Ein AKW-Unfall? Kein Problem!

Nach der Atombehörde reden nun auch der Bundesrat und die Baselbieter Regierung die möglichen Auswirkungen eines AKW-Unfalls schön. Schon etwas mehr Sorgen scheint man sich in Basel zu machen – auch ums Trinkwasser.

Energiestrategie 2050: Für die Mehrheit im Nationalrat gibt es keine Alternative zum Atomausstieg. (Bild: Keystone)

Nach der Atombehörde reden nun auch der Bundesrat und die Baselbieter Regierung die möglichen Auswirkungen eines AKW-Unfalls schön. Schon etwas mehr Sorgen scheint man sich in Basel zu machen – auch ums Trinkwasser.

Welche längerfristigen Folgen hat ein schweres Unglück in einem AKW tatsächlich? Was ging vergessen in den bisherigen Notfallszenarien, welche Gefahren wurden unterschätzt?

Das fragten sich die Bundesbehörden in Bern, die Atombehörde in Brugg und die Verantwortlichen in den Kantonen nach «Fukushima», dem 11. März 2011, als an Japans Ostküste das bisher Unvorstellbare plötzlich Realität wurde: eine Kernschmelze im AKW, in den Blöcken 1 bis 3. Grosse Mengen von Radioaktivität traten aus und verseuchten nicht nur Luft und Boden, sondern auch das Grundwasser und das Meer. Während Tagen, Wochen und Monaten.

Alles im Griff!

Was, wenn es in Beznau, Gösgen, Leibstadt oder Mühleberg einen ähnlichen Unfall gäbe und Aare und Rhein vergiftet würden, die Trinkwasserquelle von Hunderttausenden von Menschen flussabwärts?

Dieser Frage ging das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) im Auftrag des Bundesrates in Folge von «Fukushima» erstmals ernsthaft nach. Und die Atomschutzbehörde ging dabei so vor, wie es Sicherheitsbehörden häufig tun. Sie verfasste einen Bericht, in dem die Probleme zwar angetönt werden, aber nur ganz vorsichtig, damit sich die Kernbotschaft aller Sicherheitsverantwortlichen weiter aufrechterhalten lässt: Wir haben alles im Griff, auch wenn die eine oder andere Anpassung nötig ist. Die «bestehenden Abläufe und Massnahmen des Notfallschutzes» seien «geeignet, um die Menschen und die Umwelt zu schützen», heisst es im Ensi-Papier vom Oktober 2013 zur «Radiologischen Schadstoffausbreitung in Fliessgewässern». Die Bevölkerung in der Region Basel zum Beispiel könne auch ohne Nachschub aus dem Rhein während 175 Tagen mit Trinkwasser versorgt werden.

Eine ganze Reihe von Irrtümern

Das klang beruhigend. Leider war aber eine ganze Reihe von Angaben in dem Bericht fehlerhaft: Die Liste der Trinkwasserbezüger entlang von Aare und Rhein; die Wassermenge, die den beiden Flüssen ­entnommen wird; die nach den Erfahrungen in Fukushima erstmals hochgerechnete Menge an radioaktivem Wasser, die auch in der Schweiz aus einer AKW-Ruine strömen kann – alles falsch.

Kein Thema war für das Ensi zudem, dass das Rheinwasser in der Muttenzer Hard auch für den sogenannten Grundwasserberg abgepumpt werden muss, der die Trinkwasserbrunnen vor den Giften aus den ­nahegelegenen Chemiemülldeponien schützt.

