Egal auf welchem Kontinent: Erwachsenwerden ist für alle gleich

Die Ausgangslagen in Westafrika und der Schweiz könnten unterschiedlicher nicht sein. Und dennoch verbindet junge Studienabgänger vieles. Die Ausstellung «Was Werden Wird» nimmt die Besucher mit auf eine Suche nach der Essenz des Erwachsenwerdens.

Was die Zukunft bringen mag?

(Bild: Bah Diancoumba)

Die Ausgangslagen in Westafrika und der Schweiz könnten unterschiedlicher nicht sein. Und dennoch verbindet junge Studienabgänger vieles. Die Ausstellung «Was Werden Wird» im Museum der Kulturen nimmt die Besucher mit auf eine Suche nach der Essenz des Erwachsenwerdens.

Noemi Steuer und Clemens Bechtel hatten bisher noch keine Erfahrung in der Museumsarbeit. Und vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ihr museales Erstlingswerk so ungewohnte Wege geht. Die Ethnologin und Theaterschaffende und der Regisseur haben eine Ausstellung am Museum der Kulturen Basel gestaltet, die das Erwachsenwerden in Bamako (Mali), Ouagadougou (Burkina Faso) und Zürich beleuchtet. Entstanden ist ein audiovisueller Rundgang durch authentische Lebenswelten – ein Erlebnis, das auch manch einen Ausstellungsmuffel begeistern könnte.

Für ihr Gestaltungskonzept liessen sie sich unter anderem von der Idee des Labyrinths inspirieren, sagt Bechtel: «Wir wollten, dass man nicht alles sofort sieht, dass es Dinge gibt, die erst später in einer verwinkelten Ecke des Raums zum Vorschein kommen.» Das Resultat: Die Ausstellung «Was Werden Wird» ist vielseitig und chaotisch wie das Leben selbst.

Zu sehen sind hauptsächlich Fotografien, die angehende Fotografinnen und Fotografen aus Bamako und Zürich zum Thema Älterwerden machten. Verbunden werden diese Bilder mit vertonten Originalzitaten aus Interviews, die einen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelten der Jugendlichen geben und so zur Reflexion über das Erwachsenwerden in verschiedenen Kulturen anregen. «Es war uns ein Anliegen, auszuprobieren, wie Bild und Ton zusammen funktionieren», sagt Bechtel.

Brücken bauen – zwischen Kulturen, Genres und zu der Öffentlichkeit

Die Ausstellung ist Teil des Kommunikationsprojekts «Longing for the Future» am Zentrum für Afrikastudien Basel (ZASB), das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert wird. Mit dem Förderinstrument Agora unterstützt der SNF den Austausch zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

Als Grundlage für das gesamte Projekt diente die qualitative Forschung von zwei Doktorandinnen des ZASB. Im Zentrum stand die Frage, wie Studienabgänger in Bamako und Ouagadougou mit beruflichen und sozialen Unsicherheiten umgehen. Die Ausstellung «Was Werden Wird» macht die Resultate dieser Forschung einem breiteren Publikum zugänglich. Beide Doktorandinnen haben insgesamt 60 junge Studienabgänger während mehreren Jahren begleitet und zum Thema Zukunftsgestaltung und dem sozialen Aspekt des Erwachsenwerdens befragt, die eine in Bamako, die andere in Ouagadougou. Als besonders wichtig herauskristallisiert haben sich die Konzepte «Glück» und «Hoffnung».



Bücher wälzen: Für viele junge Westafrikaner ist es damit nach der Erstausbildung nicht vorbei. Weil die wenigsten direkt eine Anstellung finden, beginnen viele eine Zweitausbildung.

Bücher wälzen: Für viele junge Westafrikaner ist es damit nach der Erstausbildung nicht vorbei: Weil die wenigsten direkt eine Anstellung finden, beginnen viele eine Zweitausbildung. (Bild: Zoumana Sidibé)

Aus den insgesamt 60 aufgezeichneten Biographien hat die Projektleitung von «Longing for the Future» vier Personen für das weitere Projekt ausgesucht. Es wurden Lebensläufe herausgegriffen, die sich besonders gut inszenieren liessen, sagt Steuer: «Für die Auswahl der Personen war ein dramatischer Moment ausschlaggebend, sie sollten in ihrem Leben vor konkreten Herausforderungen und Entscheidungsmomenten stehen.»

Auf Basis dieser Biographien erarbeiteten Fotografen aus Mali ihre Bilder und ein Theaterkollektiv aus Ouagadougou ein multiperspektivisches Theaterstück. Zudem interviewten neun Studierende der Zürcher Hochschule F&F für Kunst, Design und Fotografie jeweils eine Person aus Zürich zu ähnlichen Fragen und setzten die Einsichten anhand von Installationen oder Fotos visuell um.

Die Ausstellung im Museum der Kulturen Basel führt die unterschiedlichen Produkte zusammen, die in Mali, Burkina Faso und der Schweiz entstanden. Im dritten Stockwerk befindet sich der erste Teil der Ausstellung «Was werden wird», der einen allgemeinen Überblick über die Fragestellung und die unterschiedlichen Arbeiten gibt. Im ersten Stockwerk bietet sich dem Besucher die Gelegenheit, in Form eines Audiowalks in die Haut von zwei jungen Westafrikanern zu schlüpfen und mit ihrer Erzählung im Ohr durch die thematisch angeordneten Fotografien zu wandeln. Zum Schluss der Ausstellung werden die Besucher dann in einer Art Höhle direkt mit Fragen zum eigenen Leben und Erwachsenwerden konfrontiert, etwa: «Wann hast du deine Eltern zum letzten Mal nach Geld gefragt? War das beschämend?»

