«Diese Killer haben keine Angst zu sterben»

Bei dem mörderischen Anschlag auf die Zeitschrift «Charlie Hebdo» waren wieder Banlieue-Terroristen am Werk. Doch was denkt die stimmlose Mehrheit der Muslime über sie? Augenschein in der Pariser Vorstadt Gennevilliers, wo einer der Attentäter Station gemacht hatte.

(Bild: Wikipedia/Arnaud Lambert)

Bei dem mörderischen Anschlag auf die Zeitschrift «Charlie Hebdo» waren wieder Banlieue-Terroristen am Werk. Doch was denkt die stimmlose Mehrheit der Muslime über sie? Augenschein in der Pariser Vorstadt Gennevilliers, wo einer der Attentäter Station gemacht hatte.

Wie an jedem Morgen ist der Zug der Metrolinie 13 gerammelt voll. Erst als er den Nordrand von Paris erreicht, werden auch Sitzplätze frei. Im Wagen bleiben vor allem verschleierte Frauen und maghrebinische Männer.

Gennevilliers ist nicht weit von Paris weg, aber schon tiefste Banlieue, mit Wohnsiedlungen so phantasielos, wie sie nicht einmal einem DDR-Planer in den Sinn gekommen wären; dazu ein Schuh-Discounter mit 30 bis 50 Prozent Rabatt, gegenüber eine Tankstelle und irgendwo wohl ein McDonald’s. Regenböen wehen jedenfalls eine Menge Hamburgerschachteln und Plastikbecher über die Rue de Louis Calmel.

An Ende eine christliche Oase: Notre-Dame des Agnettes, ein Betonbau und keine eigentliche Kirche, präsentiert hinter einem schweren Gitter noch eine Weihnachtskrippe mit Kartonfiguren und einer billigen Kinderpuppe in der Wiege.

«Als wären sie in einem Videospiel»

Die andere Oase in dem tristen Dekor ist das Bistro mit dem Namen L’Esprit d’Equipe. Teamgeist herrscht im Innern insofern, als alle gebannt auf das Fernsehgerät starren. Dort spricht gerade Premierminister Manuel Valls, aber die Gäste fangen nur Redebrocken wie «Zusammenhalten» und «ungestraft» auf.

Eine neue Ansprache zu «Charlie Hebdo»? «Nein, der neuste Anschlag in Montrouge», klärt ein Franzose mit der Weste eines städtischen Unterhaltsagenten auf. Montrouge im Süden von Paris? «Haben Sie nicht gehört, dort wurde heute morgen eine weitere Polizistin erschossen», erklärt der Mann. «Es ist wie im Krieg.»

Im Café Teamgeist herrscht noch Frieden. Der Kumpel des Franzosen, ein dunkelhäutiger Mann mit Bart und gleich roter Weste, ereifert sich immerhin: «Wenn man ständig von den Islamisten redet, muss ja einmal so was Tragisches passieren.» Der Wortführer unterbricht ihn: «Hast du gesehen, wie eiskalt und gelassen die gestern den Flic umgelegt haben? Als wären sie in einem Videospiel.»



General view of police and rescue crews after a shooting in the street of Montrouge near Paris January 8, 2015. A police officer was wounded in a shootout in southern Paris on Thursday, a police source told Reuters, adding that it was unclear at this stage whether there was any link to the killings at the Charlie Hebdo magazine.Television station iTELE said two police officers were lying on the ground after the attack. REUTERS/Charles Platiau (FRANCE - Tags: CRIME LAW)

Schüsse fielen am Donnerstagmorgen in Montrouge nahe bei Paris, die Hintergründe sind unklar. Sicher ist: Eine Polizistin starb, ein Strassenreiniger wurde lebensgefährlich verletzt. (Bild: CHARLES PLATIAU)

Der Bartträger will aber auf etwas anderes hinaus: «Aber mit Islam hat das nichts zu tun. Der Islam verbietet es zu töten, Gläubige wie Ungläubige. Die Jungs, die von Gennevilliers in den Jihad reisten, waren mehrheitlich Konvertiten.» Er sagt, er habe eine Reportage gelesen, laut der die Juden 60 Sekten zählten, die Christen 63, der Islam aber nur eine. Man kann dem Islam doch nicht alles anlasten!» Man merkt, dem klein gewachsenen agilen Mann gehen die Anschläge nahe. «Soll man bald alle Muslime verhaften, nur weil sie so was tragen?», fragt er, sich an seinem dürren Bart zupfend.

