Die vergessene Saat

Grosse Visionen, wenig Erfolg und ungeduldige Politiker: Warum die Baselbieter Wirtschaftsoffensive nicht vom Fleck kommt.

(Bild: Amir Mustedanagic)

Das Baselbiet hat eben erst seine Wirtschaftsoffensive lanciert – und schon verlieren die Politiker die Nerven. Warum eigentlich?

Hier also soll Grosses entstehen. Noch ist auf dem ABB-Areal in Arlesheim allerdings wenig Erbauliches zu sehen, sondern: alte Lagerhallen mit irgendwelchem Gerümpel drin, Industrie­kamine, die längst ausgeraucht haben. Daneben: Parkplätze für Autos, Lastwagen und Busse, ganz neue, ebenso wie alte, kaputte – und irgendwo gammelt auch noch ein Schiffswrack vor sich hin. Ein trostloses Bild.

Nur einer sieht alles ganz anders: Marc-André Giger. Wenn sich der Projektleiter der Baselbieter Wirtschaftsoffensive über die Pläne des ABB-­Areals beugt, erhebt sich vor seinem Auge ein neues Wirtschafts- und Forschungszentrum. Eines, das der Welt wichtige, neue Produkte schenkt und dem maroden Kanton die dringend benötigten ­zusätzlichen Steuermillionen.



Ausgeraucht und ausrangiert: Der Anblick auf dem ABB-Areal in Arlesheim ist trist.

Ausgeraucht und ausrangiert: Der Anblick auf dem ABB-Areal in Arlesheim ist trist.

Giger spricht von einem «Wachstumsgebiet» mit einem «enormen Potenzial», von «wertschöpfungsintensiven Unternehmen», die sich ansiedeln und damit noch weitere Unternehmen anziehen werden. Es ist eine Entwicklung, über die Giger ­stundenlang reden kann, so sehr begeistert ihn die Vision – ein starker Wirtschafts- und Forschungs­standort Baselland. Ein neuer Kanton.

Noch ist der Gegensatz zwischen Sein und seiner Vision gewaltig – auch im Gebiet Salina Raurica. Auf dem schier endlosen Feld zwischen der extrem befahrenen Autobahn und der sehr stark befahrenen Rheinstrasse ist auf weiten Teilen – gar nichts. Einen scheuen Hinweis auf den Aufbruch in eine neue Zeit liefern höchstens die Bauprofile am Prattler Ende neben der leer geräumten Krötengrube. Hier kann, hier soll neben der ausgesteckten Produk­tionshalle von Coop noch weiter gebaut werden. Aber bis wohin? Mitten im Areal steht noch immer stur die alte Kläranlage. Keine gute Nachbarschaft für die so sehnlichst erwarteten «wertschöpfungsintensiven Unternehmen».




Salina Raurica: Die grosse Hoffnung der Baselbieter Wirtschaftsoffensive zeigt erst kleine Spuren der Entwicklung. (Bild: Amir Mustedanagic)

Nur Giger sieht auch hier alles anders – und eine «Greencity» vor sich wachsen. Eine neue, grüne Stadt zum Forschen, Leben und Arbeiten, mit Labors, Wohnungen, Restaurants, Parks, mit allem Drum und Dran.
Es sind grossartige Ideen, die Giger hat. Das Problem ist, dass sie eigentlich schon sehr, sehr bald verwirklicht sein müssten.

Im Frühjahr 2012 hat die Baselbieter Regierung die Wirtschaftsoffensive angekündigt und dem damaligen Pricewaterhouse-Coopers-Direktor Giger die Leitung übergeben. Seine Aufgabe: Neben den vier grösseren Gebieten ­(Salina Raurica, ABB-Areal, Dreispitz, Ergolzachse mit Schwerpunkten in Pratteln und Liestal) auch noch 33 kleinere Areale bis 2018 so weit zu entwickeln (Liste der Areale mit Lage), dass sich die Einnahmen aus den Unternehmenssteuern um 50 Prozent erhöhen. Bis jetzt stammt im Kanton nur etwa jeder zehnte Steuerfranken aus der Wirtschaft.

Zu lange wurde zu wenig getan

Eine mickrige Quote – und eine logische Folge des jahrelangen Nichtstuns. Unter dem früheren Finanzdirektor Adrian Ballmer (FDP) gab es noch gar keine Wirtschaftspolitik, die diesen Namen wirklich verdient hätte. Steuern senken und sparen, darin erschöpfte sich die ganze Strategie.

Das reicht, um neue Unternehmen anzuziehen, dachte man. Ein Irrtum, den die Regierung 2012 korrigiert hat. Oder besser gesagt: korrigieren wollte. Denn schon jetzt zeigt sich, dass das Ziel, die Steuereinnahmen bis 2018 markant zu heben, verpasst wird, was im Landrat schon einige böse Kommentare provoziert hat.

Und auch die einflussreiche Wirtschafts­kammer stellt den Start der Wirtschaftsoffensive als verunglückt dar, weil im Gebiet Salina Raurica nun als erstes Coop mit einer Produktionsanlage einzieht. Das sei ein schlechtes Signal, heisst es bei der Wirtschaftskammer. Die wirklich «wertschöpfungsintensiven Unternehmen» würden sich nun nicht mehr so einfach nach Pratteln holen lassen.

