EM in Frankreich: Angst in den Rängen

Zehn Millionen Zuschauer werden an der Fussball-Europameisterschaft in Frankreich erwartet. Doch nun denken die Organisatoren über Geisterspiele ohne Publikum und die Auflösung der Fanmeilen nach.

Nur eine Übung: In Nîmes simulierten die französische Polizei und das Militär einen chemischen Angriff durch Terroristen.

(Bild: Keystone/Guillaume Horcajuelo)

Zehn Millionen Zuschauer werden an der Fussball-Europameisterschaft in Frankreich erwartet. Doch nun denken die Organisatoren über Geisterspiele ohne Publikum und die Auflösung der Fanmeilen nach.

Es waren wirklich nur Details, die nicht klappten. Eine Entgiftungs-Dusche klemmte zuerst, und einzelnen Helfern lief die Gasmaskenscheibe innen an. Doch genau wegen solcher Problemchen wurde die Notfallübung im Stadion der südfranzösischen Stadt Nîmes ja veranstaltet.

Die Aufgabe lautete: Ein Terrorist zündet in den Tribünen eine Bombe, die auch noch chemische Dämpfe freisetzt. Die 1200 Polizeischüler, die ausgelassene, bunt bemalte Fussballfans spielten, sowie die echten Gendarmen, Helfer und Krankenhäuser versuchten die Bedrohungslage so real wie möglich nachzustellen. Dasselbe geschieht bei 75 Notfallübungen, die im Hinblick auf die Fussball-Europameisterschaft vom 10. Juni bis 10. Juli in Frankreich organisiert werden.

In Frankreich erinnert man sich an den 13. November 2015  

In zehn Stadien von Marseille bis Lille, von Bordeaux bis Lyon und Paris bis Nizza finden insgesamt 51 Spiele statt. 2,5 Millionen Sitzplätze werden angeboten, die meisten Karten sind verkauft. Dazu kommen in jeder EM-Stadt Fanmeilen, die bis zum Ende des Turniers rund sieben Millionen Besucher anziehen dürften. Macht insgesamt fast zehn Millionen Gäste.

Nach den Brüsseler Anschlägen fragen sich aber viele, ob sie dem Fussballfest noch beiwohnen wollen. In Paris denkt man wieder an das Freundschaftsspiel Frankreich-Deutschland vom 13. November 2015 – jenes Tages also, an dem an der Seine die mörderischen Terroranschläge (130 Tote, rund 300 Verletzte) stattfanden. Die Gäste des Spiels reagierten damals besonnen, verliessen ruhig das Stade de France, nachdem draussen drei Bomben hochgegangen waren. Doch was, wenn ein Anschlag im Stadion stattfindet? Oder in der Fanmeile?

Eine Absage der EM käme einer Niederlage gleich

Ein solches Szenario mochten sich die meisten gar nicht erst vorstellen. Und die Organisatoren reden nicht gerne darüber. Den möglichen Vorbeugungsmassnahmen müssen sie sich trotzdem stellen. Sogar das Undenkbare wird diskutiert – eine Absage der EM. Für Frankreich, das sich darauf seit Jahren vorbereitet und mehrere neue Stadien gebaut hat, kommt das derzeit aber nicht in Frage. «Das wäre eine Niederlage, ein Sieg für die Terroristen», erklärte Premierminister Manuel Valls am Mittwoch. Auch Sport-Staatssekretär Thierry Braillard erklärte: «Die EM zu annullieren oder zu vertagen, hiesse, diesen Feiglingen recht zu geben.»

In den Bereich des Möglichen rücken hingegen weniger radikale Einschnitte, wie es sie an solchen Meisterschaften noch nie gegeben hatte. Noch Anfang März hatte EM-Cheforganisator Jacques Lambert erklärte, für ihn käme die Option, bedrohte Spiele vor leeren Rängen stattfinden zu lassen, nicht in Betracht. Nun relativiert allerdings Uefa-Vize Giancarlo Abete, das Risiko solcher Geisterpartien bestehe nun einmal bei so gedrängten Turnieren. Die Absage eines Spiels – wie etwa Deutschland-Niederlage im November in Hannover nach einer anonymen Sprengstoffdrohung – ist deshalb technisch unmöglich. Eine Geisterpartie vor verschlossenen Türen liesse sich zumindest denken.

Metalledetektoren und Minensuchgeräte in den Stadien

Auf der Strecke bliebe der Sportsgeist. «Wir sind entschlossen, diesem grossen Ereignis seinen volksnahen und geselligen Charakter zu bewahren», erklärte Ex-Premierminister Alain Juppé, der den Verband der zehn Austragungsorte leitet, am Dienstag bei einem Sicherheitstreffen. «Die Herausforderung ist gross, die Bedrohung maximal, aber wir werden der Angst nie weichen.»

Noch unsicherer ist, ob die Fanmeilen mit 10 000 bis 100 000 Stehplätzen an allen Austragungsorten oder bei allen Spielen zugelassen werden. Bei dem Sicherheitstreffen am Dienstag wurde dem Vernehmen nach beschlossen, alle Besucher der Fanmeilen körperlich abzutasten und wenn möglich sogar durch Metalldetektoren schreiten zu lassen; Videokameras und Minensuchgeräte sollen das stadionähnliche Dispositiv ergänzen.

Der konservative Abgeordnete Eric Ciotti hält einen solchen Aufwand aber für unangemessen. Das Sicherheitspersonal werde im aktuellen Antiterrordispositiv Vigipirate gebraucht, das im ganzen Land von Bahnhöfen über Flughäfen bis zu Konzertsälen in Kraft ist, meinte er, um in aller Klarheit zu twittern: «Ich denke, man sollte diese Fanmeilen unterbinden.» 

Sportminister Patrick Kanner ist allerdings dagegen. «Kein Sportereignis dieses Ausmasses wurde in Frankreich jemals so stark geschützt wie die EM», meinte er.

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