Seit einiger Zeit läuft es nicht mehr so gut für die SVP. Grafiken zu ihren Wahlresultaten zeigen nach unten. Kommentatoren fragen, ob die Partei, die während vieler Jahre von Erfolg zu Erfolg eilen konnte, ihren Zenit überschritten hat oder bloss ein vorübergehendes Formtief erlebt, das sich mit den richtigen Gegenmassnahmen schnell überwinden lässt.
Unsere Lagebeurteilungen können von Sympathien und Wunschdenken geprägt sein. Das dürfte für den NZZ-Befund zutreffen, der zum Schluss kommt: «Die SVP röchelt nicht, sie holt Luft.» Hier sei vermieden, das Gleiche in der entgegengesetzten Richtung zu tun, weshalb im Folgenden kein Lied auf den Niedergang dieser Partei angestimmt wird.
Stets im Zentrum der Aufmerksamkeit
Beide Beurteilungen – und auch die hier präsentierte Betrachtung – kommen dieser Partei insofern zugute, als sie stets im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit steht. Als ob nicht von anderen Parteien gleichermassen zu berichten wäre, gilt die Beachtung vor allem dem Abschneiden dieser Partei. Und diese Aufmerksamkeit wusste die SVP jahrelang in Wahlerfolge umzumünzen.
Wovon hängt parteipolitischer Erfolg ab? Davon, dass die brennenden Probleme angegangen und mit ansprechenden Lösungsvorschlägen versehen werden? Welchen Anteil haben dabei das Politmarketing und das verfügbare Geld?
In welchem Mass ist die Schwäche – «das Versagen» –der politischen Konkurrenten eine Voraussetzung für den eigenen Erfolg? Vom Wunsch, an einem in Aussicht stehenden Sieg teilzuhaben, oder von der Bereitschaft, gegen drohende Niederlagen anzutreten? Oder schlicht vom Grad der Aufmerksamkeit, die man sich verschafft und die einem auch zufliegt?
Lahmt die Basis?
Und welche Bedeutung kommt schliesslich der momentanen politischen und wirtschaftlichen Grosswetterlage zu? Die derzeitige Schwäche der SVP wird mit der guten Wirtschaftslage und dem weniger als auch schon brennenden Thema Zuwanderung erklärt.
SVP-Vordenker Blocher meint, dass die Kampfbereitschaft nachgelassen habe. Dem wird wiederum entgegengehalten, dass die starke Zentralisierung der Partei die Gefolgsleute der Basis habe erlahmen lassen, weil sie bloss auf Vollzug getrimmt würden.
Zur Verstärkung ihrer Marketingabteilung sucht die SVP übrigens zurzeit per Inserat eine Fachkraft für Social Media Management – falls jemand aus dem Publikum der TagesWoche daran interessiert ist. «Teleblocher» und was einzelne SVP-Grössen wie Köppel, Matter und Zanetti in halbwegs eigener Sache in die Welt setzen, genügen offenbar nicht mehr. Es sollen vor allem die Jungen mit Politvideos bedient und abgeholt werden.
Der Urbanisierungsgrad der Agglos ist gestiegen und entsprechend geht der Zulauf zur SVP zurück.
Es war vor allem das schlechte Abschneiden in den Zürcher Gemeinderatswahlen, das nach Erklärungen für die jüngsten Misserfolge suchen liess. Die SVP hat bekanntlich grosse Mühe, in den Städten die angestrebte Unterstützung zu erhalten.
Vereinzelte SVPler geben selber zu, dass ihre Partei eine veraltete Politik betreibt, die den Bedürfnissen des urbanen Milieus wenig entspricht, sich nicht für den ÖV, Kitas, Tagesschulen, Quartierzentren und Förderung der Koexistenz unterschiedlicher Lebensstile oder Wertschätzung des öffentlichen Lebens einsetzt.
Dass in Städten (zuletzt auch in Genf) der Zuspruch ausbleibt, ist kein neues Phänomen. Alarmiert hat die SVP aber ihr schlechtes Abschneiden in den «Land»-Gemeinden. Lange Zeit erschien hingegen die fälschlicherweise noch immer dem Land zugerechnete Agglomeration eine Zone mit starker SVP-Unterstützung. Inzwischen ist aber der Urbanisierungsgrad der Agglos gestiegen und entsprechend geht der Zulauf zur SVP zurück.
Anti-SVP-Reflex als Verhängnis
Dramatische Konsequenzen hatte der zurückgegangene SVP-Sukkurs für Ursula Fehr (66), Gemeindepräsidentin von Eglisau. Drei parteilose Kandidaten machten mehr Stimmen als sie. Eglisau ist zwar seit dem Mittelalter ein Städtchen, es liegt jedoch in klassischem SVP-Land. Dennoch wurde Fehr nach acht Amtsjahren, wie sie sagt, der offenbar vorhandene Anti-SVP-Reflex zum Verhängnis.
Sie fühlt sich nun als Opfer eines Feindbildes, das ihrer tatsächlichen Haltung nicht entspreche. Sie betont, das Parteiprogramm sei nie ihr alleiniger Kompass gewesen und dass sie für die Mutterschaftsversicherung und die Krippensteuer eingetreten sei. Ihr dürfte geschadet haben, dass sie die Ehefrau des bekannten, 2015 ebenfalls abgewählten Nationalrats Hans Fehr ist. Zuvor dürfte ihr diese Verbindung auch von Vorteil gewesen sein.
