Ein Spruch unter Kollegen als Symptom unserer Zeit

Bald jeder zelebriert aus irgendeiner abstrusen Überzeugung irgendeinen abgefuckten Nonsens. Die Liste jener, die es «gno het», wird länger und länger.

Die Liste der «Genommenen» wird immer länger und beinhaltet bald jegliche Kreatur, die irgendeinen abgefuckten Nonsens zelebriert.

(Bild: Nils Fisch)

Bald jeder zelebriert aus irgendeiner abstrusen Überzeugung irgendeinen abgefuckten Nonsens. Die Liste jener, die es «gno het», wird länger und länger.

«Ui, dä hets gno!» Dieser Spruch hat sich in meinem Umfeld zum geflügelten Wort gemausert. Man kann es für den guten alten Trump benutzen, für den Freund, der jetzt diese Steinzeit-Diät macht, weil Pasta des Teufels ist, oder auch für den eigenen Kater, der nach dem Essen auf dem glatten Küchenboden in der imaginären Erde scharrt.

Die Liste der «Genommenen» wird immer länger und beinhaltet bald jegliche Kreatur, die aus irgendeiner abstrusen Überzeugung irgendeinen abgefuckten Nonsens zelebriert. Natürlich kann man mir jetzt vorwerfen, dass Leute als «gno» zu bezeichnen selbst ein abgefuckter Nonsens ist, man riskiert damit allerdings, auf meiner Liste der Genommenen zu landen. LOL.

Hinter dem Spruch «Dä hets gno!» steckt der Versuch, die global wütende Irrationalität zu verarbeiten ohne zu verzweifeln.

Natürlich hats mich selbst auch genommen. Aber Selbstironie und gesunder Zweifel, gerade gegenüber den eigenen Anschauungen, entlarven die eigene Tendenz zur Genommenheit und fördern deren Bekämpfung. Bildung, Literatur, Kunst, Dialog, Reisen, Forschen und Hinterfragen können helfen. Denn hinter dem Spruch «Dä hets gno!» steckt schlussendlich nur der Versuch, die global wütende Irrationalität zu verarbeiten, ohne zu verzweifeln.

Der Zweifel, er ist wichtig. Schliesst man ihn aus seinem Denken aus, öffnet man der Demagogie Tür und Tor. Lässt man ihm aber zu viel Platz, bewirkt er das Gleiche.

Das Beispiel Schulmedizin

Die Schulmedizin ist bestimmt von ein paar Krankheiten befallen. Wenig Zeit für Patienten, überarbeitete Ärzte, an Milliardengewinne gewöhnte Pharma-Konzerne. Diese Punkte muss man kritisieren, durchleuchten, beheben. Deshalb die ganze Medizin als Verschwörung gegen die Menschheit zu betrachten, ist jedoch unangebracht.

Wenn man sich nicht mehr impfen lässt und dafür ausgerechnet der Homöopathie oder dem Hände-Auflegen weniger Skepsis entgegenbringt als der seit Jahrhunderten funktionierenden und sich entwickelnden Medizin, ist das einfach dumm und sichert einem einen Platz auf der Liste der Genommenen.

Das Beispiel Amerika

Amerika, das Land der unmöglichen Beschränktheiten, handelt bestimmt egoistisch. Seine vergangene und gegenwärtige Geschichte zeigt, dass hinter dem Mythos der grössten Nation der Welt und dem Weltenretter oft Eigeninteressen und Korruption stecken. Jedem, der sich informiert, ist bewusst, dass auch der liebenswerte Obama einige Schattenseiten hat und dass man in den Staaten nur schwer in eine führende Position kommt, wenn man nicht einige Verstrickungen mit grossen Konzernen in Kauf nimmt.

Amerika als Weltenretter zu zelebrieren, wäre bestimmt unangebracht. Hinter jedem Weltgeschehen eine Intrige der Amerikaner zu sehen, ist jedoch gefährlich. Momentan grassiert ein besorgniserregender Antiamerikanismus. Ironischerweise nimmt dieser mit der Wahl Trumps in Europa zu, spielt aber den europäischen Trumps wie Marine Le Pen und Björn Hoecke in die Karten.

Wenn nämlich Amerika die einzig böse Macht und Angela Merkel die paktierende Verräterin ist, landen wir sehr schnell bei den besorgten Reichsbürgern. Bei Flüchtlingsströmen als Waffe zur Destabilisierung Europas.

Bitte achten Sie darauf, dass Sie in Ihrem Kampf gegen das System nicht in die Fänge der Antisemiten und Rassisten geraten.

Eine gefährliche Schnittmenge zwischen antiamerikanischer Verschwörungstheorie und brauner Ideologie: «Ja, die Nazis waren schlimm, aber Amerika ist schlimmer. Deutschland könnte genauso gut als Opfer gesehen werden.» Plötzlich wird der Holocaust zum vermeintlichen Kampfbegriff der amerikanisch-semitischen Weltherrscher. Wir sehen, wo das hinführt.

Bitte achten Sie darauf, dass Sie in Ihrem Kampf gegen das System, gegen den Kapitalismus, gegen Amerika nicht in die Fänge der «besorgten Bürger», Antisemiten und Rassisten geraten. Denn das sichert Ihnen ganz bestimmt einen Platz auf der Liste der Genommenen.

Das Beispiel Massenmedien

Was den «besorgten Bürgern» ihre «Lügenpresse» ist, sind den besessenen Systemkritikern ihre «Massenmedien». Auffällig ist, dass sich diese Begriffe meistens auf die staatlichen Fernsehen, wie ZDF oder SRF, beziehen oder auf herkömmliche Tageszeitungen und nicht etwa auf Gratiszeitungen oder private Boulevardmedien.

Gefallene Engel des Journalismus oder der Wissenschaft, wie ein Ken Jebsen in Deutschland oder ein Daniele Ganser in der Schweiz, lieben solche Begriffe, genauso wie sie den Begriff «Verschwörungstheorie» hassen. Alles ist inszeniert. Alles ein Ablenkungsmanöver. Unsere Tageszeitungen sind von der amerikanischen Regierung gekauft, zeichnen Russland völlig zu Unrecht als böse und verdrehen Tatsachen zum Wohle des Imperiums (Amerika) und seiner Verbündeten (Merkel und Co.).

All diese Unterstellungen klingen leider gerade auch für kritische Menschen plausibel. So wie es auch selbstverständlich zu sein scheint, dass 9/11 ein Inside-Job war. Man darf an der offiziellen Version zweifeln. Aber auf den Zweifeln eine alternative «So wars»-Version zu errichten, hat dann eben was «Genommenes».

Überall lauert eine böse Macht, ein Geheimbund oder eine fiese Firma, die uns knechten wollen.

Es gäbe noch mehr Beispiele. Die Ernährung, die Chem-Trails, die Islamisierung, Gender, die Bildung, Social Media und und und. Überall lauert eine böse Macht, ein Geheimbund, eine fiese Firma oder Gruppe, die uns knechten wollen. Die uns bestätigt, dass das ungute Gefühl, Opfer von irgendetwas zu sein, eben doch stimmt.

Und sobald einer den «Dacht ichs mir doch, endlich sagts mal einer»-Knopf drückt, gibts tosenden Applaus, Euphorie und Liebesbekundungen. Oder sind es Schlachtrufe und Hysterie?

Ich befürchte eher das Zweite. Und werde das Gefühl nicht los, dass ein grosser Teil der Menschheit sich irgendwie danach sehnt, genommen zu werden.

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