Unser Land könnte bald ein paar Milliarden Franken für den falschen Militär-Flieger ausgeben. Aber so läuft es nun mal in der struben Geschichte der Schweizer Luftwaffe.
Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) trägt einen schweren Kampf aus, ausgerüstet mit Spritzkanne und Mini-Chalet. Bei seinen Offensiven vor Offiziersgesellschaften und anderen interessierten Kreisen nimmt er das Dach jeweils vom Häuschen und spritzt hinein. Das ist für Maurer der Beweis, dass erstens von oben auch viel Schlechtes kommt, dass zweitens jedes Haus ein Dach und drittens jedes Land eine anständige Luftwaffe braucht. Ebenso klar ist für ihn, was das für die Schweiz heisst: dass sie neue Kampfflugzeuge kaufen muss, 22 Gripen, für insgesamt 3,1 Milliarden Franken.
Militärhumor zur Auflockerung
In seinem harten Kampf gönnt sich Ueli Maurer zwischendurch auch gerne mal etwas Entspannung – mit einem Frauenwitz zum Beispiel. Bei den Linken und Netten kommen die Bemerkungen über seine Gattin (oder veralteten «Gebrauchtgegenstand», um es mit Maurer zu sagen, vergleichbar mit den alten Tiger-Jets) selbstverständlich schlecht an. Aber das kann ihm eigentlich egal sein, die sind sowieso gegen jede Milliardenausgabe im Bereich des Militärs. Schon bedenklicher ist für ihn, dass sich auch Bürgerliche gegen ihn wenden.
Neben den Grünliberalen sagen auch einzelne FDP- und CVP-Politiker, der Schweden-Flieger sei viel zu teuer, technisch nicht ausgereift und militärisch unnötig. Und ihrem Ziel scheinen sie näher zu sein als der schwer kämpfende Verteidigungsminister: Zehn Tage vor der Abstimmung sind gemäss Umfragen 51 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gegen den Vogel, nur 44 Prozent dafür, der Rest ist noch unentschlossen. Der 18. Mai 2014 könnte damit der erste Tag in der Geschichte der Schweiz werden, an dem der Bundesrat mit einer wichtigen Wehrvorlage abstürzt.
Ist ohne Gripen alles verloren?
Noch geben Maurers Hilfstruppen aus Armee und Politik alles, um dieses Szenario abzuwenden. Ihre Argumente sind immer die gleichen: Der Gripen sei möglicherweise nicht der beste Flieger, die neutralen Schweden aber wenigstens vertrauenswürdige Lieferanten, anders als die Konkurrenz aus Deutschland und Frankreich, zwei Länder, welche die Schweiz in Steuerfragen immer wieder piesacken. Der solide Gripen sei nötig, um die schweizerische Neutralität auch in Zukunft zu verteidigen, so wie es die Schweizer Luftwaffe seit ihrer Gründung immer getan hat.
Interessante Aussagen, bloss: Stimmen sie auch? Absolut, wenn es nach dem PR-Film geht, der im Hinblick auf das Flugfestival Payerne 2014 und das 100-Jahr-Jubiläum der Schweizer Luftwaffe gedreht worden ist. Inhalt: unglaubliche Maschinen, unglaubliche Manöver, unglaublich coole Sonnenbrillen. Ton: Motorenlärm, Funksprüche und bombastische Musik. Titel: «See you!». Möglich wäre auch gewesen: Top Gun reloaded.
Die wahre Geschichte ist eine andere
Die wirkliche Geschichte der Schweizer Luftwaffe ist phasenweise tatsächlich schier unglaublich – aber nicht unbedingt in der Art wie im Werbefilmchen dargestellt. Der gefährlichste Feind in den vergangenen 100 Jahren war keine gegnerische Armee, sondern die eigene Konzeptlosigkeit, das grösste Problem nicht das feindliche Geschütz, sondern das dürftige Material und – je nach Situation und Sichtweise – das fehlende Geld oder das fehlende Kostenbewusstsein.
Das fängt schon vor der Gründung der Luftwaffe an, in den 1890er-Jahren, als der Bundesrat für die Armee Ballone beschaffen will, weil «der Ballon ein bewegliches Observatorium mit Vogelschau ist, welches auf jedem Punkte des Schlachtfeldes sozusagen unverzüglich in Thätigkeit treten kann. (…) Das giebt dem General (…) eine wesentliche Superiorität über seinen Gegner.»
