Eine Unternehmerin wehrt sich gegen das System Putin

Die Geschäftsfrau Jana Jakowlewa kämpft für die Rechte von Unternehmen in Russland. Doch während der Druck durch die Regierung zunimmt, geht die Solidarität in der Geschäftswelt zurück.

Jana Jakowlewa kämpft gegen die Plünderung staatlicher Unternehmen durch den Staat.

(Bild: Arseniy Neskhodimov)

Die Geschäftsfrau Jana Jakowlewa kämpft für die Rechte von Unternehmen in Russland. Doch während der Druck durch die Regierung zunimmt, geht die Solidarität in der Geschäftswelt zurück.

Es gebe zwei Welten im russischen Unternehmerleben, sagt Jana Jakowlewa. In der Welt von Bilanzen, Geschäftsterminen und Interviews treffen wir uns in einem schicken Café der Moskauer Innenstadt. Die andere Welt kennt Jakowlewa auch – es ist die hinter Gittern. 

Die zierliche 44-Jährige mit dem roten Lockenkopf gehört zu den schärfsten Kritikerinnen des Systems unter Präsident Wladimir Putin. 2008 hat sie die Hilfsorganisation «Business Solidarität» gegründet, um Unternehmern bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen. Als Miteigentümerin und Managerin des Chemie-Unternehmens Sofex stellt Jakowlewa Silikonprodukte her. 2006 sass sie sieben Monate unschuldig in einem Gefängnis nahe Moskau. Über Nacht war ein Rohstoff für die Produktion zu einer illegalen Substanz erklärt worden – und damit Jakowlewa zur Drogendealerin. 

Ein typischer Fall von «Rejderstwo» – ein Vorgehen, bei dem Unternehmen von den Behörden verfolgt und zerschlagen und im Anschluss von Konkurrenten übernommen werden. Eine feindliche Übernahme mit staatlicher Unterstützung. Genaue Zahlen gibt es dazu freilich nicht, russische Medienberichte gingen aber schon 2009 von 70’000 Fällen pro Jahr aus.

In seiner dritten Amtszeit zieht Putin die Schraube an

Jakowlewa beugte sich dem Druck nicht. Ihr Anwalt sorgte für Presserummel, ihr Prozess wurde zum «Fall der Chemiker» hochstilisiert – in Anlehnung an den «Fall der Ärzte», die unter Stalin verfolgt wurden. Vermutlich nicht zuletzt wegen eines Machtkampfes zwischen der Drogenbehörde FSKN und dem Inlandgeheimdienst FSB kam Jakowlewa frei. «Wir haben gesehen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit ein Weg ist, zu dem man auch anderen Unternehmen raten kann», sagt sie. «Da habe ich beschlossen, dass man diese Erfahrung teilen muss.» 

«Wenn ein Partner attackiert wird, treten alle anderen mit vereinten Kräften für ihn ein», steht auf der Homepage ihrer NGO, die auch Schicksale von unter Druck geratenen Unternehmen auflistet. Die Organisation hilft betroffenen Unternehmern mit Rechtsbeistand und beim Gang an die Öffentlichkeit. Jakowlewa ist in weiteren Bürgerrechtsorganisationen engagiert, bis vor Kurzem schrieb sie eine Kolumne in einer kreml-kritischen Online-Zeitung.

Heute wirkt die Geschäftsfrau müde. «Die politische Lage hat sich in der dritten Amtszeit Putins verschärft, und die Leute sind immer passiver geworden», sagt Jakowlewa. Bürgerrechtler und kreml-kritische NGOs können neuerdings nach dem Gesetz zu «ausländischen Agenten» oder überhaupt für «unerwünscht» erklärt werden. «Wenn sich betroffene Unternehmer an Bürgerrechtler wenden, fürchten sie, dass sie ihre Lage dadurch nur noch schlimmer machen.»

Absurde Anschuldigungen

Absurde Anschuldigungen seitens der Behörden gehören für russische Unternehmen nach wie vor zum Alltag. Ein Produzent von Streusalz aus Perm sitzt schon seit einem Jahr in U-Haft. Sein Produkt beruhe auf einer chemischen Formel, die das Mittel unnötig verteuern würden, behaupten die Behörden. «Das ist so, als würde jemand in ein Geschäft gehen und sagen, dass es jetzt kein Joghurt mit Mango mehr geben dürfe, weil es ohne Mango billiger sei!», empört sich Jakowlewa.

