Die Wut vor den Stadien

Der Confederations Cup wird von der Protest-Bewegung in Brasilien genutzt, um dem Ärger über so vieles Luft zu machen. Das ist kein Zufall – die WM 2014 wird längst nicht von allen Brasilianern als Geschenk an das Land verstanden.

Demonstrators stretch a Brazilian flag with a dollar symbol drawn on it, in front of riot police blocking them from approaching the Estadio Castelao during the Confederations Cup soccer match between Brazil and Mexico, in Fortaleza June 19, 2013. Tens of (Bild: Reuters/Davi Pinheiro)

Der Confederations Cup wird von der Protest-Bewegung in Brasilien genutzt, um dem Ärger über so vieles Luft zu machen. Das ist kein Zufall – die WM 2014 wird längst nicht von allen Brasilianern als Geschenk an das Land verstanden.

Als erstes stand Cid Gomes in der Interview-Zone des Estadio Castelao von Fortaleza. Kein brasilianischer Fussballstar, sondern Politiker und Gouverneur des Bundesstaates Ceara. Der Regierungschef wirkte an diesem frühen Mittwochabend fast so erschöpft wie so mancher Spieler der Seleçao, die soeben auch ihr zweites Spiel beim Confederations Cup gewonnen hatte: 2:0 über Mexiko.

Doch der fabelhafte Auftritt Neymars, der ein wunderbares Tor volley erzielt (9. Minute) und das zweite durch Jo (92.) genial vorbereitet hatte, war nur die eine Geschichte dieses unruhigen Tages in Cearas Hauptstadt.

Die wichtigere Story, die die Menschen in der Drei-Millionen-Stadt bewegte, waren die Demonstrationen und Protestaktionen von Studenten, anderen jungen Leuten und Menschen aus dem Kleinbürgertum, die ihrer Wut und ihrem Ärger so nachhaltig Luft machten, wie wohl noch nie in dieser Stadt am Meer.

Die Fifa gilt als Synonym für Abgehobenheit

Rund vier Kilometer vom Stadion entfernt hatte sich eine Menge von rund 20’000 Widerständlern versammelt. Sie zeigten Flagge und Transparente gegen Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, gegen die Verschwendungssucht beim Bau der Stadionpaläste für die Weltmeisterschaft 2014, gegen korrupte Politiker, gegen die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, gegen den Notstand im Gesundheitswesen, gegen die WM 2014 und gegen den Weltfussballverband Fifa, in den Augen der Protestierer das Synonym für Abgehobenheit, Machthybris und Verblendung.

Ihnen gegenüber stand die Staatsmacht, die den Fussballfans den Weg ins Stadion freizuhalten versuchte. Heraus kam ein Chaos, bei dem einer der bewaffneten Ordnungskräfte einem deutschen Fotografen seine Dienstwaffe vorhielt, in dem Shuttlebusse von Medienvertretern nicht mehr bis an ihren Bestimmungsort Stadion fahren konnten, in dem ein Polizeiauto zerstört und ein Kiosk gestürmt und geplündert wurde.

Tag der Abrechnung statt Feiertag

An dem Tag, da die Stadt Fortaleza ihren arbeitenden Bürgern frei gegeben hatte, um den Stassenverkehr zu entlasten und Vorfahrt für ein Fussballfest zu signalisieren, geriet der geplante Feiertag zu einem Tag der basisdemokratischen Abrechnung. Das mutete hier und da ziemlich diffus an, zeigte aber wieder einmal, wie schnell Menschenmassen in Zeiten von Internet, Twitter oder Facebook zu mobilisieren sind.

Und es ist weniger erstaunlich, wenn man weiss, dass die Art und Weise, mit der die Regierung die Megaprojekte Fussball-WM und Olympische Sommerspiele voran treibt, seit geraumer Zeit kritisiert wird.

