Die Türkei kämpft an vielen Fronten

Mit seiner fragwürdigen Syrienpolitik macht der türkische Präsident Erdogan sein Land nicht nur zur Kriegspartei. Die Türkei droht auch zum Kriegsschauplatz zu werden und bringt damit die europäische Sicherheitsarchitektur ins Wanken.

epa05101260 Police investigators search the scene after a bomb blast at the police headquarters of Cinar District, Diyarbakir, southeastern Turkey, 14 January 2016. A car bomb blast outside a police building in south-eastern Turkey killed at least five people, a news report said on 14 January, citing local officials. Civilians and police were among the dead, and 39 others were wounded in the explosion in the Cinar district of Diyarbakir province, Hurriyet daily newspaper reported, citing a statement from the provincial governor's office. Parts of Diyarbakir province have seen frequent clashes between government forces and Kurdish militants. EPA/STR

(Bild: STR)

Mit seiner fragwürdigen Syrienpolitik macht der türkische Präsident Erdogan sein Land nicht nur zur Kriegspartei. Die Türkei droht auch zum Kriegsschauplatz zu werden und bringt damit die europäische Sicherheitsarchitektur ins Wanken.

Die Spirale der Gewalt in der Türkei dreht sich immer schneller. Erst das Selbstmordattentat eines mutmasslichen IS-Terroristen am Bosporus, bei dem zehn deutsche Urlauber starben, jetzt der Anschlag auf eine Polizeistation im Südosten des Landes, bei dem sechs Menschen ums Leben kamen, verübt offenbar von Rebellen der kurdischen PKK.

Zwischen beiden Terrorakten liegen 1500 Kilometer Entfernung. Aber sie haben miteinander zu tun. Gemeinsamer Nenner ist die Syrienpolitik der türkischen Regierung.

Schon früh nach dem Beginn der Revolte gegen das Regime in Damaskus legte sich der damalige türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan fest: Baschar al-Assad, den er noch kurz zuvor als «Freund» und «Bruder» bezeichnet hatte, muss weg. Der Alewit Assad passte nicht in Erdogans Pläne einer «sunnitischen Achse», die er im Nahen Osten unter Führung der Türkei schmieden wollte.

Die Türkei unterstützte deshalb oppositionelle islamistische Gruppen in Syrien. Nach dem Motto «der Feind meines Feindes ist mein Freund» liess Ankara auch die IS-Terrormiliz lange gewähren. Den Dschihadisten stand die Grenze zur Türkei praktisch offen, sie konnten die türkischen Grenzprovinzen als Rückzugsraum nutzen, verwundete IS-Kämpfer wurden in türkischen Hospitälern kostenlos verarztet. Oppositionspolitiker in Ankara glauben sogar Beweise für Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Dschihadisten in Syrien zu besitzen.

IS zeigt der Türkei sein wahres Gesicht

Mit seiner Syrienpolitik machte Erdogan die Türkei nicht nur zur Kriegspartei, sondern auch zum Kriegsschauplatz. Im Mai 2013 starben in der Grenzstadt Reyhanli 46 Menschen bei der Explosion von zwei Autobomben. Die Attentäter sollen enge Kontakte zum syrischen Geheimdienst gehabt haben.

Dass die türkische Regierung den IS lange verharmloste, hat nicht nur mit Erdogans Kampf gegen Assad, sondern auch mit der Kurdenfrage zu tun: In Ankara sah man die Dschihadisten als Bollwerk gegen Bestrebungen der syrischen Kurden, im Norden des Landes an der türkischen Grenze eine eigene Autonomiezone zu schaffen. Das will Erdogan mit Blick auf die unruhige eigene kurdische Volksgruppe mit allen Mitteln verhindern.

Dass die türkische Regierung den IS verharmloste, hat nicht nur mit Erdogans Kampf gegen Assad, sondern auch mit der Kurdenfrage zu tun.

Deshalb rührte die Türkei auch keinen Finger, als der IS im Sommer 2014 über Wochen die syrische Kurdenstadt Kobane belagerte, einen Steinwurf von der türkischen Grenze entfernt. Damit zog sich Erdogan den unversöhnlichen Hass vieler Kurden zu. Kobane markiert den Beginn der neuen Eskalation des Kurdenkonflikts in der Türkei. Das führte zum Zusammenbruch des mühsam angebahnten Friedensprozesses und des 2013 vereinbarten Waffenstillstands.

Zugleich zeigt der IS nun auch den Türken sein wahres Gesicht. Die Selbstmordattentate mutmasslicher IS-Terroristen auf kurdische Friedenskundgebungen im südosttürkischen Suruc im Juli 2015, in Ankara drei Monate später und jetzt in Istanbul mit zusammen 150 Toten, demonstrieren, wie tief sich die Terrormiliz bereits im Nato-Land Türkei eingenistet hat.

Schulterschluss mit Europa

Erdogan kämpft inzwischen an vielen Fronten. Er hat die Türkei nicht nur in den syrischen Bürgerkrieg verstrickt, sondern mit seiner Syrienpolitik auch den Kurdenkonflikt angefacht, der sich nun zu einer immer grösseren Gefahr für die innere Stabilität des Landes entwickelt. Erdogan setzt auf eine militärische Lösung. Aber die Erfahrung der vergangenen 40 Jahre zeigt, dass dieser Krieg für keine Seite zu gewinnen ist. Die jüngste Offensive der Armee in den Südostprovinzen wird stattdessen die Zivilbevölkerung weiter radikalisieren und der PKK Tausende junge Kurden in die Arme treiben.

Die am Donnerstag gemeldeten massiven Angriffe der türkischen Armee auf IS-Stellungen in Syrien und im Irak scheinen wenigstens eine härtere Linie Ankaras gegenüber den Dschihadisten zu signalisieren. Der Kurswechsel ist überfällig. Die Türkei muss den Schulterschluss mit Europa suchen. Daran haben auch die westlichen Partner Ankaras ein brennendes Interesse. Denn für die Sicherheitsarchitektur der EU und der Nato ist das Land gerade jetzt unverzichtbar.

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