«Die sexuelle Revolution hat nie stattgefunden»

Laurie Penny ist die Stimme einer neuen Emanzipation. In ihrem Buch «Unspeakable Things» fordert sie einen Aufstand, der auch die Männer befreien würde.

Laurie Penny: «Nicht der Sex ist das Problem, sondern der Sexismus.» (Bild: Jon Cartwright)

Laurie Penny ist die Stimme einer neuen Emanzipation. In ihrem Buch «Unspeakable Things» fordert sie einen Aufstand, der auch die Männer befreien würde.

«Dies ist kein Märchen.» Mit diesem Satz beginnt das neuste Buch der britischen Journalistin und Feministin Laurie Penny. Sie stellt damit auf der ersten Seite klar, worauf sie keine Lust mehr hat: Zu tun, was von ihr erwartet wird. Prinzessin spielen und auf ein Happy End warten.

«Unspeakable Things. Sex, Lies and Revolution» ist keine Anleitung dafür, wie sich die emanzipierte Frau von heute zu benehmen hat, um erfolgreich zu sein. Penny schert sich nicht darum, ob frau sich die Nägel lackiert oder ob Feministinnen Absätze tragen dürfen. Vielmehr prangert sie das gesellschaftliche Korsett an, in das Frauen gezwängt werden, weil sie sich tagtäglich mit diesen Fragen beschäftigen müssen.

Im angelsächsischen Raum ist die 28-Jährige längst kein unbeschriebenes Blatt mehr: Auf Twitter folgen ihr 100’000 Menschen. Als pointierte Stimme der jungen Linken reiht sie sich ein in ein Heer 
von Netzaktivistinnen, die sich in jüngerer Zeit über Twitter und andere Social Media bis weit in den medialen Mainstream hinein Gehör verschafft haben.

Laurie Penny (28), Feministin, Journalistin, Aktivistin, ist in London geboren und hat in Oxford englische Literatur studiert. Seit 2010 betreibt sie ihren Blog Penny Red und postet Artikel zu Feminismus, Politik und Popkultur. Sie ist Redaktorin bei der englischen Zeitung «The New Statesman» und schreibt regelmässig für den «Guardian» und die «Times». Bekannt wurde sie mit ihrem 2010 erschienenen Buch «Fleischmarkt».

Penny kritisiert den neoliberalen Gesellschaftsentwurf als tief sexistisch gegenüber allem, was nicht einer weissen, männlichen Norm entspricht. Als Reaktion darauf fordert sie nichts weniger als eine feministische Revolution. «Es gibt einen Punkt, an dem du dich entscheiden musst, ob du dich so veränderst, dass du in die Erzählung passt, oder ob man vielleicht die Erzählung ändert, damit du sein kannst, wie du bist», sagt sie zu Beginn des Gesprächs in einem Café in London.

Laurie Penny, in Ihrem neuen Buch schreiben Sie, die Frauen hätten Angst vor ihrer eigenen Wut.

Ja, das haben sie. Es gibt massive Probleme in unseren Leben als Frauen und als Queers. Persönlich, also in der eingeschränkten Art, in der es heute möglich ist, Frau zu sein, aber auch in den weiteren gesellschaftlichen Strukturen, sprich im Neoliberalismus. Dieses System funktioniert nur, weil wir Frauen auf der ganzen Welt die uns zugedachte Rolle wahrnehmen und ausgebeutet werden, indem wir unbezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit leisten.

Um das zu ändern braucht es eine feministische Revolution?

Ja. Und diese Revolution ist bereits im vollen Gange. Vor allem im Internet. Mit den neuen Medien haben Mädchen, Frauen und andere marginalisierte Gruppen endlich die Möglichkeit, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu benennen. Und wenn die Stimmen dieser Menschen mehr Eingang in den Mainstream finden, wird das massive ökonomische Umwälzungen zur Folge haben.

Sie verstehen Feminismus als Systemkritik?

Absolut. Geld, Macht und Geschlecht sind eng miteinander verflochten: Emotionale Arbeit, Kinderaufziehen und Hausarbeit sind für das Funktionieren der heutigen Gesellschaft zentral. Und die Weiterführung dieser Gesellschaft läuft über den weiblichen Körper. Deshalb müssen wir über Beziehungen sprechen, über heterosexuelle Paarbeziehungen ebenso wie über gleichgeschlechtliche oder andere Formen.

