Seit Tagen toben die Kämpfe um den Flughafen von Donezk. Doch mittlerweile sind auch Innenstadtbezirke, die bisher als relativ sicher galten, von Artilleriebeschuss betroffen. Augenzeugen berichten von den schwersten Kämpfen seit Monaten.
Die letzten Nächte seien die schlimmsten gewesen, sagt Ljubow. Nachts, wenn sie mit ihrer Tochter im Bett liegt, wird sie immer wieder von Explosionen und Erschütterungen aus dem Schlaf gerissen. Ljubow wohnt mit ihrer Familie in einem Haus in Bezirk Petrowskij, einem westlichen Stadtteil von Donezk. «Die Fensterscheiben klirren, die Wände wackeln – als würde gleich alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen», sagt sie.
Donezk erlebt dieser Tage die schwersten Kämpfe seit Monaten. Während sich die ukrainische Armee und die pro-russischen Separatisten seit Tagen laut eigenen Angaben erbitterte Kämpfe um den nahegelegenen Flughafen Donezk liefern, hat sich der Artilleriebeschuss auf praktisch alle Stadtteile Donezks ausgeweitet. «Ich gehe unter Kugelhagel jeden Tag zur Arbeit», erzählt die 36-jährige Ljubow, die in der städtischen Eisenbahnverwaltung arbeitet. «Es ist so schrecklich. Wann hören diese Kämpfe endlich auf?»
Bilder der Verwüstung
Völlige Ruhe war in Donezk selbst nach einem ausgehandelten Friedensabkommen im September vergangenen Jahres nie eingekehrt – immer wieder flammten Kämpfe auf. Doch insbesondere seit dem 8. Januar habe die Gewalt sukzessive zugenommen, sagt Enrique Menendez, Blogger aus Donezk. «Der Beschuss hat an diesem Wochenende sein absolutes Maximum erreicht. An Schüsse mit dieser Lautstärke und Intensität kann ich mich nicht einmal in der heissen Phase des Krieges im Sommer oder im Herbst erinnern.»
Es sind Bilder der Verwüstung, die derzeit aus Donezk kommen: Russgeschwärzte Fassaden, zerborstene Fensterscheiben, verbrannte Autos. Die Strassen sind von Einschusskratern durchzogen. Mehrere Wohnhäuser, Schulen und auch ein Krankenhaus wurden von Artillerie getroffen. Schäden wurden auch vom Hotel «Welikobritannia» gemeldet – eines der ältesten Häuser der Stadt und dadurch auch ein architektonischer Stolz für viele Donezker.
Im Zentrum der Kämpfe stand bis zuletzt der Flughafen Donezk. Vom Flughafen, der für umgerechnet 685 Millionen Euro für die Fussballeuropameisterschaften 2012 errichtet worden war, ist nicht viel mehr als ein Trümmerhaufen übrig, wie dieses Video zeigt:
Bis zuletzt wurde der Flughafen von der ukrainischen Armee kontrolliert. Vergangene Woche hatten indes die Separatisten verkündet, dass sie den Flughafen zurückerobert hätten. Seither dringen widersprüchliche Meldungen nach aussen, beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, das Friedensabkommen von Minsk verletzt zu haben. Offiziellen ukrainischen Stellen zufolge lief am Dienstag eine Gegenoffensive der ukrainischen Armee.
Einrichtungen ausser Betrieb
Vor allem für Kiew hat der Flughafen hohen Symbolwert: In den ukrainischen Medien wurden die Kämpfer des Flughafens zu «Cyborgs» mit übermenschlichem Kampfgeist stilisiert. «Ihr Mut, ihr Patriotismus und ihr Heldentum dienen als Beispiel dafür, wie unser Land verteidigt werden muss», sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am Sonntag bei einer Gedenkveranstaltung in Kiew.
«Die Menschen wollen einfach, dass sich der Frontverlauf weiter von Donezk entfernt», sagt Enrique Menendez, Blogger aus Donezk.
In Donezk selbst sind die viele Bewohner dem Kampf um den Flughafen überdrüssig, sagt Menendez: «Die Menschen wollen einfach, dass sich der Frontverlauf weiter von Donezk entfernt – und denken: Soll sich die ukrainische Armee doch vom Donezker Flughafen zurückziehen, dann gibt es auch weniger Beschuss in Donezk.» Die Gefechte beschränken sich aber längst nicht nur auf den Flughafen und Donezk. Auch aus anderen Städten und Orten am Frontverlauf zwischen der von den pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebiete und der ukrainischen Armee werden schwere Kämpfe gemeldet. Dutzende Zivilisten sollen in den vergangenen Tagen getötet worden sein.
Die Menschen haben Angst
Der Alltag in Donezk ist weitestgehend zum Erliegen gekommen: «Ich schätze, dass etwa 70 Prozent der Geschäfte und Einrichtungen ausser Betrieb sind», sagt Menendez. Die Menschen fürchten sich, auf die Strasse zu gehen – wie Andrej, ein 54-jähriger Ingenieur. «Wir sind jetzt schon den dritten Tag in Folge unter Beschuss», schreibt er in einer Direktnachricht. Er wohnt im südostlichen Bezirk Kirowskij. «Zum Teufel! Jetzt hat gerade wieder etwas eingeschlagen!» schreibt er. «Kaum will ich Kohle im Ofen nachlegen, da fängt das Haus schon wieder an zu tanzen.»
Die jüngste Eskalation der Gewalt wurde international verurteilt. «Pro-russische Separatisten müssen aufhören, dicht besiedelte Wohngebiete für ihre Militäroperationen zu nutzen, zugleich dürfen die von Kiew kontrollierten Truppen nicht mehr wahllose Manöver starten, denen unschuldige Menschen zum Opfer fallen», so Amnesty International in einem Statement. Laut Amnesty International sind seit dem Waffenstillstand im September 2014 mindestens 1400 Menschen in der Ostukraine gestorben.