Sein Teamkollege klebt noch am Bildschirm. «Müssen wir beim Strassenwischern auch bald kugelsichere Westen tragen?», fragt er. «Hast ja schon eine rote Weste», sagt der andere lachend. «Allez, an die Arbeit!»

Manchmal hätten die Salafisten auch Erfolg, klagt der Bartträger, dann verschwinde ein Jugendlicher mit einem Mal.

Draussen zerrt der Wind an einem Werbeplakat für einen TV-Sender, der auch in Arabisch sendet; auf der Rückseite ruft der kommunistische Bürgermeister dazu auf, sich bis Ende Dezember in die Wahllisten einzutragen. Im Windschatten wartet eine junge Maghrebinerin auf den Bus ins Geschäftsquartier La Defensor. Sie blickt kaum auf, als ein Polizeiwagen mit lauter Sirene vorbeirast.

Ob er in Richtung der – am Vortag durchsuchten – Wohnung des einen Attentäters unterwegs ist, weiss sie nicht. Oder will sie nicht wissen: Hier auf der Strasse spricht frau nicht mit Männern. Schon gar nicht mit offensichtlich Ortsfremden. Und noch weniger an solchen Tagen.

Eine weitere Polizeistreife fährt vorbei. «Die sind doch längst über alle Berge», sinniert eine ältere Dame afrikanischer Herkunft vom Bank des Bushäuschens. Gefragt, ob sie die Terroristen vom Vortag meine, antwortet sie aber nur mit einem misstrauischen Blick. Zum Glück kommen nun die Strassenkehrer vorbei.



A Gendarmerie cordon is seen at a gas station in Villers-Cotterets, north-east of Paris, January 8, 2015, where armed suspects from the attack on French satirical weekly newspaper Charlie Hebdo were spotted in a car. French police extended a manhunt on Thursday for two brothers suspected of killing 12 people at the weekly satirical newspaper Charlie Hebdo in Paris in a presumed Islamist militant strike that national leaders and allied states described as an assault on democracy. France began a day of mourning for the journalists and police officers shot dead on Wednesday morning by black-hooded gunmen using Kalashnikov assault rifles. French tricolour flags flew at half mast throughout the country. REUTERS/Pascal Rossignol (FRANCE - Tags: CRIME LAW MILITARY)

Die Spur der mutmasslichen Attentäter führt in den Nordosten von Frankreich: An einer Tankstelle in Villers-Cotterets sollen sie gesichtet worden sein. (Bild: PASCAL ROSSIGNOL)

Der Bartträger beendet gerade ein Handygespräch in Bambara und ist in Sprechlaune. Er erzählt von einem jungen Nachbar, der habe sich letztes Jahr plötzlich ein Bart wachsen lassen und eine marokkanische Dschellaba angelegt. «Das halbe Viertel hat sich gefragt, was diesen plötzlichen Wandel bewirkte. Über die Feiertage zeigte er sich aber plötzlich wieder in normalen Hosen und frisch rasiert», erzählt der städtische Angestellte.

Aber manchmal hätten die Salafisten auch Erfolg, klagt er. Dann verschwinde ein Jugendlicher mit einem Mal. «Jetzt sind sie wegen der Polizei auch verschwunden», ergänzt er. «Dort steht sonst einer Wache für die Drogenhändler in den Wohnungen.» Aus der gegenüberliegenden Wohnblocksiedlung seien schon einige Jungs auf die schiefe Bahn geraten; im Gefängnis gerieten sie mit Salafisten in Kontakt, wie wohl auch die Kouachi-Brüder.

«Es gibt keine Rechtfertigung»

Die Hauptverdächtigen des Anschlags habe hier niemand gekannt, meint er. «Aber wir kennen diese Art von Verbrechern im Allgemeinen, die schrecken vor nichts zurück. Wir leiden am meisten unter ihnen. Ob sie in den Jihad ziehen oder zu Killern werden, die haben keine Angst zu sterben. Das hat nichts mit Religion zu tun, das ist nur gewalttätig.»

Aber, so fügt der Mann an, auch die Mohammed-Zeichnungen seien nicht frei von Gewalt: «Das verletzt unser Gefühl sehr. Auch wenn es den schrecklichen ‹Charlie-Hebdo›-Anschlag keinesfalls rechtfertigt.»

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