Die teuerste Sparübung des Baselbiets

Wer im Baselbiet sein Kind auf eine Privatschule schickt, soll keine Staatsbeiträge mehr erhalten. Bestraft werden damit Eltern, die den Kanton um Millionen entlasten – und Kinder, für die eine Privatschule oft der letzte Ausweg ist.

Müsste im Baselbiet in den Regelunterricht: der notorische Querulant Bart Simpson. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Das letzte Jahr war ein erfolgreiches für den Baselbieter Finanzdirektor. Anton Lauber konnte 75 Millionen Franken sparen und 32 Stellen streichen. Der CVP-Mann konnte damit schon fünf Millionen mehr kürzen als geplant, und das anvisierte Sparpotenzial ist noch nicht einmal ausgeschöpft.

Am Sonntag könnte sich die Laune Laubers nochmals heben. Dann entscheidet das Stimmvolk über die Streichung der Kantonsbeiträge an Eltern, die ihre Kinder an Privatschulen schicken. Es ist eine lehrbuchhafte Sparvorlage: Leiden wird darunter eine Minderheit, rund 1600 Schüler im Kanton und deren Eltern.

Die Sparmassnahme trifft Eltern ohne hohe Sympathiewerte: reiche Eltern, denen die Staatsschule nicht gut genug scheint.

Eine Minderheit zudem ohne besonders hohe Sympathiewerte: Es sind Eltern, denen die Staatsschule nicht gut genug scheint. Und die genügend Geld haben, um ihren Kindern die Spezialbildung in der International School oder der Steinerschule zu bezahlen.

Es ist auch eine Sparvorlage ohne Opfer. Das behauptet zumindest die Regierung: Kommt der Beschluss durch, würden schlimmstenfalls ein paar Dutzend Schüler aus finanziellen Gründen wieder an die Volksschule zurückkehren. Eine Härtefallklausel werde einkommensschwache Familien unterstützen.

Die Privatschulen könnten das locker wegstecken, schliessen müsse deswegen keine. Hat der Kanton Basel-Landschaft nach all den fragwürdigen Abrissmassnahmen der letzten Monate die perfekte Sparübung gefunden?

Solidarisches Finanzierungssystem

«Wenn die Beiträge wegfallen», sagt Bernhard Bonjour, Mitgründer einer betroffenen Privatschule, «kriegen wir existenzielle Probleme.» Bonjour ist Lehrer an der Schule für Offenes Lernen (SOL) in Liestal. Die von einer Stiftung getragene Schule hat ein solidarisches Finanzierungssystem: Reichere Eltern bezahlen mehr, ärmere werden subventioniert.

60 Schüler besuchen dort einen Unterricht von der ersten bis zur neunten Klasse, ohne Selektion und Noten, mit individuell abgestimmter Förderung und jahrgangsübergreifenden Klassen. Einen Unterricht, der im Schnitt gleich viele Gymnasiasten und erfolgreiche Lernende hervorbringt wie die öffentliche Schule. Der das aber vielfach mit Schülern tut, die in der Staatsschule zerrieben worden sind.

In Privatschulen kommen immer jüngere Kinder, die der Selektionsdruck schon früh geschädigt hat.

Ein wesentlicher Teil der Schüler, sagt Bonjour, komme mit problematischen Erfahrungen von den Staatschulen: Es sind Mobbingopfer und Kinder, die mit dem Druck nicht zurecht kommen oder sich nicht in den Klassenalltag einfinden können. Sie haben oft die ganze Kaskade an Massnahmen hinter sich, mit der Kinder zurück in die Spur gebracht werden sollen.

Es sind aber auch immer jüngere Kinder. «Traditionell werden auf der Sekundarstufe die meisten Opfer produziert, weil dort der Selektionsdruck stark zunimmt. Seit ein paar Jahren aber gelangen vermehrt Eltern mit Kindern zu uns, die erst ein oder zwei Jahre eingeschult sind. Sechs oder sieben Jahre alte Schulverweigerer, die psychosomatische Symptome entwickelt haben wie chronische Kopf- und Gliederschmerzen.»

Es seien Kinder, so Bonjour, denen schon zu Beginn ihrer Schulzeit ein Rückstand attestiert worden sei und die der Druck, aufholen zu müssen, geschädigt habe.

