Im Interview erklärt der Basler SVP-Präsident Sebastian Frehner, wie man eine Kriminalitätsstatistik lesen muss. Gleichzeitig relativiert er die Zahlen: Das subjektive Sicherheitsempfinden sei objektiver als die objektive Sicherheit. Zudem verrät er, warum seine Partei ein Nachwuchsproblem hat und aus ihm selber doch noch etwas geworden ist.
Basel werde immer gefährlicher, sagt die SVP. Warum? Im Jahr 2010 hat die Kriminalität in Basel abgenommen. Und seither ist keine neue Kriminalstatistik veröffentlicht worden.
Bei den Statistiken muss man eben ganz genau hinschauen. Die Zahlen der überführten Kiffer zum Beispiel oder der Velos, die wegen einer fehlenden Klingel angehalten werden, haben mit Sicherheit nichts zu tun. Auch Vermögensdelikte spielen in dieser Hinsicht keine Rolle. Entscheidend sind die Gewaltdelikte. Und die werden immer mehr.
Wie kommen Sie darauf?
Wegen genau der Kriminalstatistik, die Sie angesprochen haben. Jener von 2010. In diesem Jahr hat die Zahl der Körperverletzungen zugenommen.
Die leichten Körperverletzungen haben zugenommen, die schweren aber abgenommen. Das hat die SVP in ihren Wahlunterlagen verschwiegen.
Unsinn. Wir verschliessen unsere Augen vor nichts und niemandem. Darum sagen wir: Insgesamt nimmt die Gewalt laufend zu. Die Zahl der leichten Körperverletzungen übertrifft die der schweren bei weitem. Diese ständige Zunahme kann man nicht mehr länger einfach so hinnehmen. Dafür haben all diese Raubüberfälle und Schlägereien im öffentlichen Raum schon eine viel zu grosse Dimension angenommen.
Seit 2004 ist der Trend bei den Körperverletzungen laut Statistik der Basler Staatsanwaltschaft eher rückläufig, 2010 war die Zahl aller Delikte gegen Leib und Leben ebenfalls etwa gleich gross wie im Jahr zuvor. Sie reden einfach immer nur von den Delikten, die in Ihr Konzept passen.
Wir blenden überhaupt nichts aus. Selbstverständlich gibt es immer wieder Schwankungen und gegenläufige Tendenzen. Beim Start unseres Abstimmungskampfes haben wir ja auch die positiven Ausnahmen erwähnt – die Zahl der Vergewaltigungen etwa, die 2010 im Vergleich zum Vorjahr abgenommen hat. Gleichzeitig haben aber beispielsweise die einfache Körperverletzung und die Raubdelikte deutlich zugenommen. Unbestritten ist auch, dass sich die Zahl der Anzeigen zwischen 1970 und 2000 fast verdoppelt hat.
Das ist korrekt, die Zunahme lag bei rund 75 Prozent. Sie behaupten aber auch, dass sich der Trend in den vergangenen Jahren fortgesetzt hat. Darum wirft man Ihnen Stimmungsmache vor.
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Fakt ist, dass es in dieser Stadt viele Menschen gibt, die Angst haben, auf die Strasse zu gehen, weil sie selber schon verprügelt worden sind oder der Nachbar ausgeraubt worden ist. Diese Ängste nehmen wir selbstverständlich ernst. Ganz anders als Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass und mit ihm die Regierung, die immer nur so tut, als würde Basel immer sicherer.
In Basel werden im Verhältnis zur Einwohnerzahl tatsächlich deutlich weniger Delikte verübt als in Bern, Zürich oder Genf.
Ein Vergleich zwischen den verschiedenen Städten ist nur bedingt sinnvoll. Entscheidend ist, dass das Sicherheitsempfinden in Basel laufend abnimmt.
Sie machen den Menschen ja auch Angst.
Nein, wir sagen nur, was Sache ist. Und die Leute sehen die Probleme auch selber. Nur die Regierung und die anderen Parteien schauten zumindest bis vor Kurzem einfach weg.
Umso dankbarerer ist das Thema Gewalt für die SVP. Damit können Sie Emotionen wecken und bewirtschaften.
