Erdogan wirbt mit ökonomischer Zeitbombe

Der Boom am Bosporus kühlt sich ab. Nach einem Jahrzehnt des Wirtschaftswunders wird in der Türkei für dieses Jahr nur noch ein Wachstum von 2,3 Prozent erwartet – zu wenig für ein Schwellenland.

Wachmänner patrouillieren vor einem Wahlplakat des türkischen Präsidentschaftskