Dunkle Wolken über Obama

Abhör- und Steuerskandale bringen den US-Präsidenten unter Druck.

Harte Zeiten für Barack Obama: Die Republikanische Partei geht mit dem angeschlagenen US-Präsidenten hart ins Gericht. (Bild: LARRY DOWNING/Reuters)

Abhör- und Steuerskandale bringen den US-Präsidenten unter Druck.

Der Wind in Washington hat sich urplötzlich gedreht. Statt den ­Republikanern bläst er nun Barack ­Obama scharf ins Gesicht. «Tea Party»-Gruppen und andere selbst­ernannte Patrioten, die noch vor ­wenigen ­Wochen mit dem Rücken zur Wand standen, rufen laut und vielfach ju­bilierend «Impeachment!» (Amts­ent­hebung). Und im Kongress befassen sich gleich drei Ausschüsse mit drei Skandalen.

Es geht um den Angriff auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi, der Botschafter Christopher Stevens und drei weiteren US-Amerikanern das Leben kostete. Um die zwei Monate lange Telefonbeschnüffelung von Journalisten der AP, einer der weltweit grössten Nachrichtenagenturen. Und um gezielte Schikanen der Steuerbehörde IRS gegen konservative Gruppen.

Die Republikaner schlachten die ­Skandale politisch aus.

Im Weissen Haus versucht der Präsident, der noch vor sechs Monaten als strahlender Sieger aus den Wahlen hervorgegangen ist, Schadensbegrenzung. Mit einer Flucht nach vorn: Er veröffentlicht Dutzende bislang unter Verschluss gehaltene E-Mails über Ben­gasi. Er zieht einen alten, und bereits 2009 gescheiterten, Gesetzesentwurf zum Schutz der journalistischen Arbeit aus der Schublade – lehnt aber mit Hinweis auf die Unabhängigkeit der Justiz eine Entschuldigung ab, wie sie viele Journalisten von ihm hören wollen. Und er feuert nicht nur den Chef seiner Steuerbehörde, sondern schilt auch das Verhalten der übereifrigen Steuerfahnder mit ungewöhnlich harten Worten. Nennt es «unzulässig» und «gegen unsere Prinzipien».

An Bengasi arbeiten die Republikaner bereits seit acht Monaten. Ihnen geht es darum, nachzuweisen, dass die ­Obama-Verwaltung, die am Wochenende nach dem Angriff auf ihr Konsulat von einer «spontanen Demonstration» statt von einem «terroristischen Anschlag» sprach, absichtsvoll die Wahrheit verdreht habe. Dahinter steckt die Unterstellung, der Präsident versage bei der Verteidigung der «nationalen Sicherheit». Sowie der Versuch, ihm nachzuweisen, er habe versucht, Fehler seiner Verwaltung vor den Präsidentschaftswahlen zu vertuschen.

Durchsichtige Wahlkampftricks

Dass am 11. September 2012 in Bengasi sehr viel falsch lief, bestreitet heute niemand in Washington. Doch bei den bisherigen Kongress-Hearings zu dem bewaffneten Überfall scheint es der republikanischen Seite weniger um die Rekonstruktion des Ereignisses und um Lehren für die künftige Sicherung von US-Vertretungen in Krisen­regionen zu gehen als darum, politisches Kapital aus der Affäre zu ziehen.

Nachdem den Republikanern das im vergangenen November nicht gelungen ist, haben sie die kommenden Wahlen im Auge. Im Herbst 2014 sind Halbzeitwahlen. 2016 sind wieder Präsidentschaftswahlen.

Bei Letzteren könnte auf demokratischer Seite genau jene Frau antreten, die während der Attacke gegen das Konsulat Aussen­ministerin war. Für Hillary Clintons weitere Karriere könnte Bengasi gefährlicher werden als für Präsident Obama. Doch bislang sprechen die Medien und mit ihnen die gros­se Öffentlichkeit kaum auf die Ränkespiele der Republikaner an.

Das ist anders bei der AP-Affäre. Sie trifft auch Gruppen, die traditionell den Demokraten näher stehen, darunter Gewerkschaften sowie Bürgerrechtsorganisationen. Beide Gruppie­rrungen protestieren gegen «nie dagewesene», «un­zulässige» und «gegen die Verfassung verstossende»  Eingriffe in die Arbeit von Journalisten.

Im April und Mai letzten Jahres hatte das Justizministerium Auf­listungen von über 20 Telefon- und Fax-Anschlüssen von AP-Büros sowie von privaten Mobiltelefonen von AP-Mitarbeitern angefordert. Die ausgelieferten Informationen enthielten Angaben über die Nummern aller Ange­rufenen und Anrufer sowie über die Dauer der Gespräche. Kein Richter hatte darüber entschieden. Das Justiz­ministerium musste bloss die Berichte bei den Telefon­gesellschaften einfordern. Die Spitze der Nachrichtenagentur AP wurde erst ein Jahr ­später vom Justizministerium über diese Aktion informiert – ohne Angabe von Gründen.

