Die wichtigsten Antworten zur Situation in Nepal fünf Wochen nach dem Beben

Fast 9000 Menschen fielen den Erdbeben in Nepal zum Opfer. Unser Autor bereist zurzeit das teilweise total zerstörte Land. Sechs Antworten auf die wichtigsten Fragen zur aktuellen Situation kurz vor dem Monsun Mitte Juni.

Diese Schule im Dorf Gang in der Provinz Sindhupalchok ist komplett zerstört. Damit die Schule in den betroffenen Regionen wieder aufgenommen werden kann, errichten Helvetas und die Caritas provisorische Schulzelte.

(Bild: Matthias Strasser)

Fünf Wochen nach dem ersten schweren Erdbeben findet Nepal langsam zu einem improvisierten Alltag zurück. In Kathmandu hat das Gewerbe den Betrieb wieder aufgenommen, Schulen und Universitäten öffnen. In abgelegenen Regionen gibt es aber noch immer Dörfer, die auf sich alleine gestellt sind.

Nepal wurde am stärksten von den beiden schweren Erdbeben in Südasien getroffen. Das erste traf die Region Ende April mit einer Stärke von 7,8, das zweite – Mitte Mai – mit 7,2 auf der Richter-Skala. Nach aktuellen Erkenntnissen starben über 8800 Menschen. Doppelt so viele dürften verletzt worden sein. Hilfsorganisationen erreichen noch immer täglich Gebiete, die bisher keine Hilfe erhalten haben.

Wie schaut Nepal fünf Wochen nach dem Erdbeben aus?

In der Hauptstadt Kathmandu und auch in den regionalen Zentren öffnen die Läden ihre Türen wieder. Nach dem Erdbeben von Ende April und auch nach dem schweren Nachbeben Mitte Mai waren diese für knapp zwei Wochen geschlossen. Nun kommt das öffentliche Leben langsam wieder in Gang. Dennoch sind Tausende Nepalesen nach wie vor nicht in ihrer Heimatregion. Sei es, weil sie die Hauptstadt Kathmandu nach dem Beben verlassen haben oder weil sie in die Hauptstadt evakuiert wurden, um dort medizinisch behandelt zu werden. Dabei wurden viele Betroffene – auch Kinder – von ihren Angehörigen getrennt.

Welche Gegenden sind am stärksten von den Schäden betroffen?

Die Regionen mit den Epizentren der beiden starken Beben liegen ausserhalb der Hauptstadt in ländlichen, zum Teil bergigen Regionen. Die Hauptstadt mit deutlich über einer Million Einwohner ist zwar ebenfalls stark beschädigt. Einzelne Häuser stürzten ein, darunter der bei Touristen beliebte 61 Meter hohe Dharahara-Turm. Die meisten Häuser sind beschädigt, stehen aber noch. Dennoch können viele davon nicht mehr betreten werden. Weit grössere Schäden hat das Beben in den ländlichen Regionen angerichtet, wenig ausserhalb von Kathmandu steigt der Anteil komplett zerstörter Gebäude massiv an. In den ländlichen Regionen gibt es Landstriche, in denen auf Hunderten Quadratkilometern kein intaktes Gebäude mehr steht. Teilweise hat das Erdbeben ganze Dörfer dem Erdboden gleich gemacht, die Zerstörung ist mitunter total. Stark betroffen sind etwa die Distrikte Dolakha und Sindhupalchok, nordöstlich der Hauptstadt.

Fast täglich werden Nachbeben registriert, zum Teil relativ starke. Wie geht die lokale Bevölkerung damit um?

An die kleineren Beben haben sich die Nepalesen gewöhnt. Vor den grösseren Beben haben sie Angst. Insbesondere das schwere Nachbeben am 12. Mai hat stark auf die Moral geschlagen. Weil viele Bewohner ihren Häusern nicht mehr vertrauen, selbst wenn diese noch stehen, haben sie neben den Häusern und in Parks Zeltlager errichtet. Starke Nachbeben drohen auch die Wiederaufbaubemühungen zunichte zu machen. Mitunter kursieren Gerüchte wonach das grösste Erdbeben noch bevorsteht. Unter Kindern macht die Geschichte Angst, dass sich die Erde öffnen könnte und alles verschlingen wird. Das führt zu grosser Verunsicherung.

Kommt die internationale Hilfe in Nepal an und werden alle betroffenen Gebiete erreicht?

Die nepalesische Regierung und die zahlreichen Hilfsorganisationen setzen derzeit alles daran, dass die Hilfe auch abgelegene Gebiete erreicht. Dies gestaltet sich schwierig, da alle Hilfsgüter in Nepal auf der Strasse oder in der Luft transportiert werden müssen. Die Strassen sind jedoch in einem sehr schlechten Zustand. Meist handelt es sich auch bei Hauptverkehrsachsen lediglich um Schotterpisten. Viele Dörfer sind zudem nicht an das Strassennetz angeschlossen und nur zu Fuss erreichbar. Transporte brauchen deshalb sehr viel Zeit. Täglich berichten Hilfswerke, sie würden Dörfer erreichen, die bisher keine Hilfe gesehen haben. Die grösste Herausforderung für die Helfer ist der Mitte Juni anstehende Monsun. Je nach Stärke wird er die weitere Hilfe in abgelegenen Regionen nahezu verunmöglichen.

Wie geht die lokale Bevölkerung mit der aktuellen Situation um?

Die ganze Bevölkerung ist von dem Beben betroffen. Die allermeisten Familien haben Angehörige verloren, viele davon mehrere. Aber das Land richtet sich erstaunlich schnell wieder auf. Viele Nepalesen haben die alten Wellblechdächer aus den Trümmern geholt und sich damit Behelfsunterkünfte gebaut – oder sie nutzen die von den Hilfswerken verteilten Planen. Am vergangenen Sonntag hat zumindest für die oberen Klassenstufen die Schule wieder begonnen. Hilfswerke wie Helvetas und Caritas haben dazu in den betroffenen Regionen Schulzelte aufgebaut, sogenannte Temporary Learning Centers. Ein Lehrer erklärte, er wolle unbedingt verhindern, dass aufgrund des Erdbebens eine verlorene Generation entsteht. Mitte Monat nehmen die letzten Universitäten den Betrieb wieder auf. Und Radiostationen, die vom Erdbeben getroffen wurden, waren schon kurze Zeit später wieder auf Sendung.

Wann beginnt der Wiederaufbau und wie lange wird er dauern?

Diesbezüglich sind derzeit nur ungenaue Prognosen möglich. Die grösseren Hilfswerke wie das Internationale Rote Kreuz planen ihren Nothilfeeinsatz für ungefähr sechs Monate. Darin eingeschlossen ist die Wappnung der Bevölkerung für den Monsun, etwa durch die Verteilung von Plastikplanen und Hygienesets. Schon heute planen die Hilfswerke aber die Wiederaufbauphase. Diese soll nach dem Monsun beginnen und dürfte mehrere Jahre andauern. Optimistische Nepalesen gehen davon aus, dass das Land in zwei bis drei Jahren die Folgen der schweren Erdbeben überstanden hat. Andere Schätzungen reichen bis zu einem Zeitraum von zehn Jahren.

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