Die Störenfriede

Am Beispiel der Unruhen in London vor einem Jahr und den Reaktionen von Sportlern zeigt sich, wie sehr der Profisport politisch indoktriniert ist.

epa02860294 Rioters walk in front of a burning car in Hackney, North London, Britain, 08 August 2011, during the third day of violence in which Police have clashed with rioters in Hackney and vehicles have been set on fire in Peckham and Lewisham. This fo (Bild: Keystone/KERIM OKTEN)

Am Beispiel der Unruhen in London vor einem Jahr und den Reaktionen von Sportlern zeigt sich, wie sehr der Profisport politisch indoktriniert ist.

Während der Unruhen im August 2011 in London haben sich die Fussballer der Premier League über verschiedene Social-Media-Kanäle zu Wort gemeldet. Wayne Rooney und Rio Ferdinand schrieben, sie verstünden nicht, warum jemand so etwas seiner Stadt antue. Solche Störenfriede dürften nicht toleriert werden, meinten die Führungsspieler von Manchester United und forderten die Armee zum Eingreifen auf.

Joey Barton, damals noch im Dienst von Newcastle United und ein Dauer-Twitterer, fügte an: «Diese Unruhen sind das, was passiert, wenn es ungebildeten Leuten langweilig wird. Der Mangel an Bildung führt zur Gewalt. Sie protestieren wegen nichts.»

Der Profifussball ist passé, die Kickstiefel sind an den Nagel gehängt – und also tut Ivan Ergic, was er schon zu seiner Zeit beim FC Basel mit Leidenschaft und nächtelang tat: lesen, nachdenken und schreiben.
Texte von ihm erscheinen schon seit geraumer Zeit in der ser­bischen Zeitung «Politika», auch in Schweizer Blättern hat er ­publiziert. Für die TagesWoche schrieb er unlängst über die Fussball-Euro. Mit diesem Text setzt der 31-Jährige, der zurzeit mehrheitlich in Belgrad lebt, seine ­Autorenschaft für uns fort.

Das Spiel zwischen England und Holland im Wembley wurde wegen angeblicher Sicherheitsbedenken abgesagt, womit der dramatische Effekt nur verstärkt wurde. Dabei ist bekannt, dass Fussballstadien zu den am besten gesicherten Orten gehören, egal wo sie stehen.

Die Manipulation durch Angst ist eine Konstante in den Sicherheitslehrbüchern der Regierungsdienste. Das wird sich wieder während der Olympischen Spiele in London zeigen, wenn Milliarden für die Sicherheit ausgegeben werden und der Militär- und Polizeistaat in Bestbesetzung aufmarschieren wird. Für die unkritischen, nach Unterhaltung lechzenden Fans wird an der Oberfläche aber alles nach einem Topspektakel aussehen.

Sportler sollen Fans beeinflussen

Ferdinand, Rooney und Barton sind Beispiele der Indoktrination von Sportlern. Durch sie soll eine bestimmte Weltsicht gefördert werden, indem sie diese an die Masse ihrer Fans weitergeben. Es ist ein perfektes Beispiel von Interpolation, wie der Philosoph Louis Althusser den Prozess nannte, bei dem sich Menschen einer Ansicht unterwerfen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie tun es aus ihrer Sicht freiwillig, haben aber eigentlich keine Wahl, weil sie dazugehören wollen. Gerade deshalb geniessen Sportler gesellschaftliche Bedeutung, sie sind Koryphäen der Industrie zur Korrumpierung junger Köpfe.

Es ist kein Zufall, dass der Ruf nach einer militärischen Intervention ausgerechnet von einem Fussballer kam. Der Durchschnittsspieler, aber auch viele andere Profisportler wachsen unter militärischen Umständen auf. Sie sind systematisch darauf geschult, brutale Wettkämpfer zu sein, die kein Mitleid mit ihren Gegnern kennen.

Mitgefühl ist das traditionelle Zeichen für Schwäche. So werden Massen von desensibilisierten jungen Leuten kreiert, die solche militärischen Interventionen fordern, ohne dass sie das komplexe System der Ursachen verstehen, welche zu Unruhen wie jenen in London führen. Die erwähnten Fussballer haben auf eine ungewöhnliche Art vergessen, dass sie aus dem gleichen Umfeld kommen wie die pauperisierte Jugend, die mit den Unruhen ihre Unzufriedenheit und Frustration ausdrückte.

Interessant: Barton ist kaum besser ausgebildet als die Unruhestifter

Der Kommentar von Joey Barton ist besonders interessant. Er behauptet: Ungebildete gingen aus Langeweile auf die Strasse, um die Stadt zu zerstören. Die Aussage stammt von einem, der unter den gleichen Umständen aufwuchs wie die «Unruhestifter» und kaum besser gebildet ist. Der einzige Unterschied zwischen Barton und ihnen ist, dass er Talent und Glück hatte und es so schaffte, einen besseren sozialen Status zu erreichen.