Spezieller Paragraf im Bildungsgesetz

Der Basler Erziehungswissenschaftler Hans-Ulrich Grunder, Professor an der Uni Basel, lobt die SOL für diese Funktion. «Die SOL entlastet den Kanton ohne Zweifel, indem sie sich um schwierige Fälle kümmert und diesen eine ruhevollere Schulzeit ermöglicht.»

Das soll auch in Zukunft vergütet werden, so sagt das zumindest die Baselbieter Regierung. Ein spezieller Paragraf im Bildungsgesetz ermöglicht bei entsprechenden Gutachten den bezahlten Transfer an eine Privatschule. Reine Theorie, sagt Bernhard Bonjour: «Seit ein paar Jahren wendet der Kanton diesen Passus nicht mehr an, egal, wie gross die Notlage eines Kindes ist.»

Jene Schüler, die Privatschulbeiträge erhalten, entlasten den Kanton um geschätzte 40 Millionen Franken im Jahr.

Die soziale Dimension der Sparübung geht so nahtlos in die finanzielle über. Knapp 20’000 Franken pro Jahr kostet ein Schüler den Kanton im Schnitt. Deutlich mehr ist es, wenn ein Kind gesonderte Betreuung verschrieben erhält. Sechs Stunden spezielle Förderung jede Woche kosten 36’000 Franken pro Jahr – all dem stehen 2500 Franken entgegen, die das Baselbiet bislang für den Privatschulbesuch vergütet hat. Jene 1600 Schüler, die Privatschulbeiträge erhalten, entlasten so den Kanton um geschätzte 40 Millionen Franken im Jahr.

Damit arbeiten die Gegner der Sparvorlage. «Volksschule nicht belasten», heisst ihr überparteiliches Komitee, was politisch vielleicht erfolgreich ist, aber auch traurig: Es streicht nicht den Wert der Privatschulen für die Kinder heraus, sondern die Last für die Allgemeinheit, wenn diese wieder öffentlich beschult wären. Gegen die Gesetzesänderung sind die linken Parteien und die EVP.

Letzte Ausweichmöglichkeit

Erziehungswissenschaftler Grunder sagt, der Staat müsse kein Interesse an Privatschulen haben, aber er sollte sie pfleglicher behandeln, weil sie auch eine Art Labor für die Staatsschule seien. «Vielfalt in der Pädagogik ist ein erklärtes Ziel des Staates. Schulen wie die SOL wirken anregend. Sie gehören gefördert.» In Deutschland etwa würden entsprechende Schulen mehrheitlich vom Staat finanziert.

In der Schweiz dagegen hat alternative Pädagogik einen schweren Stand. Nur die Kantone Jura und Luzern finanzieren Privatschulen mit. Steuerabzüge sind verpönt, Beiträge an Schulgelder gibt es nur noch in den Kantonen Baselland und Zug. Auch das ist ein Argument von Finanzdirektor Anton Lauber und Bildungsdirektorin Monica Gschwind, die Beiträge einzusparen.

«Was da passiert, ist saumässig», sagt der Lehrer Bernhard Bonjour. «Die Schule wird immer stärker zentral gesteuert.»

Grunder hält das Sparziel für grundfalsch, Bernhard Bonjour stellt darüber hinaus die aktuelle Bildungspolitik infrage. «Was da passiert, ist saumässig», sagt der frühere Gymnasiallehrer. Die Schule würde immer stärker zentral gesteuert, der Unterricht mit regelmässigen Checks schon von Beginn weg auf Leistung getrimmt.

«Das erklärte Ziel ist, dass alle Kinder an der Staatsschule einen Platz haben. Das klingt toll, hat aber mit der Realität nichts zu tun.» Die Realität sei, dass die Schule zahlreiche Kinder produziere, die nicht mitkommen und in einer Privatschule die letzte Ausweichmöglichkeit haben, so Bonjour. Und diese wird nun vom Kanton bekämpft.

Dabei müsste der Baselbieter Regierung der Wert alternativer Pädagogik eigentlich bekannt sein: Ein Regierungsmitglied schickte sein Kind auf die christlich geleitete Unica Schule in Liestal.

Nächster Artikel