Können wir das kapitalistische System ändern, indem wir dieses Verhältnis neu ausrichten?

Davon bin ich überzeugt. Die heterosexuelle Liebe ist eine Norm, an der sich alles auszurichten hat. Uns Frauen wird täglich diktiert, der perfekte männliche Partner sei der einzige Weg zum Glück. Auf dieses Gegenüber kann aber nie als Mensch zugegriffen werden, weil die gesellschaftlichen Rollen von Mann und Frau so angelegt sind, dass sie sich nie werden verstehen können. Das ist beängstigend und erschütternd.

«Aus linker Perspektive ist es unmöglich, über Klassen zu sprechen, ohne die Frauen mitzudenken.»

Sie vergleichen die Idee von romantischer Liebe mit der Religion, die Marx als «Opium fürs Volk» bezeichnete.

Ja, die romantische Liebe hat eine religiöse Qualität. Statt Gott sind wir einander treu. Als Frau, vor allem als junge, heterosexuelle Frau, ist es ketzerisch zu sagen, dass man nicht daran glaubt. Der gesellschaftliche Druck ist immens. Unsere Selbstbestätigung hängt davon ab, ob wir diesen Partner finden. Scheitern wir, dann gelten wir als minderwertig. Das ist zerstörerischer Bullshit.

Glauben Sie etwa nicht an die Liebe?

Doch, ich glaube durchaus an romantische Liebe. Aber nicht so, wie uns täglich eingeredet wird. Die antiken Griechen hatten verschiedene Ausdrücke für alle möglichen Formen der Liebe. Sie unterschieden zwischen freundschaftlicher Liebe, passionierter, erotischer Liebe, Liebe in einer langen Partnerschaft und Liebe zu sich selbst. Alle waren gleichwertig. Wir haben keine Sprache ausserhalb der normierten etablierten Liebesvorstellung und deshalb keine anderen Lebenskonzepte. Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit Frauen und Männern. Wir sind nicht alle in Beziehungen, überlegen uns aber, wie wir gemeinsam Kinder aufziehen können.

Alternative Wohnformen sind alte, linke Konzepte. Wird der Feminismus wieder linker?

Ja, viel linker als noch in den 1990er-Jahren. In jüngerer Zeit ist ein neuer feministischer und antikapitalistischer Aktivismus entstanden. Darin findet eine Verknüpfung von Macht- und Klassenfragen mit Geschlecht und Geschlechtsidentität statt. Sozialismus und Feminismus sind nicht trennbar. Es gibt keinen Klassenkampf ohne Frauenkampf und umgekehrt. Aus linker Perspektive ist es unmöglich, über Klassen zu sprechen, ohne die Frauen mitzudenken.

Verstehe ich Sie richtig: Sie sehen die Frauen als eine eigene Klasse?

Als Geschlechterklasse, ja. Der Arbeitsbegriff wurde in der Vergangenheit immer mit Produktiv- oder Fabrikarbeit gleichgesetzt. Das ist falsch. Die Arbeit von Frauen, bezahlte und unbezahlte, die Reproduktionsarbeit und die emotionale Arbeit müssen gewichtet werden. Auch in der ökonomischen Theorie. Die linke Politik hat die Geschlechterdebatte total aus den Augen verloren. Sehr zu ihrem eigenen Schaden.

«An Männlichkeit an sich ist ja grundsätzlich nichts falsch. Das Problem ist die soziale Konstruktion von Männlichkeit.»

Nach wie vor wird feministische Ökonomie kaum gelesen. Auch von Männern in der Linken nicht.

Leider. Viele linke Männer denken, es reiche, ein paar Fotos von Rosa Luxemburg oder Eleanor Marx an die Wand zu hängen. Die patriarchale Linke ist in ihren eigenen Dogmen erstarrt. Sie schwebt in einer historischen Reenactment-Blase und wartet auf die Rückkehr des Vergangenen. Wir werden aber nur überleben, wenn wir bereit sind, zu lernen und dieses Wissen an der Realität ausrichten.

Gibt es Männer, die etwas ändern wollen?

