Der neue Bundesrat ist personell zwar fast der gleiche wie der «alte». Alain Berset ersetzt Micheline Calmy-Rey, sonst bleibt alles beim alten. Und trotzdem ist die Ausgansglage eine ganz andere als vor vier Jahren. Ein Kommentar.
Nächstens dürfte die EU in Bern anklopfen. Die Europäische Union fordert immer lauter, dass die Bürger ihrer Staaten keine unversteuerten Gelder mehr in der Schweiz verstecken können. Die bisherigen Abkommen genügen der EU nicht mehr. Nächstens wird auch die Altersvorsorge zu einem guten Teil neu geregelt werden müssen. Und nächstens gilt es auch zu entscheiden, wie der Strom aus AKW zu ersetzen sei. Nächstens – das heisst: in den kommenden vier Jahren.
Diese und weitere Probleme sind in den vergangenen acht Jahren nicht mit der nötigen Konsequenz angegangen worden. Nicht nur, weil das Parlament sich ständig quergelegt hätte. Sondern auch darum, weil der Bundesrat sich selbst gelähmt hat.
Der Bruch mit der jahrzehntealten Zauberformel im Jahr 2003 hat nachhaltige Spuren hinterlassen. Nachdem Christoph Blocher die CVP-Bundesrätin Ruth Metzler aus der Regierung verdrängt hatte, war so viel von Zwistigkeiten im Bundesrat die Rede, dass man sich als Aussenstehender nicht vorstellen konnte, wie da konstruktive Zusammenarbeit möglich sein soll. Es ging nach Blochers Abwahl weiter. Zum Beispiel, als sich Micheline Calmy-Rey und Hans-Rudolf Merz während der Libyen-Affäre öffentlich angifteten. Zudem sass mit Eveline Widmer-Schlumpf eine Frau im Bundesrat, deren Legitimation vom rechten Flügel im Parlament konsequent infrage gestellt wurde.
Die Wahl des neuen Bundesrats in dieser Woche weckt Hoffnungen. Auch wenn personell mit dem Sozialdemokraten Alain Berset anstelle der Genferin Calmy-Rey nur eine Person ausgewechselt worden ist, so kann die Regierung die Zukunft gefestigter angehen. Erstens sind mit Ausnahme von Doris Leuthard alle Mitglieder innerhalb der letzten vier Jahre angetreten. Es ist davon auszugehen, dass sie bis zu den nächsten Gesamterneuerungswahlen 2015 im Amt bleiben. Damit ist eine gewisse Kontinuität garantiert. Zweitens sind Johann Schneider-Ammann und vor allem Eveline Widmer-Schlumpf in einer neuen Position. Schneider-Ammann galt als Wackelkandidat. Ihm hat das Parlament mit seiner guten Wahl den Rücken gestärkt.
Vor allem für Bundesrätin Widmer-Schlumpf ist die Situation eine ganz neue. Sie ist nicht mehr bürgerliche Sprengkandidatin von SP-Gnaden, welche ihre frühere Partei verraten haben soll. Selbst die SVP kann ihr die Legitimation nicht mehr absprechen. Sie hat mit den erstarkten Mitte-Parteien einen Rückhalt wie noch nie.
Gewiss haftet dem neuen Bundesrat der Makel an, dass die wählerstärkste Partei untervertreten ist und sie deshalb ihre Oppositionsrolle verstärkt wahrnehmen dürfte. Im Gegensatz zur Abwahl von Christoph Blocher, bei der eine konzertierte Aktion anderer Parteien den Rechtspopulisten aus dem Amt hievte, hat die SVP sich diesmal selbst in den Schlamassel geritten. Entsprechend zerstritten ist sie und wird wohl einige Monate brauchen, um sich wieder aufzustellen und glaubwürdige Kandidaten für die Landesregierung aufzubauen.
Bis dann muss der neue Bundesrat beweisen, dass er in neuer Zusammensetzung die eingangs erwähnten Probleme lösen und ein paar weitere angehen kann. Und bis dann wird sich weisen, ob die hartnäckige BDP-Bündnerin eine weitere Wiederwahl anstrebt. Tritt sie allenfalls zurück, erledigt sich das Problem der SVP-Zweiervertretung im Bundesrat ganz einvernehmlich. Webcode: @ahlgs
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Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16/12/11