Die Chronologie legt nahe, dass eine AP-Enthüllungsgeschichte der Auslöser war. Im Mai 2012 hatte die Agentur eine Story über eine CIA-Operation in Jemen veröffentlicht, die einen Anschlag auf ein US-Passagierflug vereitelt habe. Das Justizministerium sucht seither die undichte Stelle.

Kampf gegen Whistleblower

Vor dem zuständigen Kongressausschuss versucht Justizminister Eric Holder sich herauszureden, dass ein «ernstes Leck in der nationalen Sicherheit» die Ermittlung erfordert habe und er selber nicht in die Entscheidung über AP involviert gewesen sei. Doch das genügt den Kritikern der Aktion nicht. Präsident Obama, der mit dem Versprechen antrat, der «Präsident der Transparenz» zu werden, hat schon jetzt sechs Whistleblower wegen ­«Spionage» angeklagt. Mehr als alle Präsidenten vor ihm gemeinsam.

Nun aber weitet sich «der Krieg gegen die Whistleblower zu einem Krieg gegen Journalisten aus», sagt die ehemalige FBI-Agentin Coleen Rowley. Sie selbst wurde 2002 zum Whistleblower, als sie Fehler des FBI vor den Attentaten vom 11. September 2001 enthüllte.

Der wütende Chef von AP, Gary Pruitt, verlangt jetzt die Rückgabe sämt­licher Informationen vom Justizministerium. Und die grosse Bürgerrechtsgruppe American Civil Liberties Union (ACLU) versucht, die Affäre positiv zu nutzen. Die ACLU hofft, der Skandal könne eine «gesunde Debatte» über die Frage auslösen: «Wie viel darf die Regierung wissen?»

1,7 Milliarden angezapft

Seit September 2001 haben die ­Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger drastisch zugenommen. In einer grossen Recherche fand die «Washington Post» heraus, dass die National ­Security Agency (NSA) jeden Tag rund 1,7 Milliarden E-Mails, Telefonate und andere Kommunikationskanäle anzapft. Und selbst nicht angezapfte Telefonate können nachträglich abgehört werden. Nach den Bomben von Boston erklärte ein einstiger FBI-Agent gegenüber CNN, alle Telefongespräche würden aufgezeichnet und aufbewahrt.

Es kommt noch schlimmer: Der AP-Skandal ist noch nicht verhallt, schon werden neue Ermittlungen gegen einen Journalisten bekannt. Dieses Mal trifft es einen Reporter des ­Senders Fox News, der im US-Aussen­minis­te­rium über die nordkoreanische Atombewaffnung recherchiert hat. Nicht nur der Informant, sondern auch der Journalist sollen angeklagt werden.

Newt Gingrich warnt seine Partei vor zu viel Übermut.

Trotz aller Wirren: Der AP-Skandal wird für die Republikaner nur von begrenztem Nutzen sein, sie selber kämpfen mit einem Handicap. Ihre Spitzenpolitiker wetterten im vergangenen Jahr, als die geheime CIA-Operation im Jemen bekannt wurde, lauthals über eine «politisch motivierte Indiskretion», mit der die Regierung sich für den Wahlkampf rüsten wolle. Damals verlangten die Republikaner «umfassende Ermittlungen» über die Indiskretion. Heute kritisieren sie die angeblichen «Übergriffe der Ermittler».

Den grössten Schaden für Obama und den grösstmöglichen Nutzen für die Republikaner könnte ohnehin der Steuerskandal anrichten. Zwar sind die übereifrigen Steuerfahnder längst gestoppt worden. Sie hatten sich auf die neuen rechten Basisbewegungen gestürzt, die nach Obamas erster Wahl wie Pilze aus dem Boden schossen. Die «Tea Party» und die «Patriots» hatten – als «gemeinnützige Organisationen» – Steuerbefreiung beantragt.

Schlachtruf gegen Britannien

Der Kampf gegen «zu hohe Steu­ern» ist in den USA ein historischer Dauerbrenner. Schon die Unabhän­gigkeits­kämpfer benutzten ihn als Schlachtruf gegen die britische Krone. Ungeachtet davon versuchen die Spitzen der Republikanischen Partei, den Übereifer ihrer Basis zu bremsen. Diese vergleicht Präsident Obama bereits mit Richard ­Nixon und dessen Watergate-Affäre. Newt Gingrich, der frühere republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, rät zur Mässigung: Statt nach Amtsenthebung zu rufen, sei es besser, kontinuierlich an der Aufklärung der verschiedenen Skandale zu arbeiten und sie in Erinnerung zu halten.

Gingrich ist selber ein gebranntes Kind. In den 1990er-Jahren hatte er versucht, Präsident Clinton wegen der Lewinski-Affäre des Amtes zu entheben. Sein Angriff misslang, und die ­Republikaner verloren ihre Mehrheit. «Wir sind damals zu weit gegangen», warnt Gingrich heute.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13

Nächster Artikel