Die SP will die Ausländerpolitik mitgestalten. Doch im neuen SP-Papier «Für eine umfassende und kohärente Migrationspolitik» steht wenig Neues. Die Kritik an der Personenfreizügigkeit mit der EU nimmt innerhalb der Partei jedoch zu.
Die harsche Kritik von Links kam prostwendend: «Ungenügende Analyse» und «fehlende sozialdemokratische Visionen», attestierten die Jungsozialisten (Juso) dem neuen SP-Grundlagenpapier zur «Kohärenten Migrationspolitik» zeitgleich mit dessen Präsentation heute in Bern. Das Papier reduziere «die Migrantinnen und Migranten lediglich auf ihre Funktion als wohlstandsfördernde Wirtschaftssubjekte», halten die Juso in ihrer schriftlichen Stellungnahme fest. Sie konstatieren: «Flankierende Massnahmen sind nicht ausreichend und die parasitäre Bildungs- und Wirtschaftspolitik, die anderen Staaten Wissen und Wohlstand entzieht, gehört ebenso bekämpft.»
Flankierende als Wundermittel
Tatsächlich bringt das «neue» Papier viel alten Wein in neuen Schläuchen: Die SP-Genossen schwingen in der über 60 Seiten starken Broschüre über 20 Seiten hinweg weiterhin das Wundermittel «flankierende Massnahmen» wie einen Zauberstab. Diese «Flankierenden», die sie jetzt einfach «Flankierende Plus» nennen, ersparen ihnen eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Problematik der EU-«Personenfreizügigkeit», die vom linken Flügel der Partei längst als neoliberales Konstrukt zur grenzüberschreitenden Ausbeutung entlarvt ist.
Die Zürcher Ökonomin und SP-Nationalrätin Jacqueline Badran etwa nennt die Personenfreizügigkeit «eine neoliberale Felkonstruktion, in der die Gewinnerin immer das Kapital ist». Denn: «Die europäische Bevölkerung wird zu mobilen Humankapitaleinheiten degradiert», stellte Badran in der TagesWoche fest. Und auch der frühere SP-Nationalrat und Preisüberwacher Rudolf Strahm warnt: «Die Personenfreizügigkeit passt schlecht zur Schweiz.» Er mahnt die SP-Führung: «Die SP-Basis denkt anders.»
Kritiker bleiben daraussen
Doch Badran und Strahm haben an dem abgehoben und beschönigend daherkommenden Schreibstuben-Papier nicht mitgearbeitet. Darum betont dieses jetzt vor allem «die positive Rolle der Migration zur Förderung von Entwicklung sowie Verringerung von Armut». Es gehe darum, «die positive Rolle» der Migration «breit zu anerkennen und zu stärken». Statt die brutale Realität der unfairen Konkurrenz lohndrückender Unternehmen gegen anständige Firmen und das Elend der Wanderarbeiter zu thematisieren, finassiert das SP-Papier mit neuen Begriffen wie der «Migrationspartnerschaft» oder einem «Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit» herum.
Und es behauptet: «Die wichtigste Ursache für erzwungene Migration bildet heute der Klimawandel und dadurch verursachte Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Stürme.» Damit wird Migration entweder positiv schöngeredet oder als Schicksal dargestellt – wie Sonnenschein und Regenwetter. Und die realen Probleme der Personenfreizügigkeit, welche die Kritiker in der SP und in den Gewerkschaften längst geortet haben, bleiben verdrängt.
Vermischt werden zudem die Flüchtlingsproblematik und die wirtschaftlich geförderte Arbeitskräfte-Migration der EU. Und während das Papier einerseits «die menschenunwürdigen Szenen» beklagt, «die sich an einigen Rändern der Festung Europa abspielen», fordert es andererseits doch «die Einbindung und Mitwirkung der Schweiz in der europäischen Migrationspolitik» – also Mittäterschaft bei der gewaltsamen Verteidigung der üblen Festung.
Streit ist programmiert
Damit ist der parteiinterne Streit programmiert. Er soll nun zunächst in den Sektionen der SP ein halbes Jahr lang geführt werden. Und dann kommt es am SP-Parteitag in Lugano am 8. und 9. September zum grossen Finale: «Das letzte Wort hat der Parteitag», steht schon auf der ersten Seite der Bröschüre.