Basels «Interprofessionelle Gewerkschaft Arbeit» zeigt, wie eine Handvoll überzeugter Leute vieles erreichen kann. Und das seit über einer Generation.
Am 5. Oktober findet im Basler Rheinhafen am Ostquai das «Festival der Selbstorganisation» statt. Wer eine Leistungsschau von leidenschaftlichen Kompostierern oder Strickwarenkleinhändlern erwartet, wird überrascht sein. Hier geht es um handfeste Sozial- und Gewerkschaftsarbeit.
Unter der Flagge der Selbstverwaltung sind in Basel in den letzten 30 Jahren zahlreiche, zum Teil enorm einflussreiche und oft überraschend erfolgreiche Strukturen gewachsen, die das Leben in der Stadt – auch für Normalbürger – positiv mitprägen. Und auffällig oft findet man unter den Verantwortlichen ein rätselhaftes Kürzel: IGA. Ausgeschrieben: «Interprofessionelle Gewerkschaft Arbeit».
Hans-Georg Heimann ist der Gründervater der IGA. Der 61-jährige ehemalige Chemiearbeiter hat sich in den Nachwehen der 1968er-Bewegung der ausserparlamentarischen radikalen Linken angeschlossen und träumte wie seine Genossen von der baldigen Revolution. Vergeblich. Das «kapitalistische System» überlebte die 68er-Revolte unbeschadet. Aber Heimann und ein Teil seiner Genossinnen und Genossen waren nicht minder hartnäckig und flexibel.
Ein Teil der radikalen Linken erkannte früh, dass der Wohlstand in der westlichen Welt nicht nur in der fernen Dritten Welt Opfer kostet und auf lange Sicht in eine Sackgasse führt. «Die ersten Anzeichen einer Verschärfung waren die Entlassungswellen in den 1970er- und 1980er-Jahren», erinnert sich Heiman, «schubweise wurden die Arbeitsämter von meist schlecht ausgebildeten und ausländischen Stellensuchenden überrannt.» Sporadisch organisierten die alten Kämpen Arbeitslosenkomitees und standen den rechtlosen und ausgegrenzten Arbeitslosen zur Seite.
Überforderte Arbeitsämter
In der Krise von 1984 waren die Arbeitsämter restlos überfordert. Auch Basels Arbeitsamt stiess unter dem Andrang von Arbeitslosen an seine Grenzen. Da als erste vor allem ausländische Angestellte über die Klinge springen mussten, standen vor den Schaltern Menschen Schlange, die sich weder verständigen, noch ihre Rechte einfordern konnten. «Das war die eigentliche Initialzündung der IGA. Wir stellten Info-Container vor dem Arbeitsamt auf und leisteten mehrsprachige Beratung und Rechtshilfe», erinnert sich Heimann. Dieses Angebot besteht bis heute als Kontaktstelle für Arbeitslose im Union an der Basler Klybeckstrasse.
Während sich die radikal linken Politgruppierungen in ideologischen Grundsatzdiskussionen aufrieben, packte der Altmarxist Heiman zusammen mit Anarchisten, sozialen Christen und vor allem mit den direkt Betroffenen die konkreten Probleme an.
«In der 1980er-Krise nahmen die prekären, also vertraglich weitgehend ungeschützten Arbeitsverhältnisse massiv zu», sagt Heimann. Temporärfirmen schossen wie Pilze aus dem Boden. Dank ihnen konnten Unternehmen, am Arbeitsgesetz und an der Sozialpartnerschaft vorbei, rasch Personalengpässe decken und die Leute genauso schnell wieder loswerden.
Die Tricks der Temporärfirmen
Gab es zu Beginn der Krise drei, sind es heute über 80 Temporärfirmen, die in Basel gute Geschäfte machen. Nicht immer legale. «Damals stellten die Temporärfirmen mit Vorliebe Asylbewerber ein», sagt Heimann. «Immer häufiger stolperten wir über Fälle, in denen sich die Temporärfirmen die Sozialleistungen der Zeitarbeiter in die eigene Tasche steckten.» In Zusammenarbeit mit dem Amt für Wirtschaft und Arbeit erstellte das Arbeitslosenkomitee eine grosse Dokumentation über die Zustände bei den Temporärfirmen, die schliesslich die Grundlage für eine Revision des veralteten Arbeitsvermittlungsgesetzes und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Temporärangestellte lieferte.
