Geert Wilders wird die Wahlen in den Niederlanden wohl nicht gewinnen. Als Sieger kann er sich dennoch fühlen, hat er doch sein traditionell liberales Land bereits ein rechtes Stück nach rechts gerückt.
Am 15. März wird in den Niederlanden das Parlament neu bestellt. Die alles dominierende Frage – und darin liegt bereits das Problem – lautet, ob der Rechtspopulist Geert Wilders diese Wahlen gewinnen wird.
Selbst die Interpretation der letzten Umfragen ist auf diese Frage fixiert: Wilders‘ Partei, die mit ihrem Namen vorgibt «voor de Vrijheid» zu sein, fällt demnach mit einer Mandatserwartung von «nur» 22 bis 26 Sitzen hinter die 23 bis 27 prognostizierten Mandate der liberal-konservativen Regierungspartei von Mark Rutte zurück. Dies bei einem Parlament mit 150 Mandaten, die sich auf viele Kleinparteien verteilen.
15,8 Prozent versus 16,3 Prozent bei einer Unsicherheitsmarge von 0,5 Prozent – der Ausgang bleibt also offen. Total eingebrochen ist dagegen die sozialdemokratische Linke: Die jüngste Umfrage räumt ihr nur 8,4 Prozent ein, 2012 hatten ihr die Wahlen noch 24,5 Prozent Wählerstimmen gebracht.
Wilders Anlehnung an Trump zahlt sich nicht aus.
Wie in parlamentarischen Systemen üblich, geht der Regierungsauftrag zuerst jeweils an die Partei mit den meisten Mandaten. Dass Wilders im Falle eines doch noch ihm zufallenden Siegs eine Regierung bilden und, wie versprochen, das Land aus der EU führen wird, ist nicht zu erwarten. Alle anderen Parteien haben Koalitionen mit Wilders ausgeschlossen. Doch gerade diese Ablehnung macht ihn stark und macht von ihm reden.
Wilders selber tut auch nichts anderes als reden – und twittern. Donald Trumps Erfolg würde er gerne zu seinem eigenen machen. «#MakeTheNetherlandsGreatAgain», zwitscherte er nach dessen Wahlsieg und stellte in Aussicht: «Wir Niederländer werden auch unser Land zurückerobern.» Die Anlehnung an Trump zahlt sich aber nicht aus. Von dieser Figur geht, gerade in Europa, offenbar eine abschreckende Wirkung aus. Und die hat wenig damit zu tun, dass Wilders und Trump beide einen in unterschiedlicher Weise auffallenden Haarschopf haben.
«Land zurückerobern» – das geschieht in den Niederlanden auf andere Weise. Hier wurde dem Meer viel Land abgetrotzt, etwa ein Viertel liegt unterhalb des Meeresspiegels. Sollte es irgendwo «greater» werden, überlässt man das lieber den Polderingenieuren.
Der Missmut braucht eine Leitfigur
Die Niederlande haben in den letzten Jahren einen Teil ihres für andere Länder vorbildlich liberalen Wesens eingebüsst, sie sind – auf heutige Weise – normaler geworden. Wie in fast allen europäischen Ländern (auch in der Schweiz) haben die rechtsnationalen Kräfte in den letzten Jahren stark zugelegt. Möglicherweise ist das im Falle des Tulpenlandes nicht einmal in erster Linie Wilders Leistung. Für seine Anhängerschaft muss es ihn einfach geben, damit der Missmut eine Leitfigur hat.
Es fällt auf, dass Wilders Hochburgen an Orten liegen, denen es alles in allem gut geht. Nicht Elend, sondern Verlustängste im mittelständischen Wohlstandsmilieu bilden den Nährboden, in dem nationalistische Parolen gut Wurzeln schlagen. Bei der älteren Wählerschaft dürfte das Versprechen, das Pensionsalter von 67 wieder auf 65 zu senken, gut ankommen. Bei Jungen ist es das hohle Versprechen, das Land in eine bessere Zukunft zu führen und damit gleich auch persönliche Besserstellungen möglich zu machen.
Soziologen haben festgestellt, dass die politische Einstellung in diesem Land mit vergleichsweise geringem sozialem Gefälle nicht eindeutig und eindimensional determiniert ist. Letztlich ist die individuelle Wertehaltung (und auch die Moral) jenseits sozialer Eckwerte bestimmend.
Aus der Immigrationsabwehr alleine kann man in Holland kein Schlachtross machen, es braucht dazu auch die Religionsabwehr.
Die Niederlande sind gut unterwegs. Sie weisen im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedern einen hohen Kaufkraftindex und eine niedrige Arbeitslosenquote aus. Wilders muss kein substanzielles Programm für Wirtschaftsreformen anbieten, es genügt, Steuersenkungen und die Erhöhung der Sozialleistungen in Aussicht zu stellen.
Viel wichtiger als die Nennung von positiven Zielen ist die stereotype Wiederholung der Kampfparolen gegen den Islam (Moscheen schliessen), gegen die Einwanderung (Marokkaner ausschaffen), gegen «die da oben» (im eigenen Land und in der EU). Aus der Immigrationsabwehr alleine kann man in Holland kein Schlachtross machen, es braucht dazu auch die Religionsabwehr.
