Ein gefährlicher Präsident

Donald Trumps laue Reaktion auf die rechtsextreme Gewalt von Charlottesville schockiert nicht nur die USA. Die meisten Medien hierzulande fanden klarere Worte als sonst bei Fällen rechter Gewalt. 

Kein harmloses Brauchtum: Aufmarsch der rechtsextremen Demonstranten in Charlottesville, Virginia. (Bild: Reuters/Alejandro Alvarez)

Donald Trump ist ein gefährlicher Mensch. Immer wieder bestätigt er dies. In den jüngsten Tagen sind gleich zwei weitere Belege hinzugekommen: das laute Gepolter im Raketenduell mit Nordkorea und die kleinlaute Reaktion nach dem Aufmarsch der Rassisten in Charlottesville.

Dass Trumps Reaktionen auf Kim Jong Uns Drohungen gefährlich sind, leuchtet schnell ein: Der auftrumpfende Präsident könnte der Gefangene seiner Rhetorik werden und meinen, dass er den Worten auch Taten folgen lassen müsse, um so seine Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.

Und die Gefährlichkeit im Fall von Charlottesville? Sie bestand schon, bevor Trump zu den Vorgängen vom vergangenen Wochenende den Mund aufmachte. Rechtsextremismus und Rassismus hat es in den USA schon vorher gegeben, wie in vielen anderen Ländern ebenfalls. Es sind aber Trumps wiederkehrende Twitter-Statements, die bereits während des Wahlkampfs ein Klima der Häme, der Verächtlichmachung und des Hasses verstärkt und vorhandene Ressentiments zusätzlich freigesetzt haben.

Stereotype Nachricht aus dem Golf-Resort

Insofern ist Trump in hohem Mass mitverantwortlich für das, was in Charlottesville geschah. Michael Signer, der demokratische Bürgermeister dieser Stadt, brachte es auf den Punkt: «Ich lege die Verantwortung für vieles, was Sie heute in Amerika sehen, direkt vor die Haustür des Weissen Hauses und von Menschen um den Präsidenten.»

Der Präsident der Vereinigten Staaten mochte die jüngsten Ausschreitungen nicht recht verurteilen, obwohl dies eigentlich sein Job wäre. Der ansonsten redefreudige Mann begnügte sich in seiner Erklärung aus dem Golf-Resort anfänglich nur mit einer stereotypen Verurteilung von Gewalt und einer sehr allgemeinen Bemerkung zu Hass und Borniertheit, wie sie eben auf vielen Seiten bestünden – «on many sides», sagte er gleich zweimal.

Dies die Reaktion auf einen eindeutig von rechtsextremen Kräften organisierten Aufmarsch von gewaltbereiten und zum Teil mit Waffen ausgestatteten Demonstranten in einem friedlichen und die Diversität pflegenden Universitätsstädtchen. Den Vorwand bildete die vom Stadtparlament schon im vergangenen Februar beschlossene Entfernung eines 1924 zu Ehren des Südstaaten-Generals Robert Lee errichteten Reiterdenkmals.

Nach der Fackeldemonstration vom Freitagabend im Stil des Ku-Klux-Klan und den üblichen Schlägereien mit Gegendemonstranten während des mit Nazi-Fahnen bestückten Aufmarschs am Samstag war die Stimmung derart aufgeheizt, dass ein Rechtsextremer mit seinem Auto in eine Gruppe friedlicher Demonstranten raste und dabei eine junge Frau tötete und zahlreiche andere Menschen verletzte.

Diese Leute sind auf die Strasse gegangen, weil sie Trumps Ankündigung verwirklichen und «ihr Land» zurückholen wollen.

So empörend es für viele ist, so verständlich ist es, dass sich Trump von Kräften, die eindeutig zu seiner Anhängerschaft gehören und zu seinem Wahlsieg beigetragen haben, zunächst nicht distanzieren mochte. Diese Leute sind schliesslich auf die Strasse gegangen, weil sie Trumps Ankündigung verwirklichen und «ihr Land» zurückholen wollen.

Banner der Unterdrückung

Der Präsident erhielt allerdings von den Geistern, die er ermunterte, für seine Zurückhaltung wenig Anerkennung. David Duke, Ex-Chef des Ku-Klux-Klans, der in Charlottesville einen «Wendepunkt für die Menschen dieses Landes» verkündete, ermahnte Trump: «Ich würde Ihnen raten, einen gründlichen Blick in den Spiegel zu werfen und sich daran zu erinnern, dass es die weissen Amerikaner waren, die Sie zum Präsidenten gemacht haben, nicht die radikalen Linken.»

Die Südstaatenflagge wurde bereits vor zwei Jahren aus dem Regierungsdistrikt von South Carolina entfernt, nachdem ein Extremist, der mit dieser Flagge posiert hatte, in einer von Schwarzen besuchten Kirche ein Massaker angerichtet hatte. Der republikanische Gouverneur Jeb Bush, unterlegener Gegenkandidat Trumps und Bruder des Präsidenten George W. Bush, hatte diese Fahne bereits 2001 vom Kapitol von Florida entfernen lassen.

Die Fahne mit den Sternen der 13 sezessionistischen Föderationsstaaten in den schräg gekreuzten Balken auf rotem Grund entstand als Banner der Partei, die 1861–1865 für Unabhängigkeit und gegen die Aufhebung der Sklavenhalterei kämpfte. Sie wurde aber erst in den 1950er- und 1960er-Jahren wichtig als Symbol im Kampf gegen die Bürgerrechtsbewegung, die sich für Gleichberechtigung der Schwarzen einsetzte. Heute wird die Fahne auch ausserhalb der USA von scheinbar apolitischen Rebellennaturen gehisst.

