Eine Schachtel Pralinés für Gas aus Baku

Die Schweiz bemüht sich auf allen Kanälen um Erdgas aus Aserbaidschan. Dadurch solle die Versorgungssicherheit grösser werden, wird argumentiert. Doch nützen würde der Deal vor allem dem Stromkonzern Axpo.

(Bild: Nils Fisch)

Die Schweiz bemüht sich auf allen Kanälen um Erdgas aus Aserbaidschan. Dadurch solle die Versorgungssicherheit grösser werden, wird argumentiert. Doch nützen würde der Deal vor allem dem Stromkonzern Axpo.

Christine Egerszegi, Aargauer Ständerätin, ist eine rührige Politikerin, Freundschaften weiss sie zu pflegen. Eine solche unterhält die FDP-Frau aus dem Aargau mit der Vizepräsidentin des aserbaidschanischen Parlaments Bahar Muradova, die sie von einem offiziellen Besuch in der Hauptstadt Baku 2007 kennt. Seither treffen sich die beiden im Rahmen der gemeinsamen OSZE-Delegation regelmässig. Muradova bringe ihr zuckersüsses Baklava aus ihrer Heimat mit, erzählt Egerszegi, sie revanchiere sich mit einer Schachtel Schweizer Pralinés. Naschereien unter Damen.

Der Besuch in Baku muss Egerszegi nachhaltig beeindruckt haben, jedenfalls gründete sie zurück im Aargau die Parlamentariergruppe Schweiz–Aserbaidschan. Deren Ziel: «Ein freundschaftlicher Austausch zwischen Mitgliedern der Parlamente.» Mehr als fünf Mitglieder hatte die Gruppe nie und derzeit ist sie auch inaktiv, aber nun soll sie auf Wunsch der aserbaidschanischen Botschaft wieder tätig werden. 2013 ist ein wichtiges Jahr.

Auch für Walter Steinmann ist 2013 entscheidend. Der Direktor des Bundesamts für Energie (BFE) reiste diese Woche nach Baku. Wen er traf, kann Departementssprecherin Marianne Zünd nicht sagen, was auf seiner Traktandenliste stand, will sie nicht preisgeben. Nur so viel: «Aserbaidschan ist ein strategisches Schwerpunktland der Energieaussenpolitik der Schweiz.» 2010 wurde Aserbaidschan auf diese Liste gesetzt, mehr will Zünd auch dazu nicht sagen. «Der Bericht ist vertraulich.»

Mangelnde Transparenz

Ausgesprochen intransparent sei die Sache, sagt Rudolf Rechsteiner, Energiepolitiker der Basler SP. Denn darüber, was die übergeordneten Ziele der Schweizer Gasmission in Aserbaidschan und auch in Iran – wir erinnern uns an die Bilder von Micheline Calmy-Rey im Kopftuch – sind, gehen die Meinungen auseinander.

Verbrieft ist, dass seit 2007 starke Bemühungen der Schweizer Regierung im Gange sind, in diesen Ländern zum Zug zu kommen. Den Anfang in Baku machte Moritz Leuenberger 2007, ihm folgten Pascal Couchepin, Micheline Calmy-Rey und zuletzt Energieministerin Doris Leuthard im Herbst 2011.

Gewaltiges Gasvorkommen

Klar ist auch, um was vordergründig gekämpft wird. Aserbaidschan ist daran, eines der grössten Gasfelder der Welt vollständig zu erschliessen. Shah Deniz unter dem Kaspischen Meer hat die Grösse des Kantons Jura, ab 2018 soll von dort aus Gas über eine Pipeline durch die Türkei nach Europa fliessen.

Das Projekt steckt in einer wichtigen Phase: Bis Mitte des Jahres will die Regierung in Baku entscheiden, welches Pipeline-Projekt verwirklicht wird: die Variante «Nabucco West» durch den Balkan nach Österreich oder die Trans Adriatic Pipeline (TAP), die das Gas von der türkischen Grenze nach Italien befördern will. Die Schweiz setzt ganz auf TAP, diese würde eine «Verbesserung der Versorgungssicherheit unseres Landes» bringen, sagt BFE-Sprecherin Zünd. Der Bund erhofft sich, mit der Pipeline von Gasimporten aus Russland unabhängig zu werden.

Swissgas ist anderer Meinung

Die Schweizer Erdgas-Vereinigung Swissgas ist anderer Auffassung: «Das Bundesamt für Energie betont immer wieder, die Schweiz wolle dadurch die Abhängigkeit von Russland reduzieren. Wir sind nicht von Russland abhängig, rund zwei Drittel unserer Erdgas-Bezüge werden in EU-Ländern und Norwegen gefördert», sagt Swissgas-Sprecher Daniel Bächtold. «Die Schweizer Erdgas-Wirtschaft ist für die Versorgungs­sicherheit im Land nicht auf Gas aus Aserbaidschan und Iran angewiesen.»

Für was wirbt und weibelt also der Bundesrat in Baku? Bächtold sagt: «Die Schweizer Stromkonzerne wollen mit Unterstützung der Bundesbehörden günstiges Gas für die Stromproduktion in den umliegenden Ländern beschaffen.» Profitieren von TAP würde in erster Linie Axpo. Der Stromriese hält 42,5 Prozent der Anteile an der geplanten Pipeline. Die anderen Aktionäre sind die norwegische Statoil und der deutsche Energieversorger E.ON.

Axpo hält auch mehrere Beteiligungen an italienischen Gas-Kombikraftwerken. Auf Anfrage räumt Axpo unumwunden ein, dass das Gas aus dem Kaspischen Meer genau für diese Kraftwerke vorgesehen wäre – und widerspricht damit dem BFE. «Das Erdgas wird zur Befeuerung unserer Gas-Kombikraftwerke in Italien eingesetzt», teilt das Unternehmen mit. Was übrigbleibt, soll weitervermarktet werden.

«Sie kaufen jeden Schrott»

Mit billigem Gas aus Aserbaidschan würde der wirtschaftliche Druck auf Axpo nachlassen. Das Auslandsgeschäft ist zu einer Bürde der Stromkonzerne geworden. Alpiq zieht sich bereits auf breiter Front aus dem Auslandsgeschäft zurück. Energie­politiker Rechsteiner vergleicht die Expansionsstrategie der Strommultis mit jener der alten Swissair: «Sie kaufen im Ausland jeden Schrott zusammen und jetzt merken sie, dass sie sich verrechnet haben. Deshalb verkauft Alpiq alle Gaskraftwerke
Auch die Auslandsstrategie von Axpo sei gescheitert, sagt Rechsteiner: «Die Kraftwerke rentieren schlicht nicht.» Der Glaube, Aserbaidschan würde sein Gas vergünstigt abgeben, sei naiv. «Warum sollen die unter Wert verkaufen?»

Dass die Schweiz das Regime in Baku frei von Schamgefühlen bezirzt, stört auch Andreas Gross. Der SP-Nationalrat beobachtet das Erdöl-Land im Auftrag des Europarats intensiv. Aserbaidschan gilt als hochkorrupt und repressiv. Der Korruptionsindex von Transparency International führt Aserbaidschan auf Rang 139. In der Scheindemokratie werden Oppositionelle drangsaliert und eingekerkert. «Aserbaidschan ist eine der rücksichtslosesten Oligarchien in Europa», sagt Gross. Das Gasgeschäft werde die Schweiz so sehr belasten, «wie die Geschäfte mit Ben Ali in Tunesien nachträglich Frankreich diskreditiert haben».

Couchepin würdigte bei seinem Besuch in Baku Aserbaidschan als «privilegierten Partner der Schweiz». Für Gross eine verheerende Fehleinschätzung: «Verlässlich ist dort ausser Korruption und Menschenverachtung nichts.» Gross erinnert zudem an den ungelösten Konflikt um die Region Berg-Karabach, wo die TagesWoche auf Reportage war.

Intensive Lobbyarbeit

Von Christine Egerszegis Baklava-Kränzchen hält Gross nichts. Obwohl er 30-mal in Aserbaidschan gewesen sei, habe er nie eine Anfrage von ihr erhalten, der parlamentarischen Gruppe beizutreten. «Ich habe den Eindruck, die Gruppe ist sehr geprägt von wirtschaftlichen Interessen, der Regierung Aserbaidschans und deren Botschafter in der Schweiz», sagt Gross. Egerszegi habe sich «in den azerischen Fängen verfangen». Baku würde aber auch «sehr aggressives Lobbying betreiben».

Dass die Interessen der parlamentarischen Verbindung rein bei der Freundschaftspflege liegt, darf bezweifelt werden: Das Sekretariat der Gruppierung wird grosszügigerweise von Axpo gestellt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.01.13

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