Lange prägten die Türken die Klybeckstrasse mit. Doch der Zusammenhalt weist Brüche auf: Viele Familien zieht es fürs Einkaufen ins Ausland – und fürs Wohnen in andere Quartiere.
Es gab eine Zeit, da bezeichnete der Kleinbasler Volksmund das Tram, das durch die Klybeckstrasse fuhr, abschätzig als Knoblauch-Drämmli. Das war vor 25 Jahren, nachdem sich Hunderte von Türken und Kurden hier niedergelassen hatten. Auch Hüseyin Akin verliess seine Geburtsstadt Istanbul nach dem Militärputsch 1980 Richtung Schweiz. «Eigentlich aber waren wir schon viel früher hier», sagt er augenzwinkernd, «nämlich schon vor über 1600 Jahren, angeführt von Attila, dem Hunnenkönig.»
Damals sollen 60’000 Gefolgsleute aus Südosteuropa ihre Lager beidseits des Rheins aufgeschlagen haben – was sich im Namen der Fischerdörfer niederschlug: Hüningen und Kleinhüningen. Der Hunnenkönig hat es gar ins Wappen des Kleinbasler Quartiers geschafft.
Ob sich die südeuropäischen Migranten im Kleinbasel deshalb so rasch wohlfühlten? «Das Kleinbasel ist meine Heimat», sagt jedenfalls Hüseyin Akin, als wir ihn im Restaurant Ephesus an der Ecke Klybeck-/Amerbachstrasse treffen.
Der 54-Jährige gehört zu jenen Migranten, die beide Welten sehr gut kennen: die türkische wie die schweizerische. Er hat hier die Kunstgewerbeschule besucht, nach Abschluss seines Studiums als Filmemacher und Journalist gearbeitet, für das Schweizer Fernsehen oder den Kanton Basel-Stadt, und dabei immer wieder zwischen den Kulturen vermittelt. Was nicht einfach ist, denn die Mentalitäten sind verschieden, wie er mit einem bildhaften Vergleich beschreibt: «Wenn ein Türke eine Beiz betritt, dann wird er von den Gästen gegrüsst und an einen Tisch eingeladen. Der Schweizer hingegen erwartet, dass der Letzte, der reinkommt, grüssen muss.»
Wenn ein türkisches Restaurant plötzlich vielen Türken zu teuer ist
Parallelgesellschaft werde es immer geben, sagt er, «doch sollten wir die Ghettoisierung vermeiden». Die Basler Politik sieht er dabei in der Pflicht: Sie habe sich in den letzten Jahren zu stark auf die gut verdienenden Expats fokussiert und die Bedürfnisse der Menschen aus der Türkei oder dem Balkan aus dem Blickfeld verloren.
Man kann ihn verstehen: Dass der Moschee auf dem Basler Kasernenareal nach 40 Jahren ohne Ersatzlösung gekündigt worden war: eine unfreundliche, unrühmliche Geste vom Kanton. Akin hofft, dass beim Umbau des Kasernenkopfbaus auch andere Kulturen zum Zug kommen werden – nicht so wie beim Union weiter unten an der Klybeckstrasse, wo die Christoph Merian Stiftung ein niederschwelliges soziokulturelles Zentrum versprach. «Doch allein das Gastroangebot zeigt, dass sich dieser Ort an Ausländer richtet, die in der Pharmabranche arbeiten, an jene, die sich gar nicht integrieren wollen und müssen und sich einen teuren Kaffee leisten können. So kann Integration doch nicht funktionieren», kritisiert Akin.
In die Expats setzen aber auch manche Türken ihre ökonomische Hoffnung: Özgür Yildiz (40) führt seit drei Monaten das Restaurant Ephesus an der Ecke zur Amerbachstrasse. Kein Fastfood, sondern frische türkische Küche vom Holzkohlegrill lautet seine Strategie. Speisen mit Preisen, die vielen Türken zu teuer sind: «Seit das 8er-Tram über die Grenze fährt, gehen viele Familien in Deutschland einkaufen und essen», sagt er und hofft daher, dass es bald mehr als drei Tische sind, die Novartis-Mitarbeiter mittags belegen. Die Speisekarte ist schon mal mehrsprachig. «Und ich habe neu eine Serviertochter angestellt, die Englisch spricht.»
Der Zusammenhalt der türkischen Community, er hört beim Preis auf.
Dass der Zusammenhalt der türkischen Community beim Geld an seine Grenzen kommt, das spürt auch der Geschäftsführer eines Hochzeitskleider-Geschäfts, der nicht namentlich genannt werden möchte. Früher reisten Kundinnen aus St. Gallen oder Strassburg an, um sich an der Klybeckstrasse mit Brautkleidern einzudecken. Seit Schneider in der Türkei ihre Massanfertigungen übers Internet verkaufen, Billigflüge die Distanzen verkürzen und der Euro so günstig ist, sind die Umsätze in Basel zurückgegangen, so sehr, dass die Ladenflächen verkleinert werden mussten.
Immerhin ein Geschäft an der Klybeckstrasse scheinen die günstigeren Euro-Deals nicht zu beeinträchtigen: Coiffeur Ali, vor dessen Eingang sich an Wochenenden Warteschlangen auf dem Trottoir bilden. Hier manifestiert sich der kulturelle Crossover auf wunderbare Weise: Die Frisuren sind europäischer als in Anatolien, auf dem Tresen winkt ein Santiglaus und aus den Boxen quirlt türkischer Pop, der vom sonoren Sound der Rasierapparate unterlegt wird.
Ali eröffnete seine Coiffure vor 15 Jahren, mit drei Stühlen. «Heute sind es acht», sagt er stolz, während ich mir den Schnauz stutzen und die Augenbrauen zupfen lasse. Für 14 Franken.
Auch wenn die Konkurrenz ennet der Grenze noch günstiger ist: Sein Laden brummt. Er hat sich einen Namen gemacht und zählt auf Stammkundschaft, die auch von Sissach anreist.
Die Statistik zeigt, dass die Türken, die in der Klybeckstrasse leben, weniger verdienen als noch vor zehn Jahren. Das lässt sich auch damit erklären, dass einige weggezogen sind. Heute wohnen mehr Deutsche als Türken an der Strasse. Auch Ali Pesen aus der Südtürkei lebt nicht mehr hier, im Kleinbasel. «Ich wohne im Neubad», sagt er. Er ist im Mittelstand angekommen.
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