Eine Woche im Baselbiet

Ein Überblick über sieben verrückte Tage mit einem vorläufigen Happy End.

(Bild: Hans Jörg Walter)

Ein Überblick über sieben verrückte Tage mit einem vorläufigen Happy End.

Freitag, 15. Juni:

Kurz vor der Abstimmung gibt sich die Baselbieter Regierung noch voller Zuversicht. «Der Grossteil der Bevölkerung steht hinter uns», sagt Finanzdirektor Adrian Ballmer (FDP) in der «Volksstimme»: «Das zeigen mir meine Signale.» Ganz zu vertrauen scheint er ihnen allerdings nicht. Vorsorglich macht er sich jedenfalls schon auf die Suche nach Schuldigen – und findet sie bei den Medien. Sie würden sich in eine «Kampagne zur Destabilisierung der Regierung einspannen» lassen, sagt Ballmer und nennt gleich noch die Drahtzieher der angeblichen Agitation: Böse Kräfte, die auf einen Wechsel in der Regierung und eine Wiedervereinigung der beiden Basel hinarbeiten.

Mit dieser Verschwörungstheorie nimmt der Abstimmungskampf eine letzte überraschende Wendung ins Absurde. Zuvor war die Auseinandersetzung vor allem eines: aggressiv. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, Lügen zu verbreiten. Konkret wird die Regierung vor allem dafür kritisiert, dass sie die Steuern in den vergangenen Jahren mehrfach gesenkt hat, ohne sich um zusätzliche Einnahmen zu kümmern. Die Baselbieter Wirtschaftsförderung zum Beispiel gilt im Vergleich zu jener der Nachbarkantone als schlecht bis miserabel.

Samstag, 16. Juni:

Wenigstens eine Zeitung schreibt nun doch noch ganz im Sinne der Baselbieter Regierung: die «Basler Zeitung». Etwas spät zwar, im Ton aber dafür umso eindringlicher. «Selten ging es um so viel», beschwört Chefredaktor Markus Somm seine Leser. Die Baselbieter müssten an diesem Sonntag unbedingt ihrer Regierung folgen und damit der «Welt, besonders unseren schwer verschuldeten Nachbarn in Europa» beweisen, «wie gut man spart in der direkten Demokratie». Grosse Worte. Somms allergrösste Leistung ist es aber wahrscheinlich, 8047 Zeichen über die Krise des Baselbiets zu schreiben, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass in erster Linie die Bürgerlichen für das Desaster verantwortlich sind. Einen schwerwiegenden Vorwurf kann ihnen der Leitartikel mit dem schönen Titel «Liestal oder Athen» allerdings nicht ersparen: dass sie die Steuern nicht noch stärker gesenkt haben. «Wer eine Million versteuert», weiss Somm, dürfe sich heute «unter keinen Umständen in Liestal niederlassen».

Sonntag, 17. Juni:

«Die Welt, besonders unsere schwer verschuldeten Nachbarn in Europa» (Somm) haben auf das Zeichen aus Liestal offenbar doch nicht gewartet, wie sich an diesem Tag herausstellt. Die Griechen entscheiden sich für eine konservative Regierung und damit fürs Sparen und einen Verbleib in der Eurozone. Die Baselbieter lehnen die Sparvorlagen dagegen mit 59 Prozent der Stimmen ab. Offenbar hat man genug von der ideenlosen Steuersenkungs- und Sparpolitik der bürgerlichen Mehrheit. Mit Spannung wird darum die Pressekonferenz der Regierung in Liestal erwartet. Wie reagiert sie auf die herbe Niederlage? Welche Ideen hat sie noch für ihren Kanton?

Antwort: keine.

«Wer eine Idee hat, kann sich gerne bei mir melden», sagt Finanzdirektor Adrian Ballmer. Ansonsten erwecken er und sein Kollege, Regierungspräsident Peter Zwick (CVP), nicht gerade den Eindruck, als wären sie bereit, auf irgendwen zu hören. Und schon gar nicht auf das Volk. Unter anderem geben Ballmer und Zwick an der Medienorientierung Folgendes zum Besten:

> Die Regierung ist eigentlich auf Kurs (das Volk aber offenbar nicht).
> Das Nein ist ein Zeichen mangelnder Solidarität (von wem auch immer).
> Die nun fehlenden 26 Millionen werden nun einfach sonst wo eingespart. Wo genau – keine Ahnung.

Der Auftritt der Regierung ist eine Bankrotterklärung, wie SP-Nationalrat Eric Nussbaumer später sagen wird. An der Pressekonferenz fragten wir darum nach, ob nicht vielleicht einer der fünf Regierungsräte bereit wäre zurückzutreten, um Platz zu schaffen für eine neue Figur, einen neuen Kopf, der noch ein paar Ideen hätte.

Regierungspräsident Peter Zwick (CVP) nimmt missmutig einen Zettel hervor, um von dort abzulesen, warum es ihn und seine Kollegen im Regierungsrat noch braucht. Zwick redet und redet, ehe er dann tatsächlich auch noch die Frage beantwortet: Nein, ein Rücktritt sei kein Thema, bei ihm nicht und auch bei sonst niemandem.

In den Medien kommt der beharrliche Auftritt der Regierung schlecht an. «Warum sich auch einer wie Ballmer ans Amt krallt, der seine Unlust teilweise schon fast demonstrativ vor sich hinträgt, lässt sich zwar erklären – mit persönlichen Gründen (bloss keine Schwäche zeigen) oder politischen (Angst vor einer links-grünen Mehrheit). Gut fürs Ganze ist dieses Beharren jedenfalls nicht», schreiben wir in unserem Online-Kommentar. Die Leserkommentare sind mehrheitlich zustimmend.

Montag, 18. Juni:

Die interessanteste Figur in diesen turbulenten Tagen bleibt Finanzdirektor Ballmer. Er war früher die Grösse in der Baselbieter Regierung, ihr unangefochtener Star und Chef. Darum konzentriert sich die Debatte auch am Tag nach der Abstimmung so sehr auf Ballmer, darum sitzt Ballmer an diesem Montagabend bei Mirjam Jauslin in der Sendung «061 live» von Telebasel. Sein Auftritt steht exemplarisch für den öffentlichen Aufstieg und Fall des Finanzdirektors. Immer wieder scheint durch, warum Ballmer vor fünf Jahren (es scheint ewig her) mit dem besten Resultat aller Regierungsräte wiedergewählt wurde. Er wirkt kompetent, er kann schlagfertig, ja sogar auf eine verquere Art lustig sein.

Prägend sind aber nicht die Momente kurzer Brillanz, prägend ist der andere Ballmer. Der mitleidige, bräsige, der hochmütige Ballmer, jener, der bei den Wahlen vor einem Jahr den letzten Platz aller Regierungsräte belegte. Er fällt Jauslin ins Wort, er beschreibt seine Gegner als inkompetente Nichtsnutze und gibt während des ganzen Auftritts das Bild eines Mannes ab, der nicht nur alle gegen sich hat, sondern es auch immer besser weiss. Sein Auftritt ist Vorbote für das weitere Unheil, das diese Woche für den Liestaler noch bereithält.

Dienstag, 19. Juni:

Neue Ideen sind von der Regierung auch nach ihrer ersten Sitzung nach dem Abstimmungsdesaster nicht zu hören. Etwas ratlos wirkt auch die «Basellandschaftliche Zeitung» (bz). Helfen sollen nun die Leserinnen und Leser. Auf der Frontseite der heutigen bz werden sie aufgefordert, Ballmer Spartipps zu geben. Diese klingen dann zum Beispiel so: «Ein Staat sollte nicht mehr ausgeben als einnehmen.»

Mittwoch, 20. Juni:

Einfach wird der weise Rat allerdings nicht umzusetzen sein. Denn allein die anstehende Sanierung der Pensionskasse wird 2,3 Milliarden Franken kosten, wie Ballmer an diesem Tag an einer weiteren Pressekonferenz bekannt geben muss. Das grosse Thema ist aber schon bald nicht mehr die desolate Lage der Pensionskasse, sondern Ballmers Entscheid, die Landräte Gerhard Schafroth (Grünliberale) und Marie-Therese Müller (BDP) von der Pressekonferenz auszuschliessen. Die beiden sind empört und teilen das per Communiqué auch mit, und nun kommt in der Baselbieter Politik tatsächlich so etwas wie Hektik auf. Einzelne Landräte überlegen sich, Ballmer einen Denkzettel zu verpassen, indem sie ihm die Wahl zum Vizepräsidenten des Regierungsrates verweigern und so zum Rücktritt zu bewegen.

Donnerstag, 21. Juni:

Über Nacht hat sich die Aufregung wieder gelegt. Im Landrat appellieren Politiker verschiedener Parteien an den Anstand und Gemeinsinn. Mit dem Hickhack müsse Schluss sein, sagen sie. Sonst könnten die Probleme nicht gelöst werden. Ballmer wird danach trotz einiger Enthaltungen klar zum Vize gewählt. Am Nachmittag gehts für die Politiker weiter nach Itingen zum Fest des neuen Landratspräsidenten Jürgen Degen, das nach Redaktionsschluss der TagesWoche stattfindet. Wahrscheinlich wird es ein schönes Fest gewesen sein mit allem Drum und Dran. Und dem Baselbieterlied: «Die Baselbieter Lütli si gar e flissge Schlag. (…) Die einte mache Bändel, die andre schaffe s Fäld. Me seit vom Baselbieter und red’t ihm öppe noo, er säg nu: ‹Mir wei luege›, er chönn nit säge: Jo.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12

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