Auch nicht besser ist die Situation auf dem ­ABB-Areal in Arlesheim. Dort steht zwar schon ein ­einsamer Neubau. Hier hat aber kein ­lukrativer Hightech-Betrieb seinen Sitz, sondern die Stamm Bau AG, die man in Binningen lieber nicht mehr ­haben wollte, weil sie die Ortsentwicklung ­hemmte. All diese Schwierigkeiten sind der Grund, weshalb mit den Grünliberalen bereits eine Partei die Baselbieter Wirtschaftsoffensive schon fast für gescheitert erklärt.

Zu diesen Überlegungen passt das vom Bund lancierte Projekt eines Innovationsparks Region Nordwestschweiz für Start-ups, Spin-offs und Forscherteams mit den besten Köpfen aus den grossen Life-Sciences-Unternehmen der Region, der Universität und der Fachhochschule. Möglicher Standort: das Gebiet Bachgraben.

Der Park könnte schon die nächste «ausgezeichnete Referenz für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Baselland» sein. Was der stolze Bildungsdirektor in der allgemeinen Vorfreude lieber nicht sagt: Gratis werden die Vorzeigeinstitutionen nicht zu haben sein. Das gilt wohl selbst für das Tropeninstitut, das seine Ausgaben von 70 Millionen Franken pro Jahr bis jetzt zum grossen Teil mit Beiträgen der Weltbank, der WHO oder der Bill Gates Foundation abdeckt. Das sind alles erfreuliche Engagements, aber keine, die längerfristig gesichert wären. Umso wichtiger wären zusätzliche staatliche Gelder – auch aus dem Baselbiet, das bis jetzt noch gar nichts zahlt.

Das ist das Hauptproblem der Wirtschaftsoffensive: Bevor sie dem Kanton höhere Einnahmen bringt, muss dieser investieren. In neue Strassen und neue ÖV-Linien. In die Verlegung störender Bauten wie der Kläranlage im Gebiet Salina Raurica. In die Zusammenarbeit mit der Universität, der Fachhochschule und Forschungseinrichtungen wie dem Tropeninstitut. Kann sich der finanziell angeschlagene Landkanton das alles leisten? Will er das überhaupt?

Das Baselbiet hat gar keine andere Wahl, würde Giger antworten: Es muss investieren. Health ­und Life Sciences basierend auf Innovation – das ist die Zukunft des Kantons. Was gut ist für die Stadt, kann fürs Land nur recht sein, denkt er sich.

Auch in diesem Punkt hat Giger aber einen ganz speziellen Blickwinkel. Andere wichtige Figuren in der Baselbieter Wirtschaftspolitik sehen es anders. Beispiel Nummer 1: Thomas de Courten, der eigentlich mit und nicht gegen Giger arbeiten müsste. De Courten ist bei der kantonalen Wirtschaftsförderung für die Bestandespflege angestellt. Als SVP-Politiker lästerte er aber schon immer über die ­angeblich verschwenderische Stadt und ihre starke Ausrichtung auf die Life Sciences. Und selbstverständlich stand der Nationalrat auch hinter der ­Abschottungsinitiative seiner Partei, obwohl das Ja zur sogenannten Masseneinwanderungsinitiative für Unsicherheit in den Unternehmen sorgt und Investitionsentscheide erschwert, wie Giger feststellt.

Zweites Beispiel: Christoph Buser. Der Direktor der einflussreichen Wirtschaftskammer und FDP-Landrat drängt mit politischen Vorstössen und Studien, die in seinem Auftrag entstanden sind, schon seit Längerem darauf, dass es mit der Baselbieter Wirtschaftsoffensive nun endlich vorwärtsgeht. Gleichzeitig lanciert seine Partei einen Vorstoss nach dem anderen mit dem Ziel, bei der Hochschulen zu sparen. Oder anders gesagt: bei der Innovation, die Giger so wichtig ist.

Health ­und Life Sciences basierend auf Innovation – das ist die Zukunft des Kantons.

Diese Unentschlossenheit ist typisch, nicht nur für Buser und die einst staatstragende FDP, sondern für das ganze Baselbiet. Für diesen Kanton, der nicht so recht weiss, was er ist und was er sein soll. Für diesen Kanton, der auseinanderfällt in die stadtnahen Gemeinden, die auf einen Boom hoffen können, und die Täler im Oberbaselbiet, die höchstens indirekt von der Wirtschaftsoffensive profitieren werden, weil sie zu weit weg sind vom wirtschaftlichen Zentrum der Region.

Wofür soll sich das Baselbiet entscheiden? Für mutige Investitionen oder fürs vorsichtige Sparen?

Antworten darauf wird die Regierung in den nächsten Wochen und Monaten in ihren Vorlagen über die Weiterentwicklung der einzelnen Areale liefern. In ihrer neuen Zusammensetzung könnte sie schon ein bisschen etwas Zukunftweisenderes zustande bringen als die alte. Immerhin hat sich Thomas Weber (SVP) schon in seinem ersten halben Jahr als pragmatischer Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor profiliert, der ebenso offen wie entschlussfreudig ist. Und der neue Finanz­direktor Anton Lauber (CVP) bringt aus Allschwil die besten Referenzen mit, wo er als Gemeindepräsident für das im Baselbiet einzigartige Wirtschaftswunder im Gebiet Bachgraben verantwortlich war.

Sollten die Widerstände in Regierung und Parlament trotzdem gross sein, hat Visionär Giger auch noch ein paar ganz alte Weisheiten parat. Solche, die gerade in einem Landkanton alle verstehen sollten. Zum Beispiel: «Wer ernten will, muss zuerst säen.»




Den Boden bereiten für die Wirtschaft dauert, auch in Allschwil ging es nicht von heute auf morgen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 28.02.14

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