Im Bundesempfangszentrum werden Asylsuchende bis zu ihrem Aufenthaltsentscheid untergebracht. Während drei Monaten dürfen sie nicht arbeiten, nur warten.
Man trifft sie am Stadtrand an. Oft in der Nähe des Bundesempfangszentrums für Asylsuchende beim Zoll Otterbach. In einem kleinen Wäldchen, nahe des Wiese-Kanals, umgeben von Autobahnzubringer-Brücken sitzen sie und unterhalten sich. In der Ferne hört man Lastwagen vorbeidonnern.
Die Angst vor dem Ungewissen
Wir gesellen uns zu der Gruppe, die es sich auf zwei Parkbänken bequem gemacht hat. Sie blicken uns zuerst skeptisch an, doch dann begrüssen sie uns freundlich. Als wir uns als Journalisten ausgeben, wirken sie verunsichert. Verständlich, denn die Entscheide über ihre Asylgesuche stehen noch aus. Da muss jede Antwort auf die Goldwaage gelegt werden, denn sie fürchten sich vor Repressionen. Deshalb wollen sie nicht mit ihren richtigen Namen genannt werden.
«Oft werden wir von Polizisten ohne ersichtlichen Grund verhaftet. Du sitzt auf einer Bank oder gehst spazieren und plötzlich hast du Handschellen an», sagt Tayo aus Nigeria. «Wir sind keine Kriminellen.»
Der 27-Jährige ist seit drei Wochen im Empfangszentrum, von den Asylsuchenden schlicht «The Camp» genannt. Das Zentrum ist offiziell für 320 Personen eingerichtet. Nach Angaben der Asylsuchenden leben dort aber derzeit rund 500 Personen. «Es gibt keine Bücher, kein Telefon, kein Internet – nur zwei Fernseher für 500 Leute», beklagt sich Osaretin, 47. «Und bei so vielen Menschen auf engstem Raum verbreiten sich rasend schnell Krankheiten. Wir alle husten schon die ganze Zeit.»
Ob sie denn im Empfangszentrum nach eigenem Ermessen kommen und gehen dürfen, möchten wir wissen. Osaretin erklärt: «Wir können um neun Uhr früh aus dem Camp rausgehen, müssen um zwölf aber wieder zurück sein, wenn wir zu Mittag essen wollen. Von 13 bis 17 Uhr können wir wieder raus. Doch wer zu spät zurückkommt, muss draussen schlafen.» Osaretin seufzt: «Ich hoffe, dass die Schweizer eines Tages in mein Land kommen müssen, um Asyl zu beantragen. Dann würden sie besser verstehen, was wir jetzt durchmachen.»
Draussen schlafen muss Amari, 19, jeden Tag. «Die letzten zwei Wochen habe ich die Nächte auf einer Bank verbracht.» Sein Gesuch wurde bereits abgelehnt, doch er ist immer noch hier. Jetzt muss er sich verstecken, wenn er nicht in Ausschaffungshaft geraten will. Er floh aus Gambia. Mit einem Boot gelangte er nach Marokko. Unterwegs wurde sein Bruder von einer Welle ins Meer gespült. Von Marokko reiste er nach Spanien, von Spanien aus in die Schweiz. Hier ist er nun gestrandet.
Osaretin und Amari legen ihre Zurückhaltung ab, sie sprechen offener, reden lebhafter. Jeder hat viel zu erzählen. Andere Asylsuchende kommen zu unserer Gruppe, hören zu, reden mit. So auch Emeka, ebenfalls aus Nigeria.
Der 42-Jährige sagt, er habe aus seinem Heimatland flüchten müssen, weil dort Christen von der terroristischen Islamistengruppe, der Boko Haram, verfolgt werden.
«Wir kommen nicht wegen des Geldes hierher, sondern um unser Leben zu retten.» Wir fragen, wie viel Geld sie denn tatsächlich bekommen würden, doch die Antworten fallen unterschiedlich aus. Manche sprechen von sechs Franken pro Tag, andere sagen acht. Und wieder andere meinen, jene, die seit ein paar Wochen im Camp lebten, bekämen 21 Franken die Woche. Niemand der Anwesenden wusste, dass Politiker die Nothilfe von zwölf auf acht Franken am Tag kürzen wollen – geschweige denn, dass gewisse Asylsuchende zwölf Franken Nothilfe pro Tag erhalten.
Arbeiten ist nicht erlaubt
Der tief religiöse Christ Osaretin erzählt, er habe seine Bibel ins Camp mitgebracht. «Sonntags gehe ich in die Kirche», sagt er. «Immer wenn ich jetzt etwas Geld habe, kaufe ich ein Swisslos für zwei Franken. Irgendwann werde ich, mit Gottes Hilfe, 5000 Franken gewinnen. Etwas anderes kann ich auch nicht tun. Wir dürfen ja nicht arbeiten.» Über diese Tatsache beschweren sich alle aus der Gruppe. M’Basan Lélé, 23, in seiner Heimat College-Absolvent, deutet auf die Wiese neben uns, meint: «Selbst die würde ich mähen. Hauptsache, ich habe Arbeit und bekomme am Ende des Tages meinen Lohn.»
Die ersten drei Monate nach dem Einreichen des Asylantrags dürfen die Asylsuchenden nicht arbeiten. Danach müsste ein potenzieller Arbeitgeber Antrag auf Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft bei der zuständigen Behörde einreichen. Also müssen die Asylsuchenden diese Zeit irgendwie totschlagen. Hinzu kommt, dass die Bearbeitung eines Asylantrages bis zu vier Jahre dauern kann.
«Ich kenne niemanden, dessen Antrag auf Asyl angenommen worden ist», sagt Tayo. «Ich kann auch verstehen, dass gewisse weisse Politiker uns nicht im Land haben wollen. Ich denke, dass ich mein Land auch beschützen würde, wenn der Migrantenstrom ökonomische Auswirkungen darauf haben würde. Ich fände es besser, sie würden uns gleich wegschicken, wenn wir keine Chance auf Asyl haben. Denn das Warten zermürbt einen.»
M’Bassan Lélé formuliert es poetischer: «Wir sind zwar nicht eingesperrt, aber auch nicht frei. Diese Freiheit ist wie ein Gefängis.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12