Sicherheit ist eine zentrale Aufgabe des Staates. Das nehmen wir auch sehr ernst,
Das übrige Basel nimmt diese zentrale Aufgabe Ihres Erachtens nicht mehr wahr?
Bis zu einem gewissen Grad schon noch. Es ist auch richtig, dass die Regierung sagt, Basel sei im Vergleich zu anderen Städten in der Welt noch einigermassen sicher. Gleichzeitig müsste sie aber auch auf die Sorgen der Menschen eingehen und auf die offensichtlichen Probleme reagieren. Jedes Delikt ist eines zuviel!
Die Regierung hat reagiert und angekündigt, 45 neue Polizisten einzustellen.
Wir fordern schon seit Jahren eine Aufstockung – und nichts ist passiert, bis kurz vor der Abstimmung. Konkret wurden bisher 15 bewilligt. Das ist doch schon ein erster, kleiner Erfolg für uns – und ein Beleg für die Hilflosigkeit der Regierung und der anderen Parteien.
Das ist doch perfekt für die SVP. Man hat ihr bei diesem Thema das Feld überlassen.
Wenn Sie wollen, können Sie das so sagen. Alle buhlen um die Gunst der Bevölkerung und wir kümmern uns wirklich um sie. Mit der Sicherheit haben wir ein Thema angesprochen, das den Leuten wichtig ist. Darum sind wir auch erfolgreich.
Mit Ihrer Initiative verlangen sie nicht nur mehr Polizei. Sie fordern auch viel häufigere Patrouillen in den Quartieren. Damit nehmen sie den Einsatzkräften Flexibilität – die Voraussetzung erfolgreicher Polizeiarbeit.
Was heisst schon Quartiere? Basel besteht nur aus Quartieren. Darum können die Polizisten auch nach Annahme unserer Initiative dort eingesetzt werden, wo sie nötig sind. Entscheidend ist, dass es endlich mehr Polizisten auf den Strassen hat.
Dann hätten Sie ja auch einfach mehr Polizisten fordern können.
Das ist rechtlich nicht möglich. Personal-Aufstockungen sind Sache der Regierung.
Jedenfalls haben Sie ihr eigentliches Ziel bereits erreicht: ein grösseres Polizeikorps. Warum muss Basel nun überhaupt noch über die Sicherheitsinitiative abstimmen?
Bis jetzt sind nur 15 zusätzliche Stellen bewilligt worden. Ob die weiteren 30 Stellen, die uns die Regierung versprochen hat, auch tatsächlich geschaffen werden, ist fraglich, wenn die Sicherheitsinitiative abgelehnt wird.
Sie glauben nicht, dass die Regierung zu ihrem Wort stehen wird?
Wir trauen der Regierung eher noch als den anderen Parteien. Nach einem Nein zu unserer Initiative ist es nicht sicher, dass die zusätzlichen 30 Stellen vom Grossen Rat bewilligt werden.
Bedeutet mehr Polizei eigentlich automatisch mehr Sicherheit?
Eine interessante Frage. Die Zahlen zur objektiven Sicherheit werden sich nach einer personellen Aufstockung vielleicht sogar noch verschlechtern, weil mehr Polizisten eben auch mehr Delikte aufdecken werden. Darum ist das subjektive Sicherheitsempfinden meines Erachtens auch objektiver als die objektive Sicherheit.
Ein Grund für nächtliche Scherereien sei das heutige Ausgehverhalten, sagen mehrere Polizisten, mit denen wir geredet haben. Rund um die Uhr werde gefeiert, getrunken, gepöbelt und manchmal auch zugeschlagen. Wollen Sie auch dagegen etwas unternehmen? Mit einer Streichung der ÖV-Spätkurse zum Beispiel? Oder einem Verbot für den nächtlichen Verkauf von günstigem Alkohol?