Für Gouverneur Gomes war es ein sehr harter Arbeitstag, in dessen Nachgang er den Reportern erklären wollte, warum die Staatsmacht habe einschreiten müssen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. «Die Polizei», sagte er, «musste etwas tun, um das Recht von 60’000 Menschen zu schützen, ein Fussballspiel zu sehen. Stellen Sie sich mal vor, was passiert wäre, wenn 5000 Leute ins Stadion eingedrungen wären. Es wäre eine Tragödie.»

Auch so waren die Bilder des Tages schlimm genug – mit Steine werfenden Demonstranten und Tränengas, Brandbomben und Gummischrot schiessenden Sicherheitskräften, darunter die paramilitärische Nationalgarde. In Fortaleza ging es am Mittwoch auch ohne Fussball so hoch her wie am Abend zuvor in Sao Paulo, wo sich Gewalttäter unter die friedlichen Demonstranten gemischt hatten.

Fifa erwartet in Rio eine Million Demonstranten

Die Situation kann sich sogar noch weiter zuspitzen. Jérôme Valcke, Generalsekretär der Fifa sprach davon, dass am Donnerstag in Rio de Janeiro bis zu eine Million Menschen auf die Strassen gehen wollten – rund um ein Confed-Cup-Spielchen zwischen dem Welt- und Europameister Spanien und dem Fussball-Winzling Tahiti.

Valcke sprach von einer für alle Beteiligten «unangenehmen Situation», wies aber wie schon Fifa-Präsident Joseph Blatter jede Schuld der Fifa an den brasilianischen Aktionswochen von sich. Blatter äusserte inzwischen erstmals eine Spur von Verständnis für die friedlichen Demonstranten.

«Ich kann die Menschen verstehen, dass sie nicht glücklich sind», äusserte der Walliser gegenüber dem Fernsehsender «O Globo», «aber ich denke, sie sollten den Fussball nicht dazu nutzen, um ihre Forderungen zu verkünden.» Ein Appell, der an denen Angesprochenen vorbeirauschen dürfte. Zu krass sind die Kontraste im brasilianischen Alltag, die heutzutage nicht einmal mehr der Fussball überspielen kann.

Der jugendliche Fussballvolksheld Neymar schlug sich inzwischen auf die Seite der Unzufriedenen, als er über Instagram verkündete: «Ich will ein faireres und ehrlicheres Brasilien. Ich habe immer geglaubt, dass es nicht nötig sein wird, auf die Strasse zu gehen und Verbesserungen im Transport- und Gesundheitswesen, der Bildung und Sicherheit zu fordern. Das ist eine Verpflichtung der Regierung.»

Fussballmillionäre als Anwälte der Mittellosen: In Brasilien bietet die Bühne Confederations Cup mehr als nur Fussball für jene, die sich einen Stadionbesuch leisten können. Auch Bayern Münchens Champions-League-Held Dante, der noch immer auf seine erste sportliche Bewährungsprobe beim Konföderationenpokal wartet, twitterte im Stile eines Comandante: «Gehen wir gemeinsam, ich liebe mein Volk und werde euch immer unterstützen.»

In diesen Worten schwang zwar eine Überdosis Pathos mit, sie spiegelten aber auch die hohe Emotionalität dieser zwei Wochen zwischen Fussballträumen und der harten Wirklichkeit in Städten wie Fortaleza, Rio de Janeiro oder Belo Horizonte.

Und so schmetterten die Seleçao und 60’000 Menschen im Estadio Castelao am Mittwoch ihre Hymne mit einer Inbrunst wie sie kaum einmal in einer Fussballarena zu hören war. Es steht einiges auf dem Spiel in diesen Wochen: für die brasilianische Nationalmannschaft und die Behörden und Politiker des Landes.

In Rio und Sao Paulo nahmen sie am Mittwoch die erst vor kurzem verkündeten nicht einmal drastischen Fahrpreiserhöhungen für die städtischen Busse zurück. An ihnen hatte sich der Protest einiger weniger ursprünglich entflammt. Daraus geworden ist eine Massenbewegung, die immer neue Ziele ihres Zorns gesucht und gefunden hat.

Nächster Artikel