Unzimperlich ausgetragene Rivalitäten gehören zu einer Politik, die aus Dogmatismus und Bauchgefühl besteht.
Die SVP findet man auf allen Etagen des schweizerischen Mehrebenenstaats. Am bedenklichsten ist sie auf Bundesebene, am unbedenklichsten auf Gemeindeebene. Alles zusammen bildet aber eine Maschinerie mit kleineren und grösseren Zahnrädern.
Einzelne Mitglieder bilden Rädchen für die Kantonalpartei und diese wiederum für die gesamtschweizerische Partei. Diese Verknüpfungen können zu Problemen führen. Etwa für die Basler SVP, da sie einer Nationalpartei angehört, welche die Personenfreizügigkeit aufheben will, auf die insbesondere die Basler Wirtschaft angewiesen ist.
Zurzeit hat die Basler SVP, wie man weiss, noch andere Probleme. Den in aller Öffentlichkeit ausgetragenen, mitterweile beigelegten Streit könnte man frohlockend als «Zerfallserscheinung» deuten. Wie frühere programmferne Affären zeigen, gehört jedoch die unzimperliche Austragung von persönlichen Rivalitäten zu Bewegungen, deren Politik weitgehend aus einer Mischung von einfachem Dogmatismus und Bauchgefühl besteht. Dazu gibt es Beispiele auch in Deutschland, Frankreich, und Italien.
So genannter Bruderzwist kann schwächen, er kann aber auch stärken. Interne Lagerkämpfe könnten auch zu einer Mobilisierung von Anhängerschaften führen.
Der Erfolg der SVP besteht auch in der Anpassung der anderen Parteien, CVP-Präsident Pfister ist ein guter Beleg dafür.
Die SVP war für die bürgerlichen Parteien lange Zeit das, was man im Sport einen Angstgegner nennt. Dies wegen ihres Wachstums, von dem man nicht wusste, wann es an Grenzen stossen würde. Es gab die Ambition auf der einen und die Befürchtung auf der anderen Seite, die Partei werde gelegentlich die 30-Prozent-Grenze knacken. Wirksam genug ist allerdings, wenn sie immer wieder darauf pocht, die wählerstärkste Kraft zu sein. Schrecken müsste dies nicht, sofern eine starke Mehrheit dagegen hält.
Der Polit-Experte Michael Hermann weist völlig zu Recht darauf hin, dass Erfolg oder Misserfolg der SVP nicht nur an Wahlstimmen abgelesen werden sollte. Ein substanzieller Teil ihres Erfolgs besteht in der Anpassung der anderen, also darin, dass sich SVP-Politik in benachbarten Parteien eingenistet und entfaltet hat. Der CVP-Präsident Gerhard Pfister ist ein guter Beleg dafür und in geringerem Ausmass auch die FDP-Präsidentin Petra Gössi.
In der CVP haben sich in jüngster Zeit vermehrt Stimmen gemeldet, die sich gegen die Versuche der Parteileitung wehren, mit SVP-ähnlicher Politik verloren gegangene Wähler und Wählerinnen zurückzuholen.
Eine dieser Stimmen ist jene der ehemaligen Gemeindepolitikerin Franziska Driessen-Reding. Als neu gewählte Präsidentin des Synodalrats der Römisch-katholischen Kirche des Kantons Zürich erinnerte sie daran, Weihbischof Peter Henrici habe 2004 erklärt, dass ein guter Christ nicht SVP wählen könne, und fügte, speziell bezogen auf die Flüchtlingspolitik, verhalten bei: «Ich glaube, ich könnte ihm recht geben.»
In der Opposition besser aufgehoben
Das kam bei der SVP nicht gut an. Mit der dienstfertigen Hilfe der Presse konnten gleich mehrere SVP-Politiker und insbesondere Frau und Herr Martullo-Blocher der Öffentlichkeit ihre schärfste Missbilligung verkünden. Blochers Schwiegersohn forderte eine Entschuldigung und den Rücktritt Driessens und erinnerte daran, dass die meisten Steuereinnahmen der Kantonalkirche von SVP-Leuten kämen. Das Gepolter verhallte, Driessen nahm nichts zurück.
Seit den jüngst erlebten Rückschlägen ist der Erfolgszauber gebrochen und aus der SVP einfach eine Partei neben anderen geworden, ein normales, wenn auch, um bei Zahlen zu bleiben, für die grosse Mehrheit weiterhin unerfreuliches Segment des Politspektrums. Dieses ist besser untergebracht als Oppositionskraft in Parlamenten als in der Landesregierung, wo echte Konkordanz herrschen und man sich nicht mit politischen Kuckuckseiern herumplagen sollte.
In der Schweiz werden bereits kleine Sitzgewinne und -verluste als grössere Beben interpretiert und daraus mit Hoffnungen und Befürchtungen Schlüsse für die weitere Entwicklung und den Ausgang der eidgenössischen Wahlen vom Herbst 2019 gezogen. Wie diese ausgehen werden, hängt auch in der vergleichsweise stabilen Schweiz immer weniger von Grundüberzeugungen und immer mehr von unvorhersehbaren Ereignissen und momentanen Verhältnissen ab.