Ja, es gibt wunderbare Männer, die bereit sind, uns Frauen wirklich zuzuhören und sich für unsere Anliegen einzusetzen. Aber Feminismus ist nicht cool. Männer, die uns helfen, werden als Frauenversteher diffamiert. Feministen müssen viel einstecken. Dabei zeigen sie wahren Mut: das Ansehen aufs Spiel zu setzen und die eigenen Privilegien in Frage zu stellen. Männer, die das können, sind inspirierend.

Sie schreiben, Männer brauchen den Feminismus. Weshalb?

Viele Männer sind verwirrt und wütend. Sie verstehen nicht, dass sie vom Feminismus in Bezug auf ihren Alltag profitieren könnten. Männer sind oft unglaublich einsam. Täglich müssen sie beweisen, dass sie aus sich selbst heraus stark und mächtig sind. Sie sind in einer von feindlicher Männlichkeit geprägten Welt gefangen.

Was meinen Sie mit feindlicher Männlichkeit?

An Männlichkeit an sich ist ja grundsätzlich nichts falsch. Das Problem ist die vorherrschende soziale Konstruktion von Männlichkeit. Viele Männer möchten anständig, gut und nett zu den Frauen sein, während sie in den dominierenden Erzählungen von Männlichkeit noch immer die Helden der Geschichte sind: mächtige, unabhängige und starke Charaktere, die keine Niederlagen erleben. Das ist verwirrend, weil sich dieses Bild nicht mehr mit der Realität deckt.

Männer sind also ebenfalls Verlierer im kapitalistischen System?

Sie fühlen sich zumindest so! Das Gefühl, ein Verlierer zu sein, gehört heute zum Mannsein dazu. Das Bild eines guten und erfolgreichen Mannes war lange identisch mit dem Bild des guten Arbeiters oder Angestellten und frommen Bürgers. Männer sollten diese Stereotype hinterfragen.

Wir müssen den Begriff des Feminismus bewusst weiter verwenden. Es sind die Stimmen der Frauen, die stören.»

Wieso nennen Sie das Feminismus und nicht Humanismus?

Das fragen alle. Ich spreche ungern von Gleichstellung. Einzig zu erreichen, dass Frauen und Männer gleichgestellt unterdrückt sind, interessiert mich nicht. Aber natürlich geht es auch um Humanismus. Viele Männer übersehen oft ihr Leben lang, dass Frauen auch Menschen sind. Und verpassen so viel Kameradschaft, Freundschaft und Gemeinsamkeit. Mehr Teilhabe an den Frauen und am Weiblichen – darin liegt das Potenzial des Feminismus für die Männer.

Neulich sagte einer zu mir: Nenn dich bloss nicht Feministin, sonst findest du keinen Mann.

Genau deshalb nenne ich mich Feministin. Es regt die Leute auf. Wieso bringt die Vorstellung von Frauen, die für ihre eigenen Rechte kämpfen, die Männer noch immer derart in Rage? Es betrifft sie doch auch! Selbstverständlich sind wir Frauen die treibende Kraft des Feminismus. Doch eine weiblich geführte politische Bewegung irritiert. Feministinnen werden meist mit negativen Klischees stereotypisiert: als alte, hässliche und Latzhosen tragende Lesben.

Wieso werden Feministinnen auf diese Art angegriffen?

Das Problem liegt in unserer Vorstellung von Weiblichkeit und Macht. Weibliche Macht bedeutet immer Schönheit. Aber schön sein meint heute: die Macht befriedigen, sprich den Männern gefallen. Wenn die Hauptkritik am Feminismus also lautet, dass Männer einfach keinen Feminismus mögen, entgegne ich: Feminismus ist nicht dazu da, dass ihr euch gut fühlt! Aber diese Dynamik wird natürlich nie benannt. Keiner sagt dir: Sei keine Feministin, du verärgerst die Männer. Die Leute sagen: Wenn du Feministin bist, bist du hässlich, schreckst die Männer ab und findest keinen mehr. Und deshalb müssen wir den Begriff des Feminismus bewusst weiter verwenden. Es sind die Stimmen der Frauen, die stören.

Auf Twitter kursierte unlängst der Hashtag #feministsareugly und unzählige Frauen haben sich dazu geäussert, weshalb sie den Feminismus nicht brauchen.