Kritische Fragen

Die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) deckten die Fehler auf, und nachdem im Dezember auch mehrere Medien, darunter die TagesWoche, darüber berichtet hatten, wurden auf verschiedenen Ebenen Politiker aktiv. In Bern reichte der Solothurner SP-Nationalrat Philipp Hadorn einen Vorstoss ein, in Basel-Stadt die grüne Grossrätin Mirjam Ballmer, im Baselbiet der grüne Landrat Jürg Wiedemann, in Solothurn SP-Gemeinderat Reiner Bernath. Und sie alle stellten die Fragen nochmals, die das Ensi eigentlich hätte beantworten müssen: Welche längerfristigen Folgen könnte ein schweres Unglück in einem Schweizer AKW tatsächlich haben? Was ging vergessen in den bisherigen Notfall-Szenarien, welche Gefahren wurden unterschätzt, gerade im Bereich der Trinkwasseraufbereitung und -versorgung?

Die Baselbieter Regierung räumt zwar auch Fehler ein, bezeichnet diese aber als «nicht relevant»

Bis heute liegen die Antworten des Bundesrates, der Basler und der Baselbieter Regierung vor – und sie sind ähnlich widersprüchlich und teilweise verharmlosend, wie der Ensi-Bericht es schon war. Das fängt bei den Wassermengen an, mit denen die Atombehörde in Bezug auf die Region Basel gerechnet hat. Während die noch vergleichsweise kritische Basler Regierung diese schlicht als «nicht korrekt» bezeichnet, verteidigen die Kollegen auf dem Land ähnlich wie der Bundesrat erst einmal das Ensi: Die Atombehörde habe die Daten von der Wasserversorgerin, den Industriellen Werken Basel (IWB), übernommen, womit diese also eigentlich stimmen müssten. Mit dieser Behauptung versuchte sich das Ensi schon im Dezember zu verteidigen – zu Unrecht, wie die IWB schon damals in der TagesWoche klarstellten.

Unklare Zuständigkeiten

Immerhin räumt die Baselbieter Regierung im Gegensatz zum Ensi nun ein, dass die von wo auch immer übernommenen Angaben nicht ganz korrekt seien, wobei dieser Fehler aber «nicht relevant» sei, wie die Regierung weiter schreibt. Ebenso wenig scheint sie zu beunruhigen, dass das Ensi nur die kontaminierte Wassermenge in ihre Überlegungen einbezog, die in Fukushima kurz nach dem Unglück ausgeströmt war. Dabei flossen dort auch danach noch Hunderte Tonnen verseuchtes Wasser in die Gewässer – eine Katastrophe, die auch in der Schweiz nicht auszuschliessen ist.

So werden die Verantwortlichkeiten hin und her geschoben, bis sich niemand mehr wirklich verantwortlich fühlt

Umso gravierender ist dieser Fehler, als auch noch die Zuständigkeiten im Ernstfall unklar sind. Die Regierungen von beiden Basel legen Wert auf die Feststellung, dass «die Federführung zur Bewältigung von Ereignissen nationaler Tragweite, die Bevölkerung, Tiere und Umwelt durch erhöhte Radioaktivität gefährden oder beeinträchtigen», gemäss ABCN-Verordnung von 2010 «beim Bund» liege. Der Bundesrat dagegen verweist lieber auf die Verordnung über die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in Notlagen von 1991, in der die Kantone für «Anordnung und Vollzug der Notfallschutzmassnahmen» verantwortlich gemacht werden; Bund und Ensi würden demnach nur «unterstützend» wirken.

Selbstverständlich kennen auch die Behörden von Basel-Stadt und Baselland diese Vorschriften. Im Gegensatz zum Bundesrat entnehmen sie dem Regelwerk aber, dass im Notfall – neben dem Bund versteht sich – nicht in erster Linie die Kantone für die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung verantwortlich wären, sondern die Gemeinden und die Trinkwasserversorger wie die Hardwasser AG und die IWB in der Region Basel.

Diese wiederum wären sogar noch bereit, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen; gegenüber den Regierungen der beiden Basel haben sie sich aber darüber beklagt, dass ihnen die dafür nötigen Katastrophen-Szenarien fehlen. Die entsprechenden Angaben sind beim Ensi zwar angefordert worden, die AKW-Betreiber halten die Informationen aber offenbar zurück.

