Vasco Dumartheray, der Delegierte für Mehrsprachigkeit, verlässt die Bundesverwaltung Ende November. Er hatte zu wenig Gestaltungsspielraum und Kompetenzen, kritisieren Parlamentarier.
Nur zwei Jahre war Vasco Dumartheray im Amt. Ende November wird der Delegierte für Mehrsprachigkeit seinen Dienst quittieren und in seine Heimatstadt Genf zurückkehren. Seine Aufgabe war es, innerhalb der Bundesverwaltung die Sprachenvielfalt zu fördern und die Beteiligten für das Thema zu sensibilisieren.
Anders als in der Westschweiz war der Abgang des Delegierten den meisten Medien in der Deutschschweiz – wenn überhaupt – bloss eine Randnotiz wert. Wird die Bedeutung des Themas Mehrsprachigkeit hierzulande unterschätzt? Fehlt es an der nötigen Sensibilität?
Fragen an den Bundesrat
Die Zürcher Bildungspolitikerin und CVP-Nationalrätin Kathy Riklin sagt: «Ich stelle immer wieder fest, wie wenig Feinfühligkeit und Interesse an den anderen Landessprachen bei vielen Deutschschweizern vorhanden sind.» Riklin hat im Sommer zusammen mit 55 anderen Parlamentariern eine Interpellation der Bündner SP-Nationalrätin Silvia Semadeni mitunterzeichnet. Darin wurden dem Bundesrat diverse Fragen zur Förderung der nationalen Sprachminderheiten gestellt.
Wer in der Berner Administration nachfragt, warum der Delegierte nach bloss zwei Jahren seinen Dienst quittiert, stösst auf eine Mauer des Schweigens. Vasco Dumartheray selber verweist auf den Medienbeauftragten des Eidgenössischen Personalamts – von dem man auch nicht viel mehr erfährt: «Der Rücktritt von Vasco Dumartheray beruht auf einem persönlichen Entscheid, den wir respektieren», sagt Andrea Clementi. «Es war sein Wunsch, nach 18 Jahren Tätigkeit in Bern, wieder in seinen Heimatkanton zurückzukehren.»
Versagen des Bundesrates
Konkreter wird die Waadtländer Nationalrätin Josiane Aubert (SP): «Monsieur Dumartheray durfte nicht frei mit den Medien sprechen, sondern nur mit Bewilligung einer schwerfälligen Hierarchie. Sein Handlungsspielraum war sehr eingeschränkt.»
Der Freiburger CVP-Nationalrat Dominique de Buman, Vorsitzender der Vereinigung Helvetia Latina, weiss: «Es war für niemanden ein Geheimnis, dass es Herrn Dumartheray nicht möglich war, seine Aufgaben zufriedenstellend zu erfüllen. Im Eidgenössischen Personalamt gab es keinen wirklichen Willen, die Situation der Minderheiten zu verbessern.» Dumartherays Abgang bedeute ein Versagen des Bundesrates in diesem Bereich.
Der Neuenburger SP-Nationalrat Jacques-André Maire hat Ende September eine Motion eingereicht, die sich mit dem Rücktritt Dumartherays befasst. Maire verlangt, dass der Posten in Zukunft vom Personalamt losgelöst und der Bundeskanzlei oder dem Generalstab des Finanzdepartements zugeordnet werde. Vor allem aber müsse die Position des Delegierten gestärkt werden. Sein Pflichtenheft sollte auch die Aufsicht über die Einhaltung des Sprachengesetzes umfassen. «In Analogie zum Monsieur Prix müsste der Delegierte zu einem eigentlichen ‹Observateur des Langues› werden», sagt Maire.
Bereits klar ist: Der nächste Delegierte wird nicht mehr durch das Finanzdepartement, sondern durch den Gesamtbundesrat gewählt werden. Auch sein Pflichtenheft soll offenbar ausgeweitet werden. Diese Massnahmen würden die Funktion des Delegierten stärken und gingen in eine positive Richtung, sagt Dominique de Buman. «Es ist aber alles andere als sicher, ob das genügen wird. «Helvetia Latina» wird sehr genau beobachten, wie sich die Dinge entwickeln.»
Am falschen Ort angesiedelt
Klare Worte kommen vom Tessiner FDP-Nationalrat Ignazio Cassis: «Die hierarchische Position des Delegierten war niedrig und demzufolge waren seine Einflussmöglichkeiten beinahe null.» Nach Ansicht von Cassis ist das Eidgenössische Personalamt nicht die geeignete Stelle für den Delegierten für Mehrsprachigkeit. «Strategie ist Chefsache. Demzufolge muss die Stelle bei der Kanzlei angesiedelt sein und reale Macht haben. Sonst ist das Ganze eine Alibiübung.» Noch immer sei nicht klar, ob der Bundesrat wirklich willens ist, diesem Delegierten die notwendige Macht zu geben, kritisiert Cassis. «Aber eine Willensnation muss wollen. Wenn sie nicht mehr will, verliert sie ihre Existenzberechtigung.»
Gemäss den neuesten Zahlen haben 71,8 Prozent der Beschäftigten in der Bundesverwaltung Deutsch als Muttersprache, 21,2 Prozent Französisch, 6,7 Prozent Italienisch und 0,3 Prozent Rätoromanisch. Global gesehen stimme die Aufteilung der Stellen auf die diversen Sprachregionen in etwa schon, meint Susanne Ober-mayer, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Mehrsprachigkeit der Uni Freiburg. Das Problem sei vielmehr, dass die Verteilung zum Beispiel in Bezug auf die diversen Hierarchiestufen oder auf die diversen Ämter teilweise nicht stimme. Das könne ganz verschiedene Ursachen haben. Dabei würden teilweise auch vermeintliche Details eine Rolle spielen. So werde zum Beispiel ein Lebenslauf in einem Bewerbungsdossier in einer anderen Sprachregion unter Umständen anders dargestellt. Das könne dann allenfalls zu einer negativen Vorselektion führen.
Kein Italienisch im Parlament
Das Institut für Mehrsprachigkeit widmet sich momentan in einem Forschungsprojekt der Sprachpraxis in den Bundesämtern. Es geht dabei um eine Bestandesaufnahme darüber, wie in der Bundesverwaltung die Sprachausbildung der Verwaltungsangestellten vor sich geht und wie diese genutzt wird. Daraus hofft Forschungsleiterin Obermayer Schlüsse für mögliche Verbesserungen ziehen zu können.
Der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer hat 20 Jahre bei der SRG gearbeitet und kennt die Thematik der Mehrsprachigkeit. «Oft ist es die fehlende Empathie, die zu Diskussionen Anlass gibt, und gar nicht die Sprache. Minderheiten wollen nicht bevormundet werden.»
Als Nationalrat ist der ehemalige TV-Mann «sehr erstaunt», dass im Parlament kein Italienisch gesprochen wird. Er hat sich deshalb der parlamentarischen Gruppe «Per l’Italianità» angeschlossen, die zum Ziel hat, die Anliegen der Italienischsprechenden besser durchzusetzen. «Es kann doch nicht sein, dass die Tessiner in einer Fremdsprache radebrechen müssen und so ihre Argumente nur bedingt herüberbringen können», sagt er. «Das hat mit Demokratie nichts zu tun.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12