Die Zukunft als Geschenk

An der Vernissage beschreibt Projektleiterin Noemi Steuer das ambivalente Verhältnis unserer Gesellschaft zum Thema Zukunft: «Einige meinen – vielleicht zu Recht – dass es nichts bringe, auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden, da alles im stetigen Wandel  ist.» Gleichzeitig stehe der moderne Mensch aber unter einer Art Zukunftszwang, denn ohne klare Vorstellungen komme man in unserer westlichen Welt kaum aus – «und nicht zuletzt macht es auch ungemein Spass, Pläne zu schmieden und den Blick in die Zukunft schweifen zu lassen!» Genau so präsentiert sich auch die Ausstellung: Es ist allen Hindernissen zum Trotz ein lustvolles Unterfangen, sich auf die Zukunft einzulassen.

Dass das Vertrauen in die Zukunft ein Geschenk und diese nicht überall eine Selbstverständlichkeit ist, das wurde Steuer während der Projektphase bewusst: Burkina Faso und Mali sind zurzeit hochdynamische Regionen. Der religiöse Fundamentalismus hat sich in beiden Ländern markant zugespitzt, seit das Projekt im Jahr 2010 startete, im Norden Malis hat sich zudem der Krieg verschärft. «All das hat uns auf bedrückende Weise klargemacht, wie unberechenbar die Zukunft sein kann», sagt Noemi Steuer.

Es ist eines der wenigen Male, dass sie im Gespräch die schwierige politische und ökonomische Realität im afrikanischen Kontext anspricht – vielleicht, weil diese für sie mittlerweile zur Selbstverständlichkeit wurde: «Ich forsche seit so vielen Jahren in Afrika, vorwiegend Mali, und kenne die Lebensumstände.» Trotzdem finde sie, dass es den Menschen dort nicht gerecht werde, sie nur als passive Opfer darzustellen: «Sie machen unglaublich viel, sind sehr erfinderisch und aktiv, um das Leben zu meistern.»

Anderer Kontext, ähnliche Themen

So verzichtet auch die Ausstellung ganz darauf, Vergleiche zwischen den «privilegierten» Schweizern und den «armen» Afrikanern zu ziehen und somit die Unterschiede hervorzuheben. «Stattdessen kann man ruhig einmal die Gemeinsamkeiten herausstreichen», sagt Clemens Bechtel. Im Rahmen des Projekts habe er gemerkt, dass beim Übergang vom Studium in die Berufswelt in den unterschiedlichen Kulturen ähnliche Themen wichtig sind – «zum Beispiel stehen die berufliche sowie die private Ebene meistens in einem engen Abhängigkeitsverhältnis. Berufliche Entscheidungen haben etwa einen Einfluss auf die Familiengründung und umgekehrt»

Hat die Chance, das Bild über die eigene Kultur mitzuprägen: Zoumana Sidibé konnte im Rahmen des Projekts Longing for the future in die Schweiz reisen.

Hat die Chance, das Bild über die eigene Kultur mitzuprägen: Zoumana Sidibé konnte im Rahmen des Projekts Longing for the future in die Schweiz reisen. (Bild: Zoumana Sidibé)

Noemi Steuer möchte auch in Zukunft Projekte in der Art fördern: «Gerade zu Zeiten der Globalisierung ist die Vernetzung wichtig, auch unter jungen Leuten.» Dass dem Austausch auf Augenhöhe bürokratische Hürden im Weg stehen, zeigte sich kurz vor der Vernissage: Eigentlich sollten vier malische Fotografen anreisen, zwei von ihnen erhielten jedoch das Visa nicht. Die anderen beiden, Salimata Sogodogo und Zoumana Sidibé, konnten erfolgreich einreisen. Sie nahmen an Workshops mit den Fotostudenten aus Zürich teil und gaben auch ein Interview mit Radio X, das im Rahmen der Sendereihe Schwarz/Weiss ausgestrahlt wird.

Das Projekt «Longing for the future» will Menschen aus Westafrika in ihren eigenen Belangen zu Wort kommen lassen, und nicht nur über sie sprechen, sondern mit ihnen: «Sie haben ein Recht auf ein eigenes Bild», sagt Steuer. «Afrika liegt so nahe, und trotzdem sind unsere Vorstellungen davon noch immer von Exotismus geprägt.»

Die Ausstellung beleuchtet nicht die oft stilisierte Realität des ländlichen Afrikas, sondern die urbane Welt von jungen Akademikern – mit ihren Träumen und Hoffnungen, ihren Enttäuschungen und Erfolgen. Es ist ein Afrika, das plötzlich gar nicht mehr so weit weg ist. Und so landen wir auch am Ende des Audiowalks in einer dunklen Kammer plötzlich wieder bei uns selbst.

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Die Ausstellung «Was Werden Wird» ist vom 10. April bis am 5. Juni 2016 im Museum der Kulturen Basel zu sehen. Im Rahmenprogramm berichten Ethnologinnen bei Spezialführungen von ihren Forschungserfahrungen.  

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