Alles für den weissen Mann

Die historischen Relikte spielen sicher auch heute noch eine gewisse Rolle, es geht aber nicht einzig um diesen alten Konflikt. Jetzt richtet sich der militante Widerstand auch gegen Einwanderung – ob aus dem katholischen Mexiko, aus dem asiatischen Raum und/oder der Welt des Islam – sowie gegen die Globalisierung, für die ein «Weltjudentum» verantwortlich gemacht wird.

Hier kommt ein giftiger Cocktail zusammen: ein noch immer gegen die schwarze Bevölkerung gerichteter Rassismus, kombiniert mit einer Ablehnung des den Nordstaaten, der Ostküste und der kalifornischen Westküste zugeschriebenen Kosmopolitismus.

Die Unterscheidung zwischen der weissen Herrenrasse und den angeblich minderwertigen Schwarzen ist ein tragendes Element der amerikanischen Rechtsextremen. Sie verfolgen das Ziel, die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung, die sich für die Gleichstellung von Schwarz und Weiss einsetzt, wieder rückgängig zu machen und die Vorherrschaft des weissen Mannes («the white supremacy») wieder herzustellen, sozusagen als Variante von Trumps «great again».

Trumps laue Reaktion hat auch ihre gute Seite. Sie führte zu einer nationalen Welle der Empörung.

In Europa gibt es ähnliche, aber schwächer ausgebildete und nicht durch eine Bürgerkriegsvergangenheit belastete Tendenzen: In der europäischen Variante geht es darum, gegen die Abdankung des Abendlandes anzukämpfen und Europa vor dem Ansturm der Einwanderer zu retten. Hier gibt es ebenfalls die «natürliche» Schulternähe zwischen bürgerlichen Rechtsnationalen und antibürgerlichen Rechtsextremen.

In der amerikanischen Auseinandersetzung fällt hingegen auf, mit welcher Dezidiertheit der Aufmarsch der Rechtsextremen und dessen Verharmlosung durch den derzeitigen US-Präsidenten verurteilt werden. Trumps laue Reaktion hat also auch ihre gute Seite. Sie führte zu einer nationalen Welle der Empörung. Das Positive an dieser Affäre ist, dass der traurige Zwischenfall viele amerikanische Bürger und Bürgerinnen wachrüttelt und der Widerstand gegen den Rechtsextremismus und den gefährlichen Präsidenten Auftrieb bekommt.

Einsatz im Zweiten Weltkrieg für nichts und wieder nichts?

Selbst aus dem Lager der Republikaner erklang heftige Kritik. Der dienstälteste republikanische Senator Orrin Hatch schrieb, sein Bruder habe nicht sein Leben im Kampf gegen Hitler gelassen, «damit Nazi-Gedankengut hier zu Hause ohne Widerstand akzeptiert wird». Charlottesvilles Bürgermeister Signer ist mit Blick auf die landesweiten Reaktionen denn auch überzeugt, dass es den Ultrarechten nicht gelingen wird, die von ihnen angestrebte Wende einzuleiten und die in den letzten Jahren auch in seiner Stadt geförderten demokratischen Fortschritte kaputt zu machen.

Auch in der Schweiz werden Manifestationen der rechten Szene verharmlosend mit angeblichen Entsprechungen der linken Szene verrechnet.

Trumps Erklärung, wonach politische Gewalttaten auf «vielen Seiten» vorkommen, entspricht einer auch in der Schweiz gängigen und von bürgerlichen Rednern gerne vorgenommenen Deutung: Manifestationen der rechten Szene werden in verharmlosender und einebnender Weise mit angeblichen Entsprechungen der linken Szene verrechnet.

Damit werden die grundsätzlichen Unterschiede verwischt, die zwischen den beiden Radikalismen bestehen: Unterschiede in der Ideologie und in der Praxis, die im Falle der Rechten ausgesprochen menschenverachtend ist, obwohl es, wie kürzlich der G20-Gipfel in Hamburg gezeigt hat, auch in der militanten Linken eine Zerstörungswut insbesondere gegen Sachen gibt.

Die meisten Schweizer Medien schenkten in ihren Montags- und Dienstagsausgaben dem Vorgefallenen die nötige Beachtung und reagierten mit einer deutlichen Verurteilung. Sie bekundeten dies mit bebilderten Beiträgen bereits auf der Titelseite, mit weiteren ganzseitigen Berichten sowie eigenen Kommentaren.

Keine klaren Worte in der BaZ

Nicht so die «Basler Zeitung», die dem Schwingfest in Therwil den Vorzug gab und erst auf der sechsten Seite einen kleinen Agenturbericht einschob, ohne jedoch Trumps schwaches Diktum überhaupt zu erwähnen. Das kommt selbst einer Verharmlosung im Trumpschen Stil gleich. In der NZZ dagegen findet sich die gebotene Feststellung: «Zeit für klare Worte an die Rechten». Blochers Basler Hausblatt änderte auch in der nächsten Ausgabe seine Haltung nicht.

Der sonst mit schnellen Twittereien überpräsente Präsident brauchte 48 Stunden, um die nötigen Worte zu den Ausschreitungen von Charlottesvilles zu finden. Wegen der fast einhelligen Empörung bequemte er sich schliesslich zur platten Aussage, dass Rassismus böse sei und Neonazis und Ku-Klux-Klan-Leute Schurken seien, wenn sie im Namen des Rassismus gewalttätig würden.

Wie ernst ihm diese opportunistische Spätreaktion ist, zeigen Trumps verharmlosenden Aussagen vom Dienstag, wonach der Fackelaufmarsch eine «ruhige Demonstration» gewesen sei und es auch unter den Neonazis «sehr gute Leute» gebe. Ex-Klan-Chef David Duke dankte dem Präsidenten umgehend für diese verständnisvollen Worte.

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