David Cameron triumphiert über die absolute Mehrheit für seine Partei nach der Wahl. Doch seine Regierung ist mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Ein Kommentar.
Niemand hatte erwartet, dass die Queen bereits am Freitagmittag von Windsor zum Buckingham Palace fahren würde, um dem künftigen Premierminister mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Wahl hatte als die unsicherste seit Jahrzehnten gegolten, bis zuletzt war in den Meinungsumfragen kein klarer Favorit hervorgetreten, man warnte vor wochenlangen Verhandlungen über mögliche Koalitionen.
Am Ende war die Mehrheit der Konservativen so überraschend wie eindeutig: Die Tories gewannen 331 der 650 Sitze im britischen Unterhaus – eine absolute, wenn auch dünne Mehrheit. Die oppositionelle Labour-Partei, die laut Prognosen noch am Vortag gleichauf mit den Konservativen war, holte schäbige 232 Sitze, 26 weniger als bei der letzten Wahl.
Während David Cameron als Premierminister für weitere fünf Jahre bestätigt wurde, fiel am Freitag ein prominenter Kopf nach dem anderen: Zunächst trat Nick Clegg zurück, Vorsitzender der erniedrigten Liberaldemokraten (von ihren 57 Sitzen bei der letzten Wahl blieben lediglich 8 übrig), dann der Ukip-Chef Nigel Farage, der den Einzug ins Parlament erneut verpasste, und schliesslich der Labour-Vorsitzende Ed Miliband.
Labours Absturz war brutal. Über die wichtigste Ursache des Debakels besteht kein Zweifel: der Vormarsch der Schottischen Nationalpartei (SNP). Nach dem Unabhängigkeitsreferendum im vergangenen September, bei dem Labour gemeinsame Sache mit den in Schottland verhassten Tories gemacht hatte, um die Teilung des Vereinigten Königreichs zu verhindern, gewann die SNP massenweise Parteimitglieder hinzu.
Die SNP war am Freitagmorgen die überwältigende Wahlsiegerin, noch vor den Konservativen: Sie hat 56 der 59 schottischen Sitze gewonnen, während Labour, jahrzehntelang die dominante Kraft in Schottland, künftig nur noch einen einzigen Abgeordneten nach Westminster schicken wird.
Wer für Labour stimmt, hilft indirekt der SNP
Doch wenn Labour-Chef Ed Miliband klagt, Schottland sei von einer «Welle des Nationalismus» überrollt worden, so trifft dies nur bedingt zu. Die SNP unter der Vorsitzenden Nicola Sturgeon positioniert sich klar links von Labour, sie stellt sich gegen die Sparpolitik Westminsters und will die in Schottland stationierten nuklearen U-Boote loswerden.
Diese Haltung vermochte in stärkerem Mass Wähler zu mobilisieren als nationalistische Stimmungsmache. Der Chef der schottischen Labour-Partei hingegen politisierte am rechten Rand seiner Partei – und verlor seinen Parlamentssitz zusammen mit den anderen 39 Labourkandidaten.
In England war Milibands Niederlage weniger dramatisch – in London konnte seine Partei sogar eine Handvoll Sitze von den Liberaldemokraten zurückerobern. Dass die Partei im Rest Englands kaum Sitze hinzugewonnen hat, hat mehrere Gründe: Zum einen fehlte der Partei unter Miliband eine überzeugende Botschaft, mit der sie sich klar von den Konservativen hätte abgrenzen können (anders als die SNP oder die Grüne Partei stellt sich Miliband nicht gegen die Sparpolitik, sondern will sie lediglich etwas abschwächen).
Zum anderen lag es aber auch an der effektiven Anti-SNP-Kampagne der Tories. In den vergangenen Wochen hatten sie vor einem Pakt zwischen Labour und den schottischen Nationalisten gewarnt, der das Ende Grossbritanniens bedeuten würde.
Auf den Punkt gebracht: Wer in England für Labour stimmt, hilft indirekt der SNP und öffnet damit das Tor zur Spaltung des Königreichs. Die überwiegend konservative britische Presse half bei der Kampagne tatkräftig mit: Nicola Sturgeon wurde als «gefährlichste Frau» der britischen Politik gebrandmarkt, der englische Nationalismus wurde bewusst geschürt.
Klarer Sieg, aber kleinere Mehrheit
David Cameron triumphiert im Moment; am Ende ist seine Botschaft der wirtschaftlichen Stabilität bei vielen Wählen auf Resonanz gestossen. Doch seine Regierung sieht sich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, die in den nächsten Monaten klarer zum Vorschein treten werden.
Erstens ist seine Mehrheit erheblich kleiner als während der fünfjährigen Koalition mit den Liberaldemokraten, was die Regierungsarbeit erschweren wird. Dazu kommt, dass das britische Mehrheitssystem zu Verzerrungen führt, die das Unterhaus – und die Regierung – wenig repräsentativ erscheinen lassen. So haben die Konservativen ihre absolute Mehrheit mit knapp 37 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht.
Zweitens hat der schottische Teil des Vereinigten Königreichs in grossen Zahlen für eine Partei gestimmt, die der Politik der Konservativen völlig zuwiderläuft. Wenn die Tories ihre Sparpolitik wie angekündigt weiter durchziehen, werden sich die Gegensätze innerhalb des Königreichs verschärfen.
Zwar meint Nicola Sturgeon, dass die Unabhängigkeit fürs Erste vom Tisch sei, aber die Frage, wie weit die Autonomie der einzelnen Regionen gehen soll, wird an Bedeutung gewinnen – und das langfristige Ziel der SNP, Schottland zu einem eigenständigen Staat zu machen, bleibt bestehen.
Die Spannungen in der eigenen Partei werden zunehmen
Nicht nur innerhalb des Landes werden die Spannungen zunehmen, sondern auch in Bezug auf das Verhältnis zu Europa. Auf Druck des rechten Flügels seiner Partei hat Cameron Verhandlungen über die Verträge mit der Europäischen Union angekündigt und für 2017 ein Referendum über einen Verbleib in der EU. Ohne Liberaldemokraten in der Regierung wird sich Cameron dem Druck seiner europhoben Hinterbänkler stärker ausgesetzt sehen. Die Rufe nach mehr Unabhängigkeit von Brüssel dürften lauter werden.
Doch die Finanzindustrie und die Arbeitgeberverbände, die normalerweise die Politik der Konservativen unterstützen, verfolgen die Europa-Debatte mit Unbehagen: Die EU ist der wichtigste Wirtschaftspartner Grossbritanniens, einen möglichen «Brexit» sehen Wirtschaftsvertreter als grosse Gefahr.
Je länger die Unsicherheit hinsichtlich der EU andauert, desto nervöser werden die Finanzchefs in der City of London – und selbstverständlich haben die restlichen Mitgliedsstaaten der EU wenig Interesse, die Verträge mit Grossbritannien neu auszuhandeln.