Zu modern, zu teuer
Die eidgenösisschen Parlamentarier halten zuerst einmal gar nichts von solch neumodischen Ideen. Und schon gar nichts von den drohenden Kosten. Erst nach mehreren Anläufen bekommt der Bundesrat seine Vorlage doch noch durch. Die Ballontruppe ist dann allerding erst zu einem Zeitpunkt einsatzfähig, zu dem die anderen Armeen schon wieder ganz anders unterwegs sind. In Flugzeugen. Als im Juli 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, hat die Schweizer Armee weder eine Maschine noch einen Piloten. Doch noch zu ein paar Maschinen kommt das Land in den nächsten Wochen nur dank des Einsatzes einiger Flugpioniere.
«Grossartige Kerle» sind das, «geladen mit Courage bis in die Fingerspitzen, trunken von Ruhmsucht wie von schwerem Wein, prahlend bereit, das Leben zu jeder Stunde wegzuwerfen, das sie doch so inbrünstig liebten wie eine schöne Frau.» So jedenfalls erlebt es ein Beobachter der Fliegerabteilung. Die Courage nutzt allerdings nur wenig. Obwohl der Schweizer Luftraum von den Kriegsparteien regelmässig verletzt wird, müssen die Schweizer Möchtegernhelden meistens am Boden bleiben, weil der Treibstoff knapp war. Dennoch kommt es zu Abstürzen, wegen der Technik (soweit man in dieser Zeit schon von Technik sprechen kann) und dem Übermut einzelner Piloten (davon kann man zu dieser Zeit noch eindeutig sprechen).
Der allzu grosse Erfolg im Zweiten Weltkrieg
Endgültig weg von der Ballon-Doktrin kommt die Schweizer Armee erst vor dem Zweiten Weltkrieg. «Wer nicht fliegt, wird überflügelt!», heisst jetzt die Losung. Dumm nur, dass die eigenen Flieger aus den Thuner Werken nichts taugen und die anderen Länder in erster Linie für sich selbst bauen. Immerhin gibt es neben einigen trümligen französischen Moranes 88 Messerschmitts von den Nazis. Diese erweisen sich beim einzigen Kampf einer Schweizer Armee-Einheit gegen einen echten Gegner als entscheidender Vorteil.
Im Mai 1940 wars, als General Guisan nach anfänglichem Stillsitzen den Befehl ausgibt, Verletzungen des Luftraums konsequent zu ahnden. Die Piloten sind begeistert. Endlich können sie zeigen, was sie draufhaben. Sie steigen auf, entdecken mehrere verirrte deutsche Bomber, welche die Schweizer Messerschmitts für eigene Flugzeuge halten, und schiessen sie ab. Das Deutsche Reich ist empört – und schickt mehrere Geschwader aus. Doch auch diesmal verlieren die Nazis im Gegensatz zu den Schweizern mehrere Maschinen. Nun ist das eigentlich so übermächtige Deutschland erst recht empört – und setzt politisch massiv Druck auf.
Guisan muss den Schiessbefehl zurücknehmen, der Bundesrat um Entschuldigung bitten und in ein Wirtschaftsabkommen einwilligen, das Deutschland weit entgegenkam. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird die heldenhafte und doch auch etwas naive Intervention der Schweizer Luftwaffe möglichst totgeschwiegen.
Ab in den Bodensee
Nach dem Krieg kann sich die Schweizer Luftwaffe vorerst sogar noch über ein paar weitere Erfolge freuen. Ihr Testflieger Hans Häfliger ist der erste Schweizer, der in einer englischen Hunter Überschallgeschwindigkeit erreicht. Danach gelingt ihm auch noch ein erster Flug in einer heimischen P-16. Schliesslich ist Häfliger allerdings auch der erste Schweizer, der sich im August 1955 mit einem Schleudersitz retten kann und retten muss, kurz bevor seine P-16 in den Bodensee stürzt.
Obwohl die Flieger der ausländischen Konkurrenz offensichtlich besser und günstiger sind, setzt der Bundesrat weiter auf die heimische Produktion – bis einige Monate später die nächste P-16 im Bodensee landet und das ganze Land über die erstaunlich rasch wachsende Schweizer U-Boot-Flotte lacht.
Als Vorbild gilt nun das ebenfalls neutrale Schweden, das kaum mehr Einwohner als die Schweiz hat, es aber dennoch fertigbringt, einen Flieger zu bauen, der tatsächlich fliegt: den Saab J-35 Draken, der im September 1958 am Flugmeeting in Basel präsentiert und entsprechend bewundert wird.
