Ein ungewolltes Geschenk zum 65. Geburtstag

Sieben Jahre nachdem Umweltaktivist Martin Vosseler den Kampf gegen die Zollfreie aufgab, wird die Strasse am heutigen Freitag eröffnet.

Am Schlipf: Hier protestierte Martin Vosseler mit vielen anderen gegen den Bau der Zollfreien Strasse. (Bild: Stefan Bohrer)

Sieben Jahre nachdem Umweltaktivist Martin Vosseler den Kampf gegen die Zollfreie aufgab, wird die Strasse eröffnet. Die Wehmut macht jedoch nur einen kleinen Teil in Vosselers Gefühlswelt aus.

Wenn ein guter Tierfilmer das Paradies am Schlipf in Riehen festgehalten hätte, wäre heute vielleicht alles anders. Wenn der Film Pirole beim Nisten und Eisvögel in ihrem letzten Refugium im Kanton gezeigt hätte und das Rauschen der Wiese nebst dem Vogelgesang das einzige Geräusch gewesen wäre – dann, ja dann.

Doch die Gruppe um den Basler Umweltaktivisten und Arzt Martin Vosseler steckte ihr Geld in juristische Verfahren, statt es einem Filmer zu geben. Dies in der Hoffnung, den Bau der seit über 100 Jahren geplanten Zollfreien doch noch verhindern zu können.

Die Verfahren führten zu Verzögerungen, gebaut wurde der 738 Meter lange Strassenabschnitt trotzdem. Und Martin Vosseler steht nun da, unter der zollfreien Brücke, die er nie wollte, und sagt: «Vielleicht hätten wir das Geld wirklich lieber einem Filmer gegeben. Eine Doku über diesen Ort hätte die Menschen berührt.»

Protestler umarmt Polizisten

Seit der Räumung des Protestcamps durch die Polizei vor gut sieben Jahren war Martin Vosseler kaum mehr hier. Er hat mit seinen Wanderungen quer durch die Welt und der Atlantiküberquerung im Solarboot viel Zeit im Ausland verbracht, doch selbst, wenn er im Land war, zog es ihn kaum an die Wiese. Was hätte er auch gesehen?

Die Baustelle, gegen die er kämpfte und die er mit 40-tägigem Fasten verhindern wollte. Eine Baustelle, die er – wenn überhaupt – lieber im Untergrund gesehen hätte, ein Tunnel statt einer Strasse, damit die Natur erhalten bleibt. Auch da fragt sich Vosseler: «Habe ich zu früh aufgegeben?»

Auch eine Klosterfrau liess sich an einen Baum ketten.

Vielleicht hätte er die Tunnellösung durchboxen können. Die Anwohner hatten zugesichert, keine Einsprachen zu erheben, die Baufirma war begeistert, das Parlament war dafür, und Private spendeten sieben Millionen Franken. Doch da war der Widerstand auf deutscher Seite. Und die Tatsache, dass die Arbeiten bereits begonnen hatten.

Vosseler erzählt das lächelnd, es ist nicht die Wehmut, die ihn überkommt, sondern der Gedanke daran, was die Zeit im Camp an Gutem gebracht hat. Der kleine Noah etwa, er wurde hier gezeugt. Oder die Szene, als Vosseler einem Polizisten um den Hals fiel. «Der Mann sagte mir, viele seiner Kollegen fänden toll, was wir tun. Da umarmte ich ihn.»

Dann war da noch die Klosterfrau, die sich wie etliche andere Menschen an einen Baum ketten liess, damit dieser nicht gefällt wird. Rund 120 Bäume mussten trotzdem dranglauben.

Das Lächeln des Verlierers

Der TagesWoche-Fotograf bittet Martin Vosseler neben die Brücke zu stehen, die wie eine Schneise die Landschaft durchschneidet, und über die vom 4. Oktober an Autos von Lörrach nach Weil am Rhein und umgekehrt fahren werden. Vosseler stellt sich hin, geduldig, lässt sich ablichten. Er lächelt und pfeift und zwischendurch sagt er: «Schauen Sie, diesen schönen Reiher dort!» Ist also alles halb so schlimm, sind die Vögel geblieben? «Noch fahren keine Autos», entgegnet Vosseler.

Noch. Doch pünktlich zu Vosselers 65. Geburtstag wird die Strasse dem Verkehr übergeben. Die Gemeinde Riehen hat ausser der erhofften Verkehrsentlastung im Dorf nicht viel davon. Denn der Weg führt von Deutschland nach Deutschland, ohne Halt in der Schweiz. Vosseler sagt dazu nur: «Solche Strassen sind ein Auslaufmodell in einer Zeit, da wir den CO2-Ausstoss auf Null senken sollten.» Er glaubt ­daran, dass die Menschheit trotz ­Strassenbauten das Richtige tut und je länger, je nachhaltiger lebt.

«Nichts ist wichtiger, als die Erde bewohnbar zu halten.»

«Schauen Sie nur, was geschah seit 2006! Die Schweiz beschloss den Atomausstieg, Basel bekommt eine Fussgängerzone, die diesen Namen verdient – und es ist einer Papst, dem man zuhören kann.»

Vosseler blickt positiv voraus – und zurück. Bloss die Sache mit den Bäumen in seinem Garten tut weh. Medien hatten damals berichtet, Vosseler habe privat Bäume fällen lassen. Er sagt: «Das stimmt nicht.» Was die verbleibenden Bäume am Schlipf betrifft, ist er zuversichtlich, dass diese durchhalten werden. «Bis in 15 Jahren gibt es keine benzinbetriebenen Autos mehr und entsprechend weniger Lärm.»

Die Natur werde sich erholen, ist Vosseler überzeugt. Auf seinen Reisen habe er gesehen, wie stark die Regenerationskraft der Natur sein könne – und müsse. Denn: «Nichts ist wichtiger, als die Erde bewohnbar zu halten.» Das ist Vosselers Botschaft – und das bleibt sie. Daran kann keine Strasse der Welt etwas ändern.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 04.10.13

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