Die Schweiz hinkt gesetzgeberisch hinterher

Wer ein Kind hat, wird hierzulande faktisch zur Ehe gezwungen. Anders als die meisten anderen Länder kennt die Schweiz keine Regelung der nicht-ehelichen Partnerschaft.

Angeschmiert: Bei nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften hat derjenige Partner der seine wirtschaftliche Selbständigkeit aufgibt schlechte Karten. Ein Pendant zum Ehegatten-Unterhalt gibt es nämlich nicht. (Bild: hansjoergwalter.com)

Wer ein Kind hat, wird hierzulande faktisch zur Ehe gezwungen. Anders als die meisten anderen Länder kennt die Schweiz keine Regelung der nicht-ehelichen Partnerschaft.

Eltern sind hierzulande offenbar extrem heiratsfreudig. Es gibt in Europa nur wenige Länder, in denen die Ehe als Form der Lebensgemeinschaft eine so grosse Bedeutung hat wie in der Schweiz. Das zeigt eine Statistik, die in Europa den Anteil von «ausserehelicher Lebendgeburten» mit allen Geburten vergleicht. Im Jahr 2010 waren nur gerade 18,5 Prozent der Eltern zum Zeitpunkt der Geburt nicht verheiratet, noch geringer ist dieser Prozentsatz lediglich in fünf Staaten, darunter Zypern, Griechenland und Montenegro.

Hinter dem fürchterlichen Begriff «Aussereheliche Lebendgeburt» verbirgt sich ein ganzer Komplex familienrechtlicher Probleme. Aus der geringen Anzahl ausserehelicher Kinder zu schliessen, die Ehe geniesse in der Schweiz besondere Wertschätzung, würde zu kurz greifen. Näher liegt ein anderer Schluss: Die Rechtslage ­benachteiligt unverheiratete Paare massiv; diese werden vom Gesetz­geber faktisch zur Ehe gezwungen.

«Ich rate allen zur Heirat.»

Jonas Schweighauser, Anwalt und Lehrbeauftragter im Fachbereich Privatrecht an der Uni Basel, bestätigt diese These. «Jungen Paaren, die bei mir um Rat suchen, rate ich immer zur Heirat, wenn einer von beiden seine wirtschaftliche Selbständigkeit aufgeben will», sagt der Jurist. Das Problem sei, dass die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft nicht geregelt sei. Dies treffe insbesondere auf die Unterhaltsfrage zu. «Gibt ein Partner zugunsten der Kinderbetreuung seine Arbeit auf, zieht dieser bei einer ­Trennung immer den Kürzeren.»

Dies betreffe in praktisch allen Fällen die Mutter, weiss Schweighauser aus seiner Erfahrung als Familienrechtler. «Der grösste Teil Europas hat dieses Problem längst gelöst, die Schweiz hinkt gesetzgeberisch hinterher», sagt er.

Was den Unterhalt eines Kindes betrifft, ist die fehlende Reglementierung der nicht-ehelichen Lebens­gemeinschaft kein Problem. Sobald nämlich der Vater ein Kind anerkennt, bleibt er unterhaltspflichtig. Der Partner jedoch hat keinerlei Anspruch auf Entschädigung für die Betreuungsleistung im Sinne eines Ehegatten­unterhalts. Dieser wirtschaftlichen Schwächung des betreuenden Partners – fast immer die Frau – soll mit der anstehenden Revision des Unterhaltsrechts begegnet werden. Die Vorlage befindet sich zurzeit im Bundesamt für Justiz in Ausarbeitung.

Die Frau bleibt wirtschaftlich schwächer gestellt

Lange galt auch das Sorgerecht aus der Sicht der Väter als Argument für eine Heirat. Ab dem 1. Januar 2014 werden diese familienrechtlichen Defizite jedoch behoben sein. Dann tritt die jüngste Revision des Sorgerechtsgesetzs in Kraft. Zwar hätte diese Revision mit derjenigen des Unterhaltsrechtes verknüpft werden sollen. Dieses Vorhaben scheiterte gemäss Schweighauser jedoch am Lobbying der Männerorganisationen. «Männer sind schneller und besser organisiert, wenn es darum geht, Fehler in ihrem Sinne zu korrigieren.»

Damit bleibt die wirtschaftliche Position der Frau in einer nicht-ehelichen Partnerschaft mit Kindern vorerst schwach. Jurist Schweighauser zweifelt zudem daran, dass die Revision diese Missstände endgültig beheben wird, da das neue Gesetz beispielsweise die Festsetzung von Höhe und Dauer der Unterhaltspflicht weiterhin der Gerichtspraxis überlässt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 04.10.13

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