Es ist meist einfacher, ein Übel in die Welt zu setzen, als es wieder loszuwerden. Das gilt auch für Chemiewaffen.
Chemische Kampfstoffe sind eine niederträchtige Erfindung. Erstmals in grösserer Menge eingesetzt wurden sie im Jahr 1915 im Stellungskrieg bei der belgischen Stadt Ypern. Als am 22. April der Wind in Richtung der französischen und britischen Stellungen blies, öffneten deutsche Soldaten Tausende von Gasflaschen. Dabei strömten nahezu 150 Tonnen Chlorgas aus.
Die amtlichen französischen Mitteilungen zum Kriegsverlauf (hier zitiert nach den «Basler Nachrichten») fanden für das Weitere nur dürre Worte: «Ein dichter gelber Rauch, der von den deutschen Schützengräben ausging und durch Nordwind vorgetrieben wurde, übte auf unsere Truppen eine vollständige vergiftende Wirkung aus, die bis zu den Stellungen der zweiten Linie verspürt wurde.»
Die Gaswolke tötete 3000 bis 5000 französische und britische Soldaten, gegen 7000 weitere zeigten Vergiftungserscheinungen. Der Angriff brachte den deutschen Truppen für kurze Zeit einen Gebietsgewinn. Die tags darauf unternommenen französischen Gegenangriffe machten diesen wieder weitgehend zunichte.
Verstoss gegen die Haager Landkriegsordnung
Der Einsatz von Chlorgas war ein klarer Verstoss gegen die von Deutschland mitunterzeichnete Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907. Diese verbietet in Artikel 23a ausdrücklich «die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen».
Doch das Abkommen konnte weitere Giftgas-Angriffe nicht verhindern. Bald setzten auch die Armeen von Grossbritannien, Frankreich, Russland, Italien und Österreich chemische Kampfstoffe ein.
Insgesamt sollen die kriegführenden Staaten im Ersten Weltkrieg mehr als 150’000 Tonnen Kampfgifte produziert und rund 120’000 Tonnen davon auch eingesetzt haben. Wie viele Menschen dabei zu Schaden kamen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Der Chemiker Dieter Martinez nimmt an, dass im Ersten Weltkrieg 70’000 bis 90’000 Menschen durch chemische Kampfstoffe getötet wurden und rund eine Million weitere von Vergiftungserscheinungen betroffen waren.
Den Verlierern des Ersten Weltkriegs, namentlich Deutschland, wurde die Produktion von Chemiewaffen verboten.
Das Genfer Protokoll von 1925
Bestrebungen, die Anwendung chemischer Kampfstoffe international zu ächten, führten 1925 zu einem völkerrechtlichen Vertrag, dem Genfer «Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Krieg». Dabei handelt es sich allerdings lediglich um ein Verbot, entsprechende Mittel anzuwenden – weitere Vorgaben fehlen.
Ungeachtet des Genfer Protokolls setzten Spanien und Frankreich Mitte der 1920er-Jahre im Kampf gegen die Rifkabylen in Nordafrika chemische Kampfstoffe ein. Das Gleiche taten Mussolinis Truppen 1935 bei ihrem Überfall in Äthiopien und die japanische Armee im Krieg gegen China kurz darauf.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden enorme Mengen von chemischen Kampfstoffen produziert, und zwar von den Alliierten wie von den Achsenmächten. Vor ihrem Einsatz schreckten die kriegführenden Staaten angesichts des gegnerischen Vernichtungspotenzials aber zurück.
Die Chemiewaffenkonvention von 1997
Nach dem Zweiten Weltkrieg beunruhigte das atomare Wettrüsten die Menschen weit mehr als die Chemiewaffen. Ende der 1960er-Jahre waren sie aber wieder zurück auf der politischen Agenda. Dabei sorgten auch die Herbizid-Einsätze der US-Armee mit ihren schlimmen Folgen für Menschen und Natur in Vietnam für Diskussionsstoff.
Nach langjährigen zähen Verhandlungen wurde am 3. September 1992 in Genf schliesslich das «Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen» verabschiedet. Diese Chemiewaffenkonvention wurde anschliessend durch die UNO-Generalversammlung gebilligt und ist seit dem 29. April 1997 in Kraft. Ihre Einhaltung kontrolliert die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW).
Die OPCW überwachte auch die Vernichtung der Chemiewaffen Assads, nachdem Syrien am 14. September 2013 der Konvention beigetreten war. Chlorgas, das in Syrien offenbar weiterhin eingesetzt wird, und zwar gemäss einem OPCW-Bericht von Regierungstruppen, stand nicht auf der Liste der zu vernichtenden Chemiewaffen. Dies, weil es auch im zivilen Bereich Verwendung findet und leicht zu beschaffen sei. Sein Einsatz im Krieg ist dennoch ein Verstoss gegen die Chemiewaffenkonvention und wäre an sich von der UNO zu ahnden.
Quellen
Dieter Martinetz: Vom Giftpfeil zum Chemiewaffenverbot. Zur Geschichte der chemischen Kampfmittel. Thun/Frankfurt am Main 1996