In Iran ist Taraneh Alidoosti ein Filmstar, in der Schweiz seit jungen Jahren preisgekrönt. Sobald es um Politik geht, ist die Schauspielerin auch eine Meisterin des Unverbindlichen.
Der Schleier: Als Taraneh Alidoosti mit dem Zug aus Zürich ankommt, um ihren neusten Film vorzustellen, trägt sie ihn nicht. Beim Gespräch trägt sie ihn. Immer wieder richtet sie ihn neu aus, damit er nicht nach hinten abrutscht, damit ihr Gesicht auf dem Bild trotzdem zur Geltung kommt. Alidoosti ist eine geübte Wandlerin auf der Kante.
Sie hat das früh gelernt. Von ihrem Vater, der Mitte der 1980er-Jahre in der Bundesliga Fussball spielte. Vor allem aber aus eigener Erfahrung. Schon als Teenager war sie eine Berühmtheit. Mit 16 erhielt sie eine Hauptrolle, die ihr eine Auszeichnung als beste Darstellerin am Filmfestival von Locarno einbrachte. An der Schauspielschule, sagt Alidoosti, habe sie gelernt, so zu arbeiten, dass sie Regeln befolge, die nicht festgeschrieben seien: «Es gibt keine Gesetze, die vorschreiben, was man tun darf und was zu unterlassen ist. Aber es gibt erahnte Regeln, die man besser nicht brechen sollte.»
«Modest Reception», in dem sie die Hauptrolle spielt, ist ein gefühlt politischer Film. Vor allem aber: ein politisch korrekter Film, im iranischen Verständnis zumindest. In seiner Symbolhaftigkeit unverbindlich genug, dass ihn die Zensoren ohne Beanstandung durchgewinkt haben. Der Film ist eine Parabel auf das moralische Gefälle, das mit dem Wohlstandsunterschied einhergeht.
Mit reichlich Geldsäcken im Kofferraum fährt ein Paar aus Teheran durch eine iranische Bergwelt und beschenkt aus undurchsichtigen Gründen die Armen. Alidoosti und Esmail Khalaj als Hauptdarsteller steigern sich in ein perverses Spiel. Sie legen so lange Geld auf den Tisch, bis alles käuflich wird: der Gnadenschuss für ein verwundetes Maultier, die Liebe zweier Brüder, der tote Kindskörper sogar. Mit jeder erworbenen Seele wachsen Zynismus und Verzweiflung.
Von Wohltätern zu Tätern
Der Film beginnt als Komödie und endet im Wahnsinn. Dasselbe gilt für die Darsteller. Sie sind erst Wohltäter, werden zu Tätern und schliesslich zu den Opfern ihrer eigenen Taten.
Für Alidoosti geht es im Film um ungerechte Weltpolitik: «Es geht nicht um Iran oder eine bestimmte Provinz.» Der Streifen wurde zwar im kurdischen Teil gedreht und er zeigt eine verarmte und zerbombte Bevölkerung, im Film kommt das aber nicht explizit zur Sprache. Es ist sinnbildlich fürs iranische Filmemachen: Man schildert ein reales Problem, kann ihm aber keinen Namen geben.
Alidoosti hat einmal den Fehler gemacht, etwas zu benennen. Als ihr Förderer, der Regisseur Asghar Farhadi 2010 Probleme mit den Behörden bekam, unterstützte sie ihn auf ihrem Internet-Blog. Die Einträge wurden ohne Vorwarnung gelöscht. Sie liess sich davon nicht einschüchtern und hat den Blog neu aufgesetzt.
«Wir sind keine Aktivisten»
«Auch wenn etwas, das wir tun, politisch klingt, sind wir immer noch Künstler», sagt Alidoosti. «Aber in der heutigen Zeit hält man uns sofort für Aktivisten.» Das Kino, aber auch die Debatten darüber seien seit der Regierung Ahmadinejad politischer geworden. «Das Misstrauen gegen uns ist gewachsen», sagt sie. Und so überwiegt auch bei ihr die Vorsicht.
Gefragt zu ihrer Vorstellung eines zukünftigen Irans, bleibt sie im Ungefähren. Sagt nur, die verschiedenen Gruppierungen müssten sich aufeinander zubewegen. Statements kommen nicht gut an. Als die Schauspielerin Golshifteh Farahani 2008 in einem Ridley-Scott-Film mit unverhülltem Haar zu sehen war, brach ein Sturm der Entrüstung los. Farahani darf seither nicht mehr einreisen.
Alidoosti sagt dazu: «Es war ihre Entscheidung, sie hat gewusst, was passiert. Meine Entscheidung ist es, im Land zu bleiben. Man muss kämpfen, für die Karriere, für die Filmindustrie. Wenn wir das Land verlassen, bleibt nichts mehr.» Die 28-Jährige hat sich gegen eine offene Auseinandersetzung entschieden, die sie nur verlieren könnte. Sie fühlt sich im Subtext wohl: «Wenn Sie mit mir an eine Party in Teheran kommen, merken Sie den Unterschied zum Westen nicht. Ich habe ein sehr freies Leben. Im Vergleich zu dem, was die denken, ein zu freies.»
Bei Alidoosti hängt der Schleier auch am Ende des Gesprächs noch schick auf der Kante.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12