Die Medien trafen bei den Unruhen in London die üblichen, gefährlichen Feststellungen, dass die Störenfriede hauptsächlich Migranten und Schwarze seien. Die Demonstrationen zeigten allerdings auch die Umrisse eines zukünftigen Klassenkrieges. Statt aber das ­wesentliche Klassenproblem zu demaskieren, wurden lieber Rassismus und einwanderungsfeindliche Ideologien genährt. Es ist dieselbe Logik, welche 2006 hinter dem brutalen Vorgehen von Nicolas Sarkozy – damals noch Polizeiminister – bei den Unruhen in den Pariser Vororten steckte.

Wenn Krisen oder extreme soziale Umstände ein Land einholen, zeigt sich deutlich, wer auf welcher Seite steht. Darum werden Sportler zu den besten Botschaftern ihres Landes erklärt. Die meisten sind eingelullt in Privilegien. Und um diesen Status nicht in Gefahr zu bringen, sind sie gerade in Krisenzeiten Teil des vorherrschenden Systems und Establishments.

Aushängeschilder der Macht

Ein Blick auf die Gäste von Königin Elisabeth an der Feier zu ihrem 60. Thronjubiläum reicht. Für einen Augenblick zeigte sich dort für die ganze Welt sichtbar der Zeitgeist. Es sind Leute aus der Unterhaltungsbranche wie Tom Jones, Elton John oder Paul McCartney gewesen, die für ihre Loyalität der Krone gegenüber mit dem Titel eines Sir geadelt wurden. Einem Titel, den früher Ritter und Aristokraten erhielten.

Unter den Gästen waren natürlich auch wichtige Sportler wie Sir Bobby Charlton, Sir Alex Ferguson und viele andere Sirs. Es ist angesichts dessen klar, wer die einflussreichen Bürger von heute sind: die Aushängeschilder des Imperiums und dessen Art zu leben.

In Ländern, wo es keine Adelstitel gibt, werden Sportlern Medaillen, Diplomatenpässe oder ein müheloses, aber ertragreiches Amt irgendwo in der sportlichen oder politischen Hierarchie verliehen. Das gewöhnliche Volk, welches verführt wurde, diese Idole zu vergöttern, ist in diesen Kreisen nur Gegenstand des Spottes und Zynismus. Es ist eine dumme, untätige Masse, willkommen nur als passiver Konsument.

Sportler wollten früher Helden sein – nicht Stars

Sportler von früher waren dem Volk näher. Sie wollten Helden sein, nicht Stars. Sie schämten sich ihrer Herkunft nicht. Die Zeit scheint vorbei, in der Sportler noch mit ihrem eigenen Kopf dachten und eine politische Haltung hatten. Und wenn es auch früher nicht viele waren, immer gab es sie – die Rebellen mit einem triftigen Grund. Jene, die offen die Praxis der Sportinstitutionen, Staaten und diejenigen kritisierten, die Hände von Diktatoren schüttelten.

Erinnern wir uns an die US-Leichtathleten John Carlos und Tommie Smith, die mit ihrem Blackpower-Gruss auf die Lage ihrer schwarzen Mitbürger aufmerksam machten. Oder an den eigensinnigen Bobby Fischer. Der ehemalige Schachweltmeister brachte einst das gesamte amerikanische Establishment gegen sich auf durch sein nonkonformes Verhalten. Es gab Athleten, die sich selbst organisierten und parallele Wettbewerbe und Verbände schufen.

Agenten des Establishments

Der Sportler ist sich aber – wie auch die Vertreter der Kulturindustrie – inzwischen unzureichend seiner Rolle in der Gesellschaft bewusst. Er ist zum Agenten der Hegemonie geworden im Sinne des italienischen Philosophen Antonio Gramsci. Der Sportler bekräftigt, verstärkt und unterstützt mit seinem Benehmen, Handeln und seiner Welt­anschauung die vorherrschenden Machtverhältnisse. Der Sport wird so zum Teil einer Pädagogik, die das gewünschte Verhaltensmodell für künftige Genera­tionen lehrt. Die ideologische Inkubationszeit beginnt mit der Schule, vielmehr aber noch mit der populären Kultur und dem Sport in der Kindheit.

Jemand, der die darwinistische Ausbildung zum Profisportler durchlaufen hat, den militanten Geist des Wettbewerbes und den Machismus kennt, den verwundern die Aussagen der erwähnten Fussballer kaum. Aber selbst wenn ein Spieler trotz allem ein bestimmtes Wissen erreicht, bleibt das Niveau der Herablassung und des Konformismus hoch. Genau so, wie das Schweigen über den Dreck hinter den Kulissen des «schönen neuen Sports».

Der Topsportler ist eben ein Teil der Elite, weit weg von den ehemaligen Freunden und Nachbarn, die sich in «Barbaren» verwandelt haben und Städte zerstören.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12.

Übersetzt aus dem Serbischen von Amir Mustedanagic.

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