Die englische Feministin Mary Beard hat vor Kurzem an einer Podiumsdiskussion gesagt: Es ist ein Triumph des Feminismus, dass mittlerweile auch Frauen dagegen sind. Das stimmt wohl. Der Hass aber, der Feministinnen auch seitens der Frauen entgegenschlägt, basiert auf einer Verzerrung dessen, was Feminismus in öffentlichen Debatten ist. Was hört man von diesen Frauen? «Ich brauche keinen Feminismus, weil ich die Männer nicht hasse.» Es war nie das Ziel des Feminismus, die Männer zu hassen.

In Ihrem Buch fordern Sie eine Meuterei zur Befreiung der Frauen. Weshalb?

Weil wir verstehen müssen, dass das Patriarchat ein abgekartetes Spiel ist. Wir müssen einsehen, dass der Versuch, immer schön, nett, angepasst, liebenswert und begehrenswert sein zu wollen, ein Kampf ist, den alle verlieren. Das Ziel sollte sein, man selbst sein zu dürfen. Dieses Selbst kann alle möglichen Formen haben. Der Popfeminismus redet uns ein, das Einzige, was zähle, sei sich schön zu fühlen. Dabei sollten wir der Schönheit insgesamt weniger Gewicht geben. Ich bin auch nicht schön. Das hat mich trotzdem nie zurückgehalten.

«Schönheit ist vergänglich. Man unterdrückt uns, indem man uns die Zeit raubt.»

Sie verstehen Schönheit ebenfalls als Klassenphänomen?

Ja. Weibliche Schönheit ist Arbeit. Und die zu leisten, ist verdammt anstrengend, hart und teuer. Bei Frauen ist das Alter zentral. Als ich früher mit älteren Männern zu Podiumsdiskussionen eingeladen wurde, begriff ich schnell, dass ich nur die junge Quotenfrau war. Oft fehlte mir Wissen. Ich fragte mich: Wieso laden die keine ältere Frau ein? Wieso bedeutet Fachwissen, Bildung und Erfahrung bei Frauen nicht persönliche Macht? Heute weiss ich: Weil weibliche Macht sich immer nur aus Schönheit speist. Aber die ist vergänglich. Man unterdrückt uns, indem man uns die Zeit raubt.

Sie schreiben für den «New Statesmen» und den «Guardian». Ist der politische Feminismus im medialen Mainstream angelangt?

Langsam, ja. Als ich 2007 mit dem Journalismus begann, war die Feminismusdebatte tot. Ich hatte Glück, in dem Moment anzufangen, als sich im Netz eine neue Bewegung formierte. Die Printmedien orientieren sich nun an den Debatten im Netz, weil sie erkannt haben, dass dort bereits die politische Auseinandersetzung der Zukunft stattfindet. Verglichen mit den Meinungen im Internet ist mein Buch brav.

Das Internet hat den Frauen geholfen, ihre Stimme zu erheben. Dennoch kritisieren Sie die digitale Welt.

Ja, aber ich bin keine Kulturpessimistin. Ich halte mich an das Diktum von Melvin Kranzberg, der sagte: «Technologie ist weder gut noch schlecht, noch ist sie neutral.» Das Internet ist alles gleichzeitig. Ich kritisiere den aggressiven Sexismus und die Belästigung von Frauen im Internet. Das ist eine Reaktion auf das Netz als Plattform für die weibliche Emanzipation.

In der Öffentlichkeit werden Sie stark angefeindet. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe gute Freunde. Wenn nötig, schalte ich die Polizei ein. Und neuerdings thematisiere ich es. Bis vor einigen Jahren glaubte ich, eingeschüchtert und bedroht zu werden, sei Teil des Jobs. Ich suchte den Fehler bei mir. Als Frau in der Öffentlichkeit mit einer politischen Meinung wirst du sexistisch beschimpft. Man sagt dir, du hättest es selbst herausgefordert. So, wie es heute wieder salonfähig ist, Frauen in kurzen Röcken zu mahnen: «Vorsicht, damit provozierst du die Männer.»

Frauen in kurzen Röcken werden begehrt. Ist dieses Begehren bereits sexistisch?