Der Skandal
Entgegen den ursprünglichen Plänen des Bundesrates entscheidet sich das Parlament dann aber gegen den vergleichsweise bescheidenen Saab und für den Kauf von 100 Mirages, die erst noch entwickelt werden müssen. Eine Wunderwaffe soll es werden, ein Flugzeug, das fähig ist, «mit Atombomben nach Moskau zu fliegen», wie sich Fliegerchef Etienne Primault ausdrückt. Es ist die Zeit des Kalten Krieges, in der man in der Schweiz davon träumt, den Feind möglichst frühzeitig auszuschalten, am liebsten jenseits der Landesgrenze und möglichst endgültig, mit einer Atombombe.
Als Wunderwaffe versprochen: Mirage lll S J-2308.
1,6 Milliarden statt 800 Millionen
Geld spielt in diesen Überlegungen, die von den überaus grosszügigen Lobbyisten noch angefeuert werden, nur sehr bedingt eine Rolle, bis irgendwann dann doch noch einer nachrechnet und merkt, dass die 100 bestellten Mirages wegen den vielen Spezialwünschen und den unerwarteten Schwierigkeiten in der Produktion nicht wie versprochen 800 Millionen Franken kosten, sondern das Doppelte. Da ist die Überraschung gross und auf die Überraschung folgt eine Empörung, fast noch grösser, so dass neben dem Militärminister gleich auch noch der Militär- und der Flugchef abtreten müssen.
Die Parlamentarische Untersuchungskommission unter Kurt Furgler kommt zum Schluss, dass die Schweiz künftig nie mehr unfertige Flieger kaufen, in dieser verfahrenen Situation aber wenigstens 57 Mirages beziehen sollte. Der Kompromiss kommt durch, politisch ist es eine brillante Leistung, die Furgler in den Bundesrat bringt, militärisch ergibt die kastrierte Mirage-Flotte allerdings nur sehr bedingt einen Sinn.
Immerhin wird man danach in der Schweiz wieder etwas bescheidener. Es gibt keine Atombombe, und anstatt neuer Hightech-Jets werden alte wie die Hunter gekauft, die gleich reihenweise vom Himmel fallen, oder billige wie die Tiger, die nur bei guter Sicht voll einsatzfähig sind. «Die Luftwaffe darf nicht zum Antiquitätenladen werden», warnt darum ihr Kommandant Eugen Studer 1972.
Villigers Erkenntnis
Erfüllt wird Studers Wunsch erst Ende der 1990er-Jahre von Verteidigungsminister Kaspar Villiger, für den klar ist, dass die Schweiz ihre Luft nicht alleine verteidigen könne gegen moderne Jets und Marschflugkörper, mit denen jedes Ziel in der Schweiz auch von weit ausserhalb der Grenzen angegriffen werden kann. Darum strebt Villiger eine Zusammenarbeit mit der Nato an – und den Kauf der teuren F/A-18 als Art Willkommensgeschenk für die erhofften Bündnispartner. Bei der Abstimmung ist er dann aber auf die Unterstützung der konservativen Armeeliebhaber und Nato-Gegner angewiesen. So rettet er den Kauf – auf Kosten der Option «Nato».
Diese Abkehr von Kooperationen und Rückkehr ins geistige Réduit macht es auch heute den Gripen-Freunde sehr viel einfacher, die Neutralität zu beschwören, egal wie brüchig die schon immer war. Und davon abzulenken, dass die Schweiz wieder einmal drauf und dran ist, ein Flugzeug zu kaufen, das im Vergleich eher schlecht abschneidet, nur weil sein Herkunftsland im Gegensatz zu Deutschland oder Frankreich genehm ist. Ein Flugzeug, das noch nicht einmal gebaut ist – so wie damals die Mirage.
Vielleicht verfangen Maurers Geschichten aus der Trickkiste mit dem Mini-Chalet und der Giesskanne ja doch noch. Die aktuellen Prognosen sehen für ihn jedenfalls schon besser aus als die vorhergehenden. Dieser Kampf wird wohl ganz, ganz eng ausgehen am 18. Mai.
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Zur Geschichte der Schweizer Luftwaffe: Roman Schürmann, Helvetische Jäger, Dramen und Skandale am Militärhimmel, 2009.