Eigentum? Staatliche Regulierung!

Es besteht ein Widerspruch darin, dass Liberale das Urheberrecht verteidigen. Die Piratenpartei dagegen hat erkannt, dass es sich dabei um eine Marktregulierung handelt – und nichts anderes.

Es besteht ein Widerspruch darin, dass Liberale das Urheberrecht verteidigen. Die Piratenpartei dagegen hat erkannt, dass es sich dabei um eine Marktregulierung handelt – und nichts anderes.

Manfred Schneider, deutscher Literaturprofessor, richtet sich kürzlich in der NZZ gegen die Netzgemeinde. Zentral war die Kritik am Satz des Programms der deutschen Piraten, gemäss dem «die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte.» Herr Schneider hält diesen Bezug auf die Natur für ideologisch, ja für einen nicht ernst zu nehmenden “Blütentraum”.

Urheberrecht ist aus meiner Sicht eine staatliche Regulierung von Märkten, wie zum Beispiel das Konsumentenrecht oder das Umweltrecht. Als Begründung für Urheberrecht wird regelmässig die Bekämpfung «positiver externer Effekte» angegeben. Wenn auch selten explizit. Es heisst, es gehe darum, dass ein Autor keine Motivation mehr habe, kreativ zu sein, wenn andere die Werke dieses Autors frei kopieren könnten (also mit anderen Worten von positiven externen Effekten profitieren können, ohne zu zahlen). Aus Ökonomensicht führt solches zu «Marktversagen», und damit zu einem gesamtwirtschaftlichen Nachteil. Darin liegt nach traditioneller ökonomischer Auffassung ein legitimer Grund für einen Eingriff in den freien Markt, wie ihn das Urheberrecht darstellt.

Zunächst ist es nun aber so, dass heute diverse andere Fälle von Marktversagen unreguliert bleiben: So wenden sich gerade «Liberale» regelmässig gegen Subventionen im Bereich grüne Energie, obwohl es dabei um einen absolut vergleichbaren Vorgang geht: Die Gemeinschaft finanziert Tätigkeiten, die gesamtwirtschaftlich vorteilhaft sind, um einen Anreiz für diese Tätigkeiten zu geben, genau so wie das Urheberrecht einen Anreiz für die Kreativität des Urhebers geben soll. Die «Liberalen» bekämpfen die Regulierung im Umweltbereich mit dem Argument, Regulierung an sich sei schlecht.

Das Urheberrecht ist aber natürlich schon alt. Auch die «Liberalen» haben deshalb verinnerlicht, dass es diese Regulierung gibt. Womöglich um kognitive  Dissonanzen zu vermeiden, reden sie allerdings nicht von Marktregulierung, sondern von «Geistigem Eigentum».

Dabei ist der Effekt, dass der Autor vom Urheberrechtsgesetz ein Ausschliesslichkeitsrecht zugesprochen erhält, mit dem er sich gegen die Nutzung seiner Werke wehren oder einen finanziellen Vorteil erwirtschaften kann, gar nicht Zweck der Übung. Das Ausschliesslichkeitsrecht ist vielmehr nur ein Mittel zu dem Zweck, das beschriebene Marktversagen zu korrigieren. Der finanzielle Vorteil ist blosse Reflexwirkung. Dass sich die Leute im Lauf der Zeit daran gewöhnt haben, Geld für ihre durch das Urheberrecht geschützten Werke verlangen zu können, sodass sie angefangen haben, von «Eigentum» zu sprechen, ändert daran nichts.

Das Überraschende an der Sache ist nun, dass der Ansatz der Piraten genau besehen genau zu dem führt, was die Liberalen eigentlich wollen: Zu freiem Markt ohne staatliche Eingriffe.

Und aus eben dieser liberalen Sicht muss doch die Frage erlaubt sein, ob das heutige Urheberrecht seine Funktion als wirtschaftspolitisches Instrument zur Förderung der Kreativität noch wirksam wahrnehmen kann. Gerade die neue Wirklichkeit des Internets, die eine Verfolgung von Urheberrechtsverstössen faktisch verunmöglicht und angesichts derer Millionen von Internetnutzern kriminalisiert werden für Tätigkeiten, die sie seit Jahren als selbstverständlich erachten, sollte uns veranlassen, diese Frage erneut aufzuwerfen.

In eine solche Neubeurteilung sollten auch ältere kritische Argumente Einfluss finden: So führt dieses «Geistige Eigentum» seit jeher nur selten zu einem wesentliche Nutzen derjenigen, deren Kreativität gefördert werden soll: Der Grossteil der erzielten Erträge versickert nämlich in einer langen Wertschöpfungskette, in der sich die Kreativen meistens am kürzeren Verhandlungshebel wieder finden. Es ist denn auch nicht verwunderlich, wenn sich auf Seiten der «Künstler», die sich in den vergangenen Wochen gegen die Netzgemeinde gestellt haben, um das «Urheberrecht» zu verteidigen, fast ausschliesslich Leute finden, die das Glück haben, aufgund ihrer Bekanntheit einen längeren «Verhandlungshebel» zu besitzen. Das ist aber eine kleine Minderheit aller Kreativen, und sicher nicht jene Minderheit, deren Kreativität das Urheberrecht allein fördern sollte. Hinzu kommt, dass heute viele die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe zur Förderung der Kreativität als solche bezweifeln. So hatte die deutsche Literatur ihre Blütezeit zu Zeiten, als es noch kaum urheberrechtlichen Schutz gab. Es ist also keineswegs erwiesen, dass es das heutige Urheberrechtssystem wirklich braucht, um Kreativität zu ermöglichen.

Das System des Urheberrechts, wie es heute besteht, ist damit wohl weniger eine ökonomische Notwendigkeit und eine Reaktion auf ein tatsächlich vorhandenes Marktversagen, als das Ergebnis fleissiger Lobbyisten, die an diesem System mehr und mehr zu verdienen hoffen. Nur solche «regulatory capture», also Beeinflussung der Gesetzgebung durch Partikulärinteressen, erklärt beispielsweise, dass die angeblich so kreativitätsfördernden urheberrechtliche Schutzfristen dieser Tage wieder einmal verlängert werden sollen. Und zwar auch rückwirkend für Werke, deren Autoren längst verstorben sind.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12

Erstpublikation auf der Digitalen Allmend

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