Nur wenn es einseitig ist und über eine Vergegenständlichung dazu führt, dass Frauen zu Objekten werden. Die Vergegenständlichung in der immer gleichen Art ist nichts anderes als Unterdrückung. Nicht der Sex ist das Problem, sondern der Sexismus. Wir bemerken ihn nicht mehr, weil unsere Gesellschaft glaubt, sie sei sexuell befreit. Wir sitzen hier in Soho, dem Quartier der Schwulen und der Sexarbeiterinnen. Aber selbst hier hat die sexuelle Revolution nie stattgefunden. Weil es den Frauen und den Queers nach wie vor nicht erlaubt ist, Begehren auf die gleiche Art auszuleben wie die Männer – und wahllos rumzuvögeln.

Daher der Buchtitel «Unspeakable Things»? Über Begehren dürfen Frauen nicht sprechen?

Genau. In einer ersten Version des Buchs hatte ich mehr Sex drin. Ich habe alles rausgestrichen; mein Innerstes habe ich aus dem Buch rausgestrichen. Und mich später gefragt: Wieso habe ich das gemacht? Weil es einfacher ist, über sexuelle Gewalt zu sprechen als über meine positiven sexuellen Erfahrungen als Frau. Über uns Frauen wird viel schneller und härter geurteilt. Ich habe richtig viel rumgebumst in der Vergangenheit. Nun fehlt mir leider die Zeit dafür. Nehmen Sie das ruhig alles so rein.

Weshalb werden Frauen stärker moralisiert?

Weil unsere Sexualität kontrolliert werden muss. Über weibliche Sexualität wird immer in einem Atemzug mit Gefahren und Risiken gesprochen. Schauen Sie sich die Debatten über Verhütung und Abtreibung in den USA an: Es wird Krieg geführt gegen die freie Sexualität von Frauen.

«Frauen handeln Sex gegen Wohlstand oder Sicherheit. Die Prostitution bedroht diese gesellschaftliche Konzeption.»

Kommt daher auch der Widerstand gegen die Prositution?

Ja, wir sind beherrscht von der Idee, dass die weibliche Sexualität ein Verhandlungsdruckmittel sei: Sexarbeiterinnen drücken den Preis, weil sie Sex zu billig verfügbar machen. Sex ist etwas, was Männer den Frauen antun. In unserer Gesellschaft wollen wir aber nicht, dass Sex leicht zu haben ist. Wir alle müssen für Sex bezahlen, aber nicht mit Geld. Frauen handeln Sex gegen Wohlstand, Wohlbefinden oder Sicherheit. Die Prostitution bedroht diese gesellschaftliche Konzeption.

In der Schweiz steht die Frage der Prostitution im direkten Zusammenhang mit der Gentrifizierungsdebatte. Es geht um die Aufwertung von Stadtvierteln, gibt sich aber als vermeintliche Sorge um die Sicherheit der Sexarbeiterinnen aus.

Das geschieht überall, auch hier in London. Es werden Razzien in Bordellen durchgeführt unter dem Vorwand, man suche Opfer von Menschenhandel. Die Einkünfte der Sexarbeiterinnen werden beschlagnahmt, sie verlieren ihre Wohnungen und verschwinden in den Untergrund. Frauen arbeiten aber in Gruppen, weil es sicherer ist für sie. Ganze Stadtteile werden unter dem Vorwand der Sicherheit aufgeräumt und das Sexgewerbe vertrieben. Dabei will keiner die Prostitution abschaffen. Man will bloss eine Welt ohne sichtbare Prostitution.

Ist es möglich, über stigmatisierte Frauen zu sprechen, ohne selbst betroffen zu sein?

Selbstverständlich kann ich über bestimmte benachteiligte Gruppen sprechen, solange ich nicht für sie spreche. Das ist der Vorteil am Internet: Wenn ich mich zu einer bestimmten Gruppe äussere, kann ich davon ausgehen, dass diese Leute zuhören und sich wehren. Schreibe ich etwas Falsches über Sexarbeiterinnen, melden die sich fünf Minuten später und sagen mir: Laurie, du bist eine Idiotin. Das ist es, was der Feminismus will. Nicht rumbrüllen, sondern einen Dialog führen.

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«Wir brauchen eine neue feministische Debatte», schreibt Natascha Wey in ihrem Debatten-Beitrag für die TagesWoche.

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