Mit McDonald’s und der PTT lieferte sich das Arbeitslosenkomitee harte Arbeitskämpfe wegen gesetzeswidrigen Anstellungsbedingungen. Heimann: «Da haben wir gemerkt, dass wir mittlerweile handfeste Gewerkschaftsarbeit leisteten und gründeten nach dem Beispiel des Genfer Syndicat Interprofessionelle du Traivailleures die IGA.»
Ein Antrag auf Aufnahme in den Gewerkschaftsbund wurde vom damaligen BGB-Präsidenten Helmut Hubacher abgeschmettert. «Hubacher meinte, es seien hauptsächlich alleinerziehende junge Frauen, junge Migranten, Asylbewerber und Ungelernte von prekären Arbeitsbedingungen betroffen. Das Ganze sei nur ein Randgruppenproblem. Deshalb müsse sich der Staat darum kümmern und nicht eine Gewerkschaft».
Selten lag der ehemalige SP-Präsident Hubacher so falsch. Mit dem sogenannten Outsourcing wurden prekäre Arbeitsverhältnisse zur Geheimwaffe der Konzerne. Ganze Industriezweige wurden ausgelagert. Plötzlich unterstanden Wartungsarbeiter, Lastwagenchauffeure, Sicherheitsspezialisten nicht mehr dem vergleichsweise grosszügigen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Chemie oder der Metallbranche, sondern einem schlechteren oder gar keinem GAV. Heute vertritt die IGA sogar Lehrerinnen und Lehrer, die auf Abruf im Stundenlohn bezahlt werden, aber eigentlich für den Staat arbeiten. Aus dem angeblichen Randgruppenproblem ist ein Massenphänomen geworden.
Helmut Hubacher unterschätzte die prekäre Situation im Arbeitsmarkt.
Die einstigen Arbeitskämpfe mit McDonald’s und PTT endeten für die IGA siegreich. Die Angestellten konnten sich über höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen freuen. Allein die PTT (heute Post) musste die Arbeitsverträge von 4000 Betroffenen verbessern. Der Konflikt mit McDonald’s Basel löste eine regelrechte Prozesslawine gegen den Fastfood-Riesen aus. Was dazu führte, dass die McDonald’s-Angestellten schweizweit zumindest eine Zeit lang überdurchschnittlich gut bezahlt wurden.
Auch Coop zog vor dem Appellationsgericht gegen die IGA den Kürzeren und musste ihre Aushilfsverträge nachbessern. Unzählig sind die individuellen Erfolge bei der Vertretung von Einzelmitgliedern in Arbeitskonflikten.
Ausserdem brachte die IGA allein oder zusammen mit anderen Interessengruppen eine ganze Reihe erfolgreicher Projekte auf den Weg. So etwa die Druckerei Phönix, das Strassenmagazin «Surprise», die Anlaufstelle für Sans Papiers oder die Organisation der Basler Armutskonferenzen, bei denen unter anderem auch die Armutsliste, der «Planet 13» und die «Uni von unten» angestossen wurden (weitere Projekte siehe viavia.ch).
Doch das ist nur ein Teil der Aktivitäten. Auch politisch kann die Kleinstgewerkschaft Erfolge vorweisen. So ist etwa das von Basels Finanzdirektorin Eva Herzog eingeführte Flattax-System, von dem auch die kleinen und mittleren Einkommen dank einer Steuerbefreiung des Existenzminimums entlastet werden, auf dem Mist der IGA gewachsen.
Es fehlt der Nachwuchs
In Zusammenarbeit mit dem Basler Sozialamt erreichte die Organisation eine deutliche Ablaufoptimierung für Unterstützungsbedürftige und die Anhebung des Mietzinssatzes für Alleinstehende. Allein die Anzahl der verschiedenen Kampagnen, Projekte und Aktionen der IGA würden den Rahmen dieses Textes sprengen.
Der harte Kern der IGA besteht aus gerade mal zehn Leuten, die den grössten Teil der Arbeit ehrenamtlich erledigen. «Und im Gegensatz zu den grossen Gewerkschaften mit Arbeitslosenkassen und Immobilien haben wir keine Einnahmen, ausser Mitgliederbeiträgen und ein wenig Spenden», sagt Heimann.
Die Mitgliederbeiträge decken aber kaum die Kosten. Für fünf Franken im Monat ist man dabei. Kommt hinzu, dass der harte Kern nicht jünger wird. «Neben Geld, zum Beispiel von Solidaritätsmitgliedern, die etwas mehr zahlen, brauchen wir auch eine neue Generation von Aktiven. Es wäre ein Jammer, wenn das angesammelte Know-how und die Strukturen, die wir aufgebaut haben, verloren gingen.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 04.10.13