Die SVP hat ihren zweiten Bundesratssitz schon fast verspielt

Die Blocher-Partei zeigt, wie eine Kampfkandidatur bestimmt misslingt: Wechselnde Ziele, Jekami und Personalnot bei der Kandidatenkür, widersprüchliche Argumentation. Die SVP hat zwar Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat. Ihr wirres Hüst- und Hott verwirrt jedoch Freund und Feind vor der grossen Wahlschlacht am 14. Dezember.

Keine Strategie: Caspar Baader und Jean-François Rime. (Bild: Keystone)

Die Blocher-Partei zeigt, wie eine Kampfkandidatur bestimmt misslingt: Wechselnde Ziele, Jekami und Personalnot bei der Kandidatenkür, widersprüchliche Argumentation. Die SVP hat zwar Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat. Ihr wirres Hüst- und Hott verwirrt jedoch Freund und Feind vor der grossen Wahlschlacht am 14. Dezember.

Zwei Fragen muss die Vereinigte Bundesversammlung (alle 246 National- und Ständeräte beisammen im Nationalratssaal) am kommenden 14. Dezember beantworten. Erstens: Wer soll ab 1. Januar 2011 auf dem freien Sitz der abtretenden SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey Platz nehmen? Und zweitens: Soll die SVP als stärkste Partei im Land ab diesem Datum wieder mit zwei Leuten in der Konkordanzregierung der Schweiz vertreten sein?

Kampfwahl ist nicht Ersatzwahl

Die beiden Geschäfte unterscheiden sich grundsätzlich: Das SP-Geschäft ist eine Ersatzwahl. Es läuft bisher nach Plan. Die SP-Führung hat es zeitlich, thematisch und personell absolut im Griff: Mit dem Freiburger Ständerat Alain Berset und dem Waadtländer Regierungsrat Pierre Yves Maillard stehen zwei Kandidaten bereit, deren Bundesratsqualitäten quer durch die Parteien anerkannt sind. Wie auch der Anspruch der SP als klar zweitstärksten Partei auf zwei Sitze in der Landesregierung kaum bestritten wird.

Unbestritten ist auch der Anspruch der SVP auf zwei Bundesräte. Alles Argumentieren dagegen mit «inhaltlicher Konkordanz» ist Unfug: Das haben die Jungsozialisten (Juso) jetzt gerade wieder klar gemacht. Die SP dürfe sich keine inhaltlichen Vorgaben machen lassen für ihre Beteiligung an der Landesregierung, halten sie fest. Das stimmt: Parteien, die sich inhaltlich auf ein Programm einigen, bilden keine Konkordanz, sondern eine Koalition. In der Konkordanz hingegen hat die SP trotz ihrer minoritären Forderungen nach Armee-Abschaffung und EU-Beitritt Anrecht auf zwei Bundesräte.

Kampfwahl kennt klare Regeln

Genau so sind auch die SVP-Kritik an den Bilateralen und ihr Nein zum EU-Beitritt keine Argumente gegen ihren Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat. Das ist aber die einzige Gemeinsamkeit der SP- und der SVP-Kandidaturen für den 14. Dezember. Die SVP nämlich tritt an zu einer Kampfwahl.

Und da gelten ganz andere Gesetze:

  1. Eine Kampfwahl dreht sich nicht um einen leeren Sitz. Es geht vielmehr darum einen Amtsinhaber anzugreifen und zu besiegen – ihm und seiner Partei also einen Regierungssitz zu entreissen.

  2. Das schliesst eine Zweierkandidatur aus: Diese würde ja die Kampfkraft zersplittern.

  3. Es braucht einen klar profilierten und breit akzeptierten Kampfkandidaten. Einen, dessen Namen am 14. Dezember bis zu 124 der 246 Abgeordnete auf ihren Wahlzettel schreiben können – statt den Namen eines amtierenden Bundesrates.

  4. Das Ziel des Angriffs muss frühzeitig und klar definiert sein, damit sich die notwendigen Verbündeten und Kampfgefährten damit auseinandersetzen können. Die Argumentation gegen den angegriffenen Amtsinhaber muss sorgfältig aufgebaut, konstant und stringent sein.

Kein Ziel, kein Konzept, keine Kandidaten

Alle diese Regeln beachteten die Architekten der sensationellen Blocher-Abwahl vor vier Jahren: Das Ziel war mit «Blocher muss weg» klar und frühzeitig definiert. Mit Eveline Widmer-Schlupf stand eine breit akzeptierte Kampfkandidatin bereit. Der Coup gelang.

Nicht so derzeit die SVP. Ganz im Gegenteil:

  1. Weiss sie noch nicht einmal, ob sie am 14. Dezember mit einem oder zwei Kandidierenden angreifen will: Das hat SVP-Fraktionschef Caspar Baader jedenfalls «offen gelassen», als er nach der letzten Fraktionssitzung seinen Verzicht auf eine Kandidatur erklärte.

  2. Weiss die SVP offenbar selber nicht mehr, wen sie angreifen will: Zuerst stand Eveline Widmer-Schlupf im Visier der Partei. Die SVP-Leitung argumentierte gegen das Verbleiben der BDP-Finanzministerin im Bundesrat mit den bloss 5 Prozent Wähleranteil ihrer Partei. Jetzt geht es plötzlich gegen den Freisinn, der sich zuvor noch als wichtigster Kampfgefährte der SVP gegen Widmer-Schlumpf profiliert hatte.

  3. Von ihrer Forderung nach ja zwei Bundesräten für die drei grössten und einen Sitz für die viertgrösste Partei laviert die SVP-Leitung damit flugs zur Forderung: 2 links für die SP, 2 rechts für die SVP – und je einen in der Mitte für FDP, CVP und BDP. Das widerspricht ihrer früheren Argumentation.

  4. Die Personalnot der SVP ist erschreckend: Ein überzeugender und glaubwürdiger Kampfkandidat ist nirgends in Sicht. Nationalrat Peter Spuhler, der als einziger Deutschschweizer Chancen hätte, hat längst definitiv abgewunken. Der Westschweizer Jean- François Rime, der breit akzeptiert wäre und bereit steht, wird parteiintern mehr demontiert als motiviert: Nächste Woche will der Waadtländer Nationalrat Guy Parmelin offiziell als Konkurrent gegen Rime antreten.  

SVP nach Wahlschlappe von der Rolle

Kurzum: Der Eindruck verdichtet sich, dass die SVP nach ihrer überraschenden Wahlschlappe vom 23. Oktober strategisch und taktisch ziemlich ratlos und von der Rolle ist. Die Chancen, dass ihre Kampfkandidatur am 14. Dezember in einem Fiasko enden könnte, liegen derzeit mindestens bei 70 Prozent.

Artikelgeschichte

8.11. – Korrektur: In der Vereinigten Bundesversammlung sitzen 246 Mitglieder, nicht 248, wie ursprünglich geschrieben. Danke, Willi Schneider, für den Hinweis.

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