In der Presse lässt sich ein Gemeinderat der rechtsliberalen Regierungspartei zitieren, der erklärt, dass jetzt auch die Syrier heimisch werden wie vormals die im Zuge der Dekolonisation «repatriierten» Surinamer und Indonesier. Die schiere Einwanderungszahl scheint nicht wirklich ein Problem zu sein. Das Land kennt jedenfalls keine Masseneinwanderungshysterie: Die Niederlande weisen etwa die gleiche Grösse wie die Schweiz auf (41’543 vs. 41’285 km²), aber die doppelte Zahl an Einwohnern (rund 17 vs. 8,4 Mio.), und haben folglich eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte (408 vs. 203 Einwohner/km²).
Wilders lebt vom System, das er bekämpft.
Wilders ist ein Parteidiktator, der keine parteiinterne Demokratie zulässt, kontradiktorischen Veranstaltungen aus dem Weg geht und seinen Laden als One-man-Show führt. Der bald 54-jährige Führer der Freiheitlichen lebt abgeschottet vom gesellschaftlichen Leben, nicht nur wegen des Personenschutzes, den er aufgrund von Morddrohungen braucht.
Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Seine Frau: eine ungarische Diplomatin, die er, weil er jede Nacht an einem anderen Ort verbringt, nur alle zwei Wochen sieht. Seine Mutter: aus Niederländisch-Indien. Über Kinder ist nichts bekannt. Religion/Konfession? Wilders ist aus der katholischen Kirche ausgetreten und versteht sich als Agnostiker (der Gott für eine unverbindliche Möglichkeit hält). Sein Berufsleben? Ohne klassische Ausbildung, vorübergehend in der Versicherungsbranche tätig. Seit über 20 Jahren Berufspolitik. Wilders lebt vom System, das er bekämpft.
Zum Teil lebt er auch davon, dass er die Gerichte beschäftigt. 2010/2011 hatte er eine Klage wegen Volksverhetzung am Hals, wurde aber freigesprochen. Im Dezember 2016 reichte es dann, weil er sich 2014 im Rahmen von Kommunalwahlen öffentlich für Massendeportationen von Marokkanern ausgesprochen hatte. Bestraft im üblichen Sinn wurde er aber nicht, das Gericht sah im Schuldspruch Strafe genug.
Ein bescheidener Ministerpräsident
Für den bevorstehenden Wahlausgang entscheidend ist, wie sehr die Führung der gegenwärtigen Regierungskoalition Zuspruch erhält. Ministerpräsident Mark Rutte wird weit weniger beachtet als sein populistischer Hauptkontrahent. Über ihn ist auch weniger in Erfahrung zu bringen. Rutte führt eine Partei an, die neben der Demokratie ebenfalls «Vrijheid» im Namen führt. Er wird als eher bescheiden und zurückhaltend im Verkünden grosser Visionen beschrieben.
Der Premier, der mit 50 Jahren als noch jung eingestuft wird, bewege sich locker, habe immer ein Lächeln parat und sei seinen politischen Gegnern in Debatten klar überlegen. Bevor er 2002 in die Politik wechselte und Staatssekretär für Arbeit wurde, war er Personalmanager im Grosskonzern Unilever.
In der Förderung der wirtschaftlichen Prosperität sieht er seine zentrale Aufgabe, in der Freizeit ist ihm das Klavier wichtig. Wie König Willem-Alexander, der ihm nach den Wahlen wohl den Regierungsauftrag erteilen wird, hat auch er an der Uni Leiden Geschichte studiert. Beide haben Jahrgang 67 und lieben die orangen Oranje-Fussballer. Das ist freundlicher Durchschnitt.
In der Politik ist ein schillerndes Ungeheuer tendenziell im Vorteil gegenüber Durchschnittsfiguren.
So deprimierend es ist: In der Politik ist ein schillerndes Ungeheuer tendenziell im Vorteil gegenüber Durchschnittsfiguren. Und einen Erfolg kann Wilders schon jetzt verbuchen: Rutte ist, wie andere Politiker, unter dem Druck der Rechtsnationalen in der Fremdenfrage und speziell in der Flüchtlingsfrage nach rechts gerückt.
Wie wichtig ist die Europafrage? Wer Erfolg haben will, darf sich nicht europafreundlich geben. Die Niederlande haben ihre Distanz zur EU in zwei Volksabstimmungen markiert: 2005 mit der Ablehnung des Verfassungsvertrags und 2016 mit der Zurückweisung des Assoziationsabkommens mit der Ukraine.
Medien schreiben gerne die Gefahr eines EU-Austritts herbei, eines Nexit, worauf dann im Mai mit Marine Le Pen ein Sieg der Frexit-Kräfte folgen könnte. Wie die Dinge zur Zeit liegen, wird es dazu nicht kommen. Sowohl die Niederlande als auch die EU werden mit einem blauen Auge davonkommen. Zugegeben sei, dass in dieser Einschätzung auch eine Portion Wunschdenken drin ist.