Wenn Spaniens neue Bürgermeister am Samstag ihr Amt antreten, richten sich alle Blicke auf Madrid und Barcelona. Dort haben künftig zwei Frauen das Sagen, die bisher mit Parteipolitik nichts am Hut hatten: die Sozialaktivistin Ada Colau, Vorkämpferin gegen Zwangsräumungen, und die pensionierte Richterin Manuela Carmena, während der Franco-Diktatur Anwältin von Oppositionellen. Die Neuen wollen (fast) alles anders machen.
Barcelonas Bürgermeisterin bereitet der Protokollabteilung schon vor Antritt Kopfzerbrechen. Ada Colau hat mal eben die traditionelle Sitzordnung auf den Kopf gestellt: Bei ihrer Amtseinführung haben Erzbischof und Militär ein paar Stuhlreihen nach hinten zu rücken, das schafft Platz für Vertreter der Plattform der Hypothekengeschädigten. Und statt Kellnern mit Häppchen warten in den Nebensälen Erzieherinnen mit Vorlesebüchern, damit niemand wegen quengelnder Kleinkinder den feierlichen Moment verpasst. So gibt Colau, selbst Mutter eines vierjährigen Sohns, gleich in der ersten Minute ihrer Amtszeit ein Beispiel für lebensnahe Politik.
Bei den Kommunalwahlen Ende Mai wurde ihre vor zehn Monaten gegründete Liste «Barcelona en Comú» zur stärksten Fraktion gewählt, sie stellt elf von 41 Stadträten. Eine beachtliche Leistung, die sich zum Teil durch Colaus Popularität erklärt: Fünf Jahre lang war die 41-jährige Barcelonerin Sprecherin der Plattform der Hypothekengeschädigten. Im grünen T-Shirt der Protestbewegung stellte sie sich vor Wohnungstüren, wenn das Räumkommando anrückte, brachte 2013 ein Volksbegehren zur Änderung des Hypothekenrechts ins Parlament.
Das ungleiche Paar repräsentiert die Breite des politischen Unbehagens
Genauso entscheidend für den Wahlsieg aber war der Charakter der Formation. «Barcelona en Comú» ist ein Zusammenschluss von Sozialinitiativen, unterstützt von der Linkspartei Podemos und den katalanischen Grünen. Doch Parteimitglieder spielten auf der Liste kaum eine Rolle, stattdessen standen da Namen von stadtbekannten Aktivisten und Sozialrechtlern. Auch die Madrider Liste «Ahora Madrid» verzichtete auf Parteiprominenz, auch ihr gelang ein Überraschungserfolg. Mithilfe der Sozialdemokraten wird die parteilose Linke Manuela Carmena Bürgermeisterin. Die 71-Jährige löst nach 24 Jahren die Konservativen ab.
Bekämpfte einst Franco, heute startet Manuela Carmena als Bürgermeisterin von Madrid einen neuen Kampf – mit 71 Jahren und einem mild-verschmitzen Grossmutter-Lächeln. (Bild: PAUL HANNA)
Die pensionierte Richterin mit den grossen Ohrclips und dem mild-verschmitzten Grossmutter-Lächeln und die impulsive Rednerin Colau, Aktivistin und ehemalige Hausbesetzerin: Das ungleiche Paar repräsentiert die Breite des politischen Unbehagens im korruptions- und krisengeschüttelten Land. Ihr Sieg ist der Beweis, dass das Zwei-Parteien-System in Spanien ausgedient – und eine Empörtenbewegung ihren Platz erobert hat. Wenn Carmena und Colau während des Wahlkampfes gemeinsam auftraten, kehrte die Menge den Slogan der Bewegung «Nein, sie repräsentieren uns nicht» ins Gegenteil um: «Diese beiden repräsentieren uns sehr wohl.»
Einige Unterschiede, viele Gemeinsamkeiten
Die beiden Frauen unterscheidet nicht nur ihr Stil: Als Colau ein Jahr vor dem Tod des Diktators Francisco Franco geboren wurde, hatte Carmena sich bereits einen Namen als Anwältin oppositioneller Arbeiterführer gemacht, die Richterin Carmena kennt sich aus in den Institutionen, Colaus politische Referenzen sind die Anti-Globalisierungsbewegung und die Wohnraumproteste.
Politisch unerfahren und impulsiv: Ada Colau. (Bild: ALBERT GEA)
Sie haben aber auch viel gemeinsam: Beide versprechen, ihre Städte dezentral zu regieren, mit mehr Befugnissen für die einzelnen Distrikte, grösserer Bürgerbeteiligung bei strittigen Fragen und enger Zusammenarbeit mit Nachbarschaftsvereinen. Die Wasserversorgung soll rekommunalisiert beziehungsweise Preise und Qualität sollen stärker von der Stadt kontrolliert werden, ebenso der Strom.
Ein städtischer Wohnungspark und runde Tische mit Justiz und Banken soll in beiden Städten verhindern, dass zwangsgeräumte Familien auf der Strasse stehen. Und – beide Bürgermeisterinnen haben den Rotstift bei sich angesetzt: Carmena hat ihr Gehalt und das ihrer Stadträte um mehr als die Hälfte, auf 45’000 Euro brutto, gekürzt; der Rest wird gespendet.
Erste Amtshandlung: den eigenen Lohn kürzen
Colau begrenzt ihr Salär und das aller Amtsträger auf 2200 Euro, verzichtet auf Diäten und Dienstwagen. «Eine Bürgermeisterin muss doch den öffentlichen Nahverkehr kennen», sagt Colau. Wirkungsmächtige politische Gesten, die manche als Populismus empfinden, ohne die ihr Programm aber an Glaubwürdigkeit verlöre. Die ist ein zentraler Wert im Politikverständnis von Spaniens neuer Linken. An ihr wird man sie messen, nicht nur auf kommunaler Ebene. Im Herbst wählt Spanien ein neues Parlament, das Abschneiden der neuen Parteien wie Podemos hängt auch von den Testläufen in den Grossstädten ab.
«Eine Bürgermeisterin muss doch den öffentlichen Nahverkehr kennen», sagt Carmena und geht mit gutem Beispiel voran. (Bild: SERGIO PEREZ)
Dabei wird der Wandel vermutlich weniger radikal ausfallen, als gewünscht oder gefürchtet. Weder werden in der spanischen Hauptstadt sowjetisch inspirierte Räte die Macht übernehmen, noch wird man in der katalanischen Metropole Touristen und Geschäftsreisende aus der Stadt jagen.
Bisher setzen die Revolutionärinnen im Rathaus jedenfalls auf Pragmatismus. Als Barcelonas Bürgermeister als letzte Amtshandlung den Vertrag mit dem seit 2006 in der Stadt ansässigen Mobile World Congress verlängerte, applaudierte auch Colau. Vor dem Rathaus protestierten derweil die Subunternehmer der spanischen Telefonica. Um deren Forderungen Gewicht zu verleihen, hat Colau die Geltungsdauer des rathausinternen Vertrags mit der Telefongesellschaft gekürzt.