Für die Polizei sind die lauen Sommernächte, in denen viel Alkohol fliessen, tatsächlich die schlimmsten. Aus liberaler Sicht bin ich dennoch gegen weitere Verbote. Ich halte es für falsch, dass alle nachts nicht mehr in Shops einkaufen können oder sogar daheim bleiben müssen, nur weil es ein paar Leute gibt, die mit den Freiheiten nicht umgehen können und immer wieder Ärger machen. Diese Straftäter muss man hart verfolgen – und nicht die Allgemeinheit bestrafen. Im Joggeli rege ich mich auch grausam auf, dass ich dort kein richtiges Bier mehr trinken kann, nur weil es ein paar Chaoten gibt, die keinen Alkohol vertragen.
Von verschiedener Seite wird immer wieder betont, Gewalt sei ein soziales Problem. Sehen Sie das auch so oder würden Sie eher von einem Ausländerproblem reden?
Je tiefer die soziale Schicht und je schlechter die Aussicht auf ein erfülltes Leben, desto grösser ist die Gefahr zu delinquieren. Insofern sehe ich Gewalt auch als soziales Problem. Es ist allerdings so, dass Ausländer häufiger dieses Problem haben. Allerdings muss man auch da differenzieren. Ein tunesischer Asylbewerber, der wenig Bildung und keine Aussicht auf einen Job bei uns hat, ist sicher anfälliger, eine Straftat zu begehen, als ein Starforscher aus Amerika, der in Basel für die Novartis arbeitet.
Welche Lösungsansätze sehen Sie gegen diese Problematik?
Viele. Das Schengener-Abkommen ist eine Katastrophe, unser Integrationskonzept ist eine Katastrophe und unser Schulsystem ist eine Katastrophe.
Sie sind auch ein Produkt dieses angeblich so katastrophalen Schulsystems.
Ich habe mich irgendwie ins Gymnasium gemogelt und bin dann meinen Weg gegangen.
Bis in den Nationalrat. So schlecht ist das doch gar nicht.
Das Gymnasium ist in Ordnung. Aber die anderen Schulen! Darum ist es für die Abgänger aus Basel auch so schwierig, eine Lehrstelle zu finden.
Darum gibt es jetzt auch eine Schulreform. Ausgerechnet Ihre Partei hat sich aber gegen Harmos gewehrt.
Was sollten wir auch sagen? Wir hatten nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zwischen einem schlechten Schulsystem und einer schlechten Reform.
Zum Schengener Abkommen: Die Schweizer Wirtschaft will einen offenen Markt und einen freien Zugang für Spitzenkräfte aus anderen Ländern. Dann müssten eigentlich auch Sie als Wirtschaftsvertreter mit den offenen Grenzen einverstanden sein.
Das Schengener Abkommen hat nicht direkt mit Personenfreizügigkeit zu tun. Die Wirtschaft will natürlich Personenfreizügigkeit. Ich bin aber nicht nur ein Wirtschaftsvertreter, sondern auch ein Partei- und Volksvertreter. Man muss solche Dinge aus einer gesamtgesellschaftlichen Sicht anschauen. Und die Freizügigkeit bringt neben vielen Vorteilen eben auch Nachteile mit sich.
Die SVP hat Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass (FDP) scharf kritisiert, weil er gesagt hat, in Zürich würde auch im Vergleich zur Einwohnerzahl sehr viel mehr Verbrechen verübt als in der Grenzstadt Basel, trotzdem würden dort auch absolut gesehen weniger Delikte kommuniziert als hier von der Staatsanwaltschaft. Warum die Aufregung?
Hanspeter Gass macht generell eine schlechte Falle in Sachen Sicherheit. Er behauptet immer, Basel sei sicher. Nun haben ihn die Zahlen aber mehrfach widerlegt. Dass es Herr Gass nicht passt, wenn die Staatsanwaltschaft die Delikte so kommuniziert, wie das Gesetz es vorschreibt, sagt schon alles.
Das behaupten Sie, dass die Delikte zunehmen.
Was die meisten Gewaltdelikte anbelangt, ist Basel unsicherer geworden. Das ist eine Tatsache. Nun versucht Gass der Staatsanwaltschaft und den Medien die Schuld an der zunehmenden Unsicherheit zu geben. Das ist unfair.
