politisch auf einem Schleudersitz sitzen, dass sie selbst bei Parteifreunden zum Teil nur geduldet sind. Das gilt zwar auch für andere Französinnen in der Politik; am bekanntesten ist das Schicksal der «Juppettes», der Ministerinnen von Ex-Premier Alain Juppé, die über Nacht in die Wüste geschickt wurden, als sie ihre (Image-)Pflicht getan hatten. Maghrebinerinnen haben es doppelt schwer; sie müssen ständig mit dem Vorwurf rechnen, sie verdankten ihre Nominierung nur ihrer Herkunft und eben auch ihrem Aussehen.
Politische Brückenbauerinnen
Salima Saa und Najat Vallaud-Belkacem äusserten sich auch im aktuellen Wahlkampf nie öffentlich dazu; sie gehen sogar dem Thema Immigration aus dem Weg. «Communautarisme», das heisst die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Gruppe, ist für sie kein Thema; sie fühlen sich dem radikalen französischen Laizismus verpflichtet.
Nur wenn man sie direkt auf Fragen der Einwanderung anspricht, dringt ihre hohe Sensibilität zu diesem Thema durch. Und dann wird augenfällig, dass diese Politikerinnen als Brückenbauerinnen zwischen den Banlieue-Ghettos und den abgehobenen Pariser Machtsphären eine wichtige Rolle spielen könnten. Das würde aber voraussetzen, dass das übrige Frankreich in ihnen nicht nur orientalische Mythen, sondern eine wichtige politische Funktion erkennt.