Europa steckt in der Finanzkrise. In der Schweiz ist davon kaum was davon zu spüren. Gewinnt die SP deswegen keine neuen Wähler? Die SPler Eva Herzog (BS) und Cédric Wermuth (AG) im Gespräch über die aktuelle Lage.
Als hätte der Zufall seine Hände im Spiel. Derzeit läuft Steven Soderberghs Thriller «Contagion» in den Kinos. Der Film beschreibt den Ausbruch einer tödlichen Krankheit, die sich blitzschnell auf der Welt verbreitet. Einen solchen Albtraum erleben wir derzeit auch in der Realität: Statt einer Krankheit wütet ein Schuldenvirus.
Der Begriff «contagion» (deutsch: Seuche, Ansteckung) stammt aus der Medizin, wird aber seit der Asienkrise in den 1990er-Jahren auch von Finanzwissenschaftlern verwendet, um krisenbedingte Ansteckungseffekte zu beschreiben. Heute kämpft die Euro-Zone gegen die Folgen eines solchen Contagion-Effekts. Wie die Pandemie in Soderberghs Film droht die Schuldenkrise unkontrollierbar zu werden. In Griechenland ausgebrochen, sucht sie inzwischen die ganze EU heim. Italien ist infiziert, Spanien steht kurz davor. Finanzexperten sind sich einig: Würde Italien wie Griechenland zahlungsunfähig, käme es zu einem Dominoeffekt mit fatalen Konsequenzen. Fast unheimlich ruhig ist es dagegen noch in der Schweiz – dank hoher Produktivität und Finanzspritzen der Nationalbank. Die Arbeitslosenquote beträgt tiefe drei Prozent. Und geradezu märchenhaft muten Meldungen an, dass die Mehrheit der Firmen im nächsten Jahr höhere Löhne auszahlen will.
Ist diese trügerische Ruhe eine Erklärung dafür, dass es der SP trotz der Auswüchse an den Börsen nicht mehr gelingt, neue Wähler zu gewinnen? Haben sich die alten Umverteilungsparolen abgenutzt? Ist die SP «geistig erstarrt», wie es der Politologe Michael Hermann kürzlich im «Tages-Anzeiger» provokativ formulierte?
In unserer Titelgeschichte debattieren die Basler SP-Regierungsrätin Eva Herzog und der frisch gewählte Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth: die pragmatische Finanzdirektorin gegen den idealistischen Vizepräsidenten der SP Schweiz. Das Gespräch zeigt die einstige Partei der Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Suche nach neuen Rezepten – auch für den Fall, dass die europäische Schuldenseuche auf die Schweiz übergreifen sollte.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18/11/11