Einem anderen Unternehmer wurde wegen eines angeblichen Lieferausfalls der Prozess gemacht – obwohl der mutmasslich geschädigte Kunde vor Gericht beteuerte, die Ware rechtzeitig bekommen zu haben. Der Beschuldigte ist kurzerhand ins Ausland geflohen. «Das Strafrecht ist in Russland zu einem wichtigen Bestandteil in der Wirtschaft geworden. Es kommt zur Anwendung, um Besitz umzuverteilen», sagt Jakowlewa. Einen Freispruch gibt es in Russland nur in weniger als einem Prozent aller Gerichtsfälle.

Das Thema ist aktueller denn je. Im Dezember hat der «Fonds zur Korruptionsbekämpfung» des Oppositionellen Alexei Nawalny einen Film über die mafiösen Machenschaften hochrangiger Beamter ins Netz gestellt. Seit einer Woche gibt es auch eine englische Version.

 

Danach soll der Sohn des Generalstaatsanwalts Juri Tschaika durch «Rejderstwo» ausgerechnet in der Region zu Reichtum gekommen sein, in der sein Vater jahrelang Staatsanwalt war. Dieser hat die Anschuldigung mehrmals als eine Schmutzkampagne unter westlicher Regie zurückgewiesen. Ein Rücktritt wird nicht erwartet.

Aber auch abseits der Gerichtssäle ist die Lage für die russische Unternehmer derzeit alles andere als gut: Durch den niedrigen Ölpreis ist der russische Rubel zuletzt auf ein Rekordtief gefallen. Die russische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 3,7 Prozent geschrumpft, auch in diesem Jahr steuert Russland auf eine Rezession zu, prognostiziert die russische Zentralbank.

Dieser Tage hat der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow ein Privatisierungsprogramm angekündigt, um die Löcher im Budget – das stark vom Rohstoffexport abhängt –  zu stopfen. Wie dramatisch die Lage ist, unterstrich zuletzt selbst der Finanzminister Anton Siluanow, als er die bedrohliche Lage mit der Rubelkrise aus dem Jahr 1998 verglich. Damals erlitt die russische Währung innert kurzer Zeit einen Wertverlust von 60 Prozent. 

Rhetorik und Wirklichkeit

«Die Freiheiten des Unternehmertums müssen ausgeweitet werden», sagte Präsident Wladimir Putin zuletzt bei seiner jährlichen Ansprache vor der Föderalversammlung. «Die Rede hätte auch von mir stammen können», lacht Jakowlewa. «Es gibt aber einen grossen Unterschied zwischen Rhetorik und Wirklichkeit. Die grösste Last für das russische Business sind die Beamten selbst.»

Ljudmila Alexejewa, die russische Doyenne im Bereich Menschenrechte, zählte Unternehmer zuletzt gar zur «Hochrisikogruppe» in Sachen Repressionen. Jakowlewa schätzt, dass jeder sechste Unternehmer in Russland schon strafrechtlich verfolgt wurde.

Dass Unternehmen in Russland von den Behörden gegängelt werden, hat zuletzt nicht nur Jakowlewa kritisiert. Der Geschäftsmann Dmitri Potapenko vergleicht das Verhältnis zwischen dem Kreml und den Unternehmern mit einem «Dialog zwischen einem Metzger und einer Kuh» – entweder die Kuh werde gemolken, oder gleich geschlachtet. Seine Rede am Moskauer Wirtschaftsforum hat sich inzwischen zum Internethit entwickelt und wurde auf Youtube bisher 1,7 Millionen Mal geklickt. 

Jakowlewa selbst ist trotz staatlicher Gängelei eine Kämpferin geblieben. Vor drei Jahren wurde sie von einem Steuerbeamten erpresst, Schmiergelder zu zahlen. Jakowlewa dokumentierte den Fall. Diesmal wurde nicht sie verhafte, sondern der Beamte.

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