Man darf doch noch fragen, welche Auswirkungen der Umgang mit den Zahlen und die mediale Aufbereitung für eine Auswirkung auf das allgemeine Sicherheitsempfinden haben.
Die Staatsanwaltschaft ist unabhängig. Sie muss die Delikte so kommunizieren können, wie sie es für richtig hält. Das akzeptiert der Sicherheitsdirektor aber nicht. Darum will er ja auch anstelle der Staatsanwaltschaft die Kriminalitätsstatistik präsentieren.
In den anderen Kantonen wird die Statistik ebenfalls vom Polizeivorsteher präsentiert – ohne dass sich irgendjemand darüber aufregen würde.
Für das Kompetenzgerangel in Basel gibt es nur zwei Gründe. Entweder ist das Ganze ein Hahnenkampf. Oder ein Versuch von Gass, die Statistik zu beschönigen. Diese Gefahr muss gebannt werden.
Ist es nicht etwas abenteuerlich, auf die Idee kommen, ein Sicherheitsdirektor könnte die Zahlen verfälschen?
Dann kann er die Präsentation auch weiterhin der Staatsanwaltschaft überlassen. Dieses System hat sich in Basel gut bewährt.
Zu den Neuwahlen im Herbst tritt Gass ohnehin nicht mehr an. Dafür ist ein anderer FDP-Kandidat bereits bekannt: Baschi Dürr. Wäre er ein guter Sicherheitsdirektor?
Ich sehe ihn in allen Departementen, nur nicht unbedingt in diesem, weil er das Sicherheitsproblem ebenfalls negiert. Hinzu kommt, dass er in der Finanz- und Wirtschaftspolitik eine liberale Haltung vertritt, in Ausländerfragen und gesellschaftlichen Fragen aber eher links ist. Am besten wäre Baschi Dürr für mich als Regierungspräsident oder als Finanzdirektor.
Wird die SVP ebenfalls einen Kandidaten fürs Präsidium stellen?
Das ist gut möglich, ja.
Wirklich eine Chance auf einen Erfolg haben Sie allerdings nicht.
Es wird generell nicht einfach, die linke Vormacht zu durchbrechen. Das gelingt nur, wenn die bürgerlichen Parteien konsequent zusammenarbeiten. Leider gibt es in den anderen Parteien aber immer noch häufig einen Reflex gegen uns.
Das hängt möglicherweise auch mit Christoph Blocher zusammen, der umstrittenen Überfigur der Schweizer SVP. Auch in den vergangenen Monaten hat er nicht unbedingt eine gute Figur gemacht. Im ganzen Wirbel um die Basler Zeitung und danach um die Nationalbank wurde Blocher wiederholt als Lügner entlarvt.
In der Affäre Hildebrand hat Blocher nicht viel falsch gemacht. Er wollte eine Lösung, keine Schlammschlacht. Darum ging er auch zum Bundesrat und nicht gleich zur Presse.
Und all diese Lügen stören Sie nicht?
Wie gesagt, Blocher hat in dieser Angelegenheit vieles richtig gemacht. Eventuell wäre es der Sache dienlich gewesen, wenn er sich manchmal etwas zurück gehalten hätte.
Wäre es in der SVP nicht endlich Zeit für neue Leute?
Junge und halbjunge Parteimitglieder wie ich haben schon mehrfach gesagt, dass es bei uns einen Generationenwechsel braucht. Leider haben wir es versäumt, die Nachwuchsförderung mit der nötigen Priorisierung zu behandeln. Das ist aber nur die eine Seite des Problems. Die andere ist, dass sich die Jungen wahrscheinlich auch allzu lange hinter den Parteigrössen versteckt haben.
Welche Rolle möchten denn Sie in der Schweizer SVP spielen?
Ich bin noch nicht lange im Nationalrat und muss nun erst meine Sporen abverdienen. Dann wird auch mein Einfluss zunehmen.
Als Basler haben Sie aber nicht unbedingt eine gute Ausgangslage in der Partei, die von Zürchern dominiert wird?
Das werden wir ja sehen. Ich will jetzt erst einmal meine Leistung zeigen. Alles weitere kann ich nicht beeinflussen, das sollte sich von alleine ergeben.