Viele schöne Worte

So werden die Verantwortlichkeiten hin und her geschoben, bis sich niemand mehr wirklich verantwortlich fühlt. Welche Folgen das haben kann, zeigte sich im Juni 2011 in einem vergleichsweise noch harmlosen Fall, als die Betreiber des AKW Leibstadt mit Javelwasser und über zwei Tonnen des Biozids THPS gegen Legionellenkeime vorgingen. Das verschmutzte Kühlwasser liessen sie in den Rhein ab, ohne dass sie oder das Ensi die Umweltbehörden, Trinkwasserproduzenten und Energiewerke rheinabwärts informiert hätten. Diese merkten in den Tagen danach bei Routinemessungen, dass der Rhein ungewöhnliche Substanzen mit sich führte – und verzichteten während fast eines Monates bis nach Köln vorsichtshalber auf die Entnahme von Trinkwasser.

Entsprechend gross war der Ärger, als sich schliesslich doch noch der Grund für die scheinbar unerklärlichen Messwerte herausstellte. Danach sollte alles besser werden in der Kommunikation und der Aufgabenverteilung.

Ein Versprechen, das die Bundesbehörden und das Ensi nach der verunglückten Putzaktion und – erst recht – nach dem Unglück in Fukushima abgaben.

Beruhigende Worte, auch das. Nur leider hatten auch sie offenbar nicht allzu viel mit der Realität zu tun.

Die Chemiemülldeponien – das ganz spezielle Problem der Region Basel

Während sich die Behörden in Bundesbern und Liestal nach dem fehlerhaften Ensi-Bericht aufs Abwiegeln verlegen, wird in Basel nicht nur viel geredet, sondern auch gehandelt. «Die Katastrophe in Fukushima hat uns gezeigt, wie abhängig unsere Trinkwasserversorgung vom Rhein ist», sagt Kantonschemiker Philipp Hübner: «Vor diesem Unfall rechnete noch niemand damit, dass auch die Gewässer längerfristig kontaminiert werden könnten.» Bis zu diesem Zeitpunkt seien die Notfallkonzepte in erster Linie auf die Luft und den Boden ausgerichtet gewesen. Nach der neuen Erfahrung in Japan würden diese nun angepasst. «Die IWB haben ihre Lehre gezogen und sind nun daran, die Abhängigkeit vom Rhein für den Notfall zu minimieren», sagt Hübner.

Konkret geht es um die Nutzung von Wasserressourcen aus dem Birstal, die besser erschlossen werden sollen, um eine zusätzliche Aufbereitung des Rheinwassers mit Aktivkohle sowie eine Grundwasseranreicherung in den Langen Erlen mit Wasser aus der Wiese statt aus dem Rhein. Speziell an der Situation in der Region Basel ist zudem, dass das Rheinwasser in der Muttenzer Hard nicht nur zur Trinkwassergewinnung versickert wird. Mit einem Teil des Wassers wird der sogenannte Grundwasserberg erzeugt, der die Trinkwasserbrunnen vom Gift abschirmt, das in der Umgebung in den Chemiemülldeponien von BASF, Novartis und Syngenta liegt. Ohne diesen Schutz wäre das Trinkwasser für rund 230 000 Menschen in der Region nach den vom Ensi für den Notfall ausgerufenen 175 wasserreichen Tagen wohl längst verschmutzt.

Nicht unbedingt beruhigend ist in diesem Zusammenhang auch die Versicherung der Baselbieter Regierung, dass von der Deponie Feldreben nach der Sanierung keine Gefahr mehr ausgehe. Denn erstens gibt es in dem Gebiet auch daneben noch einige Altlasten. Und zweitens weist die Basler Regierung darauf hin, dass es sich bei den bevorstehenden Arbeiten nur um eine Teilsanierung handelt (um eine deutlich weniger umfangreiche notabene, als die Baselbieter Regierung behauptet) und ein Abfluss aus der Deponie zu den Trinkwasserfassungen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann ohne zusätzlichen Schutz durch den Grundwasserberg.

 

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