Die SVP hat am Mittwochmorgen eindrücklich bewiesen, dass sie tatsächlich in so einem so schlechten Zustand ist, wie alle vermuten. Die wirre Wahlstrategie war unverständlich – und auch etwas peinlich.
Kurz nach Mittag, die Fleischplatten für den neugewählten Bundesrat Alain Berset waren noch unter Zellophan, sah man ganz hinten in der Galerie des Alpes des Bundeshauses Jean Henri Dunant. Der ehemalige Basler SVP-Nationalrat sass alleine an einem Vierertisch und blätterte in einer Zeitung. Etwas einsam sah das aus. Etwas traurig auch.
Es war die Bundesratswahl der SVP in einem Bild. Allein. Etwas absonderlich. Und eigentlich bedauernswert. Die einst so selbstbewusste Partei demontierte sich am Mittwochmorgen selber. Bis zur letzten Fraktionssitzung der Partei um 7 Uhr in der Früh am Mittwoch hatte die Parteispitze mit ihrer Fraktion immer nur die ersten zwei Wahlgänge besprochen. Zu gross war die Angst, etwas würde aus dem Fraktionszimmer hoch oben im Bundeshaus an die Öffentlichkeit dringen.
Es wäre vielleicht besser gewesen.
So aber einigte sich die Fraktion in ihrer letzter Sitzung «einstimmig» auf die wohl absonderlichste Wahl-Strategie, die sich jemand überhaupt ausdenken konnte. Als der Angriff auf Eveline Widmer-Schlumpf im zweiten Wahlgang deutlich gescheitert war (Widmer-Schlumpf machte 131 Stimmen), erwarteten alle im Saal eine Erklärung von SVP-Fraktionschef Caspar Baader. Doch der blieb sitzen. Baader und seine SVP-Freunde waren in diesem Moment die fleischgewordene Konsternation. Kein Wank, ein leerer Blick, müde Augen. Wahrscheinlich hatte die Fraktion tatsächlich ihrem Präsidenten Toni Brunner geglaubt, der am Abend vor der Wahl noch Durchhalteparolen verbreitet hatte: «Es wird enger als viele glauben!»
Wurde es nicht. Und statt sich zu erklären, wählte die SVP in der Folge gemeinsam mit dem Parlament Ueli Maurer und Didier Burkhalter. Die Erleichterung war danach vielen Freisinnigen anzusehen – nicht nur hatte die FDP zu diesem Moment ihren ersten Bundesrat gerettet. Die FDP hatte sich auch – im eigenen Verständnis – als verlässlicher Partner der SVP erwiesen. Die zusammengerechnete Stimmenzahl von Hansjörg Walter und Jean-François Rime ergab 104 – zwei Stimmen mehr als die Fraktionen der SVP (61) und der FDP (41) gemeinsam haben.
Angriff auf die Freunde
Der SVP war diese Unterstützung nicht bedingungslos genug. Als Baader nach der Wiederwahl von Burkhalter endlich ans Rednerpult trat, da machte er nicht nur die SP und die Parteien der Mitte für den «Bruch der Konkordanz» verantwortlich, sondern auch die FDP. Darum werde die Partei nun mit Jean-François Rime jeden verbleibenden Sitz angreifen. Der zweite SVP-Kandidat Hansjörg Walter wurde von Baader in der gleichen Rede aus dem Rennen genommen – Walter selber erklärte sich nicht. «Das war vielleicht ein Fehler», sagte er später im Fernsehen.
Ein Fehler war auch der Angriff der SVP. Nicht nur verärgerte die Partei ihre einzigen Freunde (bei der Anschuldigung, die SVP zu wenig unterstützt zu haben, begannen einige FDPler zu johlen), sie war auch nicht konsequent. Warum, wenn die Konkordanz bereits im zweiten Wahlgang gebrochen wurde, greift man erst im fünften Wahlgang an? Warum lässt man Burkhalter schlüpfen, wenn doch die FDP dem bösen Feind geholfen haben soll?
Auf keine dieser Fragen hatte am Mittwoch ein SVPler eine Antwort. Und so kam alles, wie es alle schon immer vorausgesagt hatten. Die Angriffe gegen Sommaruga (gewählt mit 179 Stimmen) und Johann Schneider-Ammann (159) verpufften und alles blieb beim Alten. Selbst bei der Wahl um den freiwerdenden Sitz von Micheline Calmy-Rey blieb eine Überraschung aus. Wie erwartet setzte sich Alain Berset klar durch.
Die einzige Überraschung an diesem an Überraschungen armen Mittwochmorgen war der Zustand der SVP. Der scheint desaströser, als man es bisher angenommen hat.
Artikelgeschichte
Korrektur: Brunner hat sich fälschlicherweise in die Fraktionsrede geschlichen. Es war natürlich Baader. Korrigiert dank einem Hinweis von unserer Userin Réjeanne.