Die Stadt wird neu gebaut

Bei den meisten Menschen regt sich nichts, wenn sie das Wort «Stahlcontainer» hören. Zu unrecht: Diese Kisten revolutionierten die Welt. Und jetzt verändern sie auch noch Basel – und geben der Stadt ein neues Gesicht.

Wie ist ist – und wie es werden soll. (Bild: Stefan Bohrer)

Ein Stahlcontainer revolutionierte die Welt. Und jetzt verändert er auch Basel – wegen ihm erhält die Stadt ein neues Gesicht.

Das Böse breitet sich immer mehr aus, unerbittlich. Dabei wirkt es auf den ersten Blick eher harmlos, freundlich schon fast mit seinen heiteren Farben Orange, Rot und Blau.

Doch der Eindruck täuscht. Der Stahlbehälter ist böse. Er hat das Schönste auf der Welt kaputt gemacht, die Schifffahrt. Das sagen sie alle im Klein­hüninger «Seemannskeller», wo sich die alten Matrosen der Region Basel einmal im Monat zum Hock treffen. «Wegen dieser Kiste geht das Laden und Löschen heutzutage ruckzuck, wie am Fliessband», sagen sie. Da bleibt keine Zeit mehr, um in einer Hafenkneipe ein, zwei Biere hinter die Binde zu kippen und mit den anwesenden Frauen ein bisschen zu pläuderlen und so.

Keilereien mit Skandinaviern

Diese zwei, drei netten Stunden waren früher der wohlverdiente Lohn für die vielen harten Tage auf See. Manchmal bot sich nach einem angeregten Abend in einer Knille sogar die Gelegenheit für eine anständige Keilerei, im Idealfall gegen die Skandinavier: Die waren aggressiver als alle anderen, darin ist man sich im Seemannskeller ebenso einig wie beim Thema Frauen – die schönsten gibt es in Santos, ganz eindeutig und ganz im Gegensatz zu jenen in China, diesem «Eunuchen-Land» (mehr dazu auf den Seiten 10/11).

Die Nordmänner, das waren noch richtige Gegner, an denen man sich messen konnte. Gegen die technische Entwicklung waren dagegen selbst die Schweizer machtlos. Und damit auch gegen die Container.

Die Wunderwaffe aus dem Vietnamkrieg

Der Triumphzug der stählernen Kiste fing in den 1960er-Jahren an, bezeichnenderweise in einem Krieg, in dem der einzelne Matrose, der einzelne ­Soldat gar nichts galt und Tempo und Effizienz alles waren. Den Vietnamkrieg verloren die Amerikaner zwar, im Welthandel wollte aber bald niemand mehr auf ihre logistische Wunderwaffe verzichten. Im Container konnten die Waren gut verpackt und ohne mühsames Umladen ans andere Ende der Welt geschickt und nach der Verarbeitung bei Bedarf auch wieder zurückbeordert werden, ohne dass die Transportkosten gross ins Gewicht fielen.

Das war der Beginn der Globalisierung. Seither sind auf den Weltmeeren mehr und mehr Waren ­unterwegs, die Container werden grösser und mit ­ihnen wachsen auch die Schiffe. Schon heute gibt es Un­getüme von 400 Meter Länge und 60 Meter Breite, die bis zu 15 000 Container laden können – und noch grös­sere sind bereits im Bau.
Anlaufen können sie nur noch die allergrössten Häfen: Rotterdam, Hamburg, Antwerpen und das britische Felixstowe in Europa, die nun daran sind, ihre Kapazitäten zu erweitern, teilweise aufs Doppelte oder Dreifache. Mittelmeerstädte wie Genua haben möglicherweise eine grosse Vergangenheit als Seefahrerstaaten, aber keine Zukunft mehr für das ganz grosse Container­geschäft.

Fluch und Chance

Für den Seemannskeller ist diese Entwicklung ein Fluch, für Basel könnte sie aber auch eine Chance sein. Denn der Container wird auch diese Stadt noch stark verändern. Dafür sorgen die holländischen Behörden mit ihrer Vorgabe, dass ab dem Rotterdamer Hafen künftig mindestens zwei Drittel der Waren per Schiff oder Bahn weitertransportiert werden müssen, damit es auf den Strassen nicht zum Verkehrskollaps kommt.

Darum rechnet man nun auch im Kleinhüninger Hafen mit einem deutlich grösseren Warenumschlag. Die Rede ist von einer Verdoppelung bis 2030, was den Bau eines neuen Containerterminals nötig macht – die Gelegenheit, um Basel an bester Lage am Rhein neu zu erfinden und neu zu bauen. Ein Traum, den diese Stadt schon seit Jahren hat, weil sie in ihren engen Grenzen kaum mehr wachsen kann.

Direktoren staunen Bauklötze

Zumindest im Kleinformat existiert die neue Stadt bereits. Und ihr Anblick begeistert auch gestandene Männer wie Hafendirektor Hans-Peter Hadorn und den Basler Volkswirtschaftsdirektor Christoph Brutschin (SP). Wenn sich die beiden Herren über das Modell mit den Bauklotzhäuschen beugen, strahlen sie fast noch mehr als ein kleines Kind vor seinem ersten selbstgebauten Türmchen, das länger als drei Sekunden hält.

Stolz zeigt Brutschin auf «Rhein­hattan», die Hochhäuschen auf dem neuen Klybeck­inselchen, und schwärmt: «Schöner wohnen mit einem noch schöneren Ausblick – das geht fast nicht!» Oder vielleicht doch? In den neuen, attraktiven Häuserzeilen am Land zum Beispiel. Da lasse sich nicht nur wohnen, sondern auch leben, richtig leben. Und arbeiten. «Da entsteht ein neuer Stadtteil, der alles hat – Geschäftshäuser, Wohnraum, Kulturbetriebe, Restaurants und Hotels», sagt Brutschin.

Über eine zusätzliche Rheinbrücke soll das sogenannte «New Basel» zudem mit Hüningen verbunden werden – ein weiteres Wachstumsgebiet. Insgesamt 20 000 Menschen sollen schliesslich in diesem ­Dreieck zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich wohnen und arbeiten. Es sind schöne ­Pläne, die schon seit Längerem in dieser oder in ähn­lichen Formen bestehen; bis jetzt wurden sie in der Öffentlichkeit aber eher zurückhaltend aufgenommen – als Luftschloss.

Planung wird konkret

Das dürfte sich nun ändern. Denn bei den Schweizerischen Rheinhäfen wird die Planung eines neuen Hafen­beckens konkret, wie Direktor Hans-Peter Hadorn der TagesWoche bestätigt. Im Anschluss an das Hafenbecken 2 soll auf dem Gelände des ehemaligen ­Badischen Rangierbahnhofs das neue Hafenbecken 3 mit einem Terminal entstehen. Nach dem Bau könnte die Containerlogistik vom Westquai dorthin verlegt werden – womit am Rhein Platz frei wird für neue Häuser. Die Kosten veranschlagt Hadorn auf 80 bis 90 Millionen Franken für das Hafenbecken und auf 60 bis 70 Millionen für den Containerterminal.

Bei der Finanzierung kommt dem Rheinhafen entgegen, dass SBB Cargo von den Terminal-Plänen fast so begeistert sind wie Brutschin von «Rheinhattan». «Dank seiner Lage direkt am Hafen und am Bahnkorridor Rotterdam–Genua eignet sich Basel Nord wie kein zweites Areal als Gateway», sagt Presse­sprecher Christoph Rytz: «Das ist genau das, was die Schweiz braucht. Unsere kleineren und mittleren Terminals sind alle ausgelastet.» Darum planen SBB Cargo nun zwei grosse Drehscheiben – «Basel Nord» für den Umschlag zwischen Schiff und Bahn und «Limmattal» als Umladestation für die Bahn. «Mit diesen beiden Projekten können wir den stark zunehmenden Containerverkehr bewältigen», sagt Rytz. Darum stellen SBB Cargo und der Bund auch finanzielle Beiträge an den Bau der Terminals in Aussicht.

Ein Grund, warum Hafendirektor Hadorn nun hofft, dass der Gateway samt Hafenbecken 3 bis 2016 fertiggestellt wird. Danach könnte das neue Wohn- und Geschäftsquartier am Rhein aufgezogen werden – falls die dort ansässigen Logistikunternehmen nicht auf ihre langfristigen Bauverträge pochen. Die Hafenleitung will ihnen einen Platz am neuen Containerterminal anbieten – eine Offerte, die für die Firmen offenbar interessant ist. André Auderset, Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Schifffahrt und Hafenwirtschaft (SVS), spricht jedenfalls von einem gemeinsamen Werk: «Wenn wir in Basel konkurrenzfähig bleiben wollen, müssen wir diese Pläne unbedingt umsetzen.»

Mehr Diskussionen sind im Basler Kantons­parlament zu erwarten, das voraussichtlich über den Kredit für den Bau des Hafenbeckens entscheiden wird. Zumindest einen Teil der Ausgaben will Christoph Brutschin mit Baurechtszinsen für die neuen Häuser wieder hereinholen. Die Rechnung ist einfach: Je besser die privaten Investoren an den ­Wohnungen verdienen, desto mehr können sie dem Staat abgeben.

Naturschutz kündigt Einsprache an

Ein System, das neben den Hoffnungen auf gute Einnahmen auch Befürchtungen weckt. In Architekturkreisen sind jedenfalls schon jetzt neben Lobeshymnen auch kritische Stimmen zu hören. «Rheinhattan» sei zu unbescheiden für Basel – ein Schickimicki-­Projekt, in dem sich nur Reiche eine Wohnung leisten könnten. Offen sagt das in der Baubranche selbstverständlich niemand, solange es noch Aussicht auf den einen oder anderen interessanten Auftrag gibt. Umso entschlossener werden sich die Bedenken­träger wohl im Grossen Rat äussern.

Weiterer Widerstand ist von Seiten der Naturschützer zu erwarten. Pro Natura sorgt sich um die «ökologisch wertvolle» Pflanzen- und Tierwelt, die in den vergangenen Jahren bei den Bahngleisen entstanden ist. «Wir bezweifeln, dass die Tiere und Pflanzen den Ausbau schadlos überstehen könnten», sagt Geschäftsführer Thomas Schwarze. Darum müsse der Hafen mit einer Einsprache von Pro Na­tura rechnen. Noch hoffe Schwarze allerdings auf eine einvernehmliche Lösung – und genügend gros-sen Ersatzflächen.

Motorschäden, Krankheiten, Taifune

 

Echsen, Baurechtszinsen, Baurechtsverträge – noch gibt es einige Probleme, die Hadorn und Brutschin lösen müssen. Aber warum verzagen?

Was ist das schon im Vergleich zu den Abenteuern, welche die Männer aus dem Seemannskeller über­stehen mussten? Motorschäden, lebensgefährliche Krankheiten und Taifune. Allen Gefahren haben sie standgehalten, nur dem Container mussten sie sich beugen. Und diese erbarmungslose Kiste haben Hadorn und Brutschin ja schon mal auf ihrer Seite.

 

Weitere Fakten

«New Basel», «Rheinhattan»: Zumindest klingende Namen gibt es bereits für die grossen Projekte beim Kleinhüninger Hafen. Und auch an guten Ideen fehlt es nicht: Damit die Hochhäuser an möglichst spezieller Lage gebaut werden können, soll aus der Klybeck-Halbinsel eine echte Insel geschaffen werden – mit der Freilegung des Altrheins, der vor fast hundert Jahren zugeschüttet worden ist.

Ähnliche Projekte, wenn auch nicht ganz so ­spektakulär, gibt es am französischen und ­deutschen Ufer, in Hüningen und Weil. In diesem Herbst haben die drei Städte und Kommunen vereinbart, das Gebiet in den nächsten Jahren gemeinsam weiterzuentwickeln. «3Land» heisst das grenzüberschreitende Projekt, das zusammen mit dem holländischen Planungsbüro MVRDV und den Basler Planern Philippe Cabane und Martin ­Josephy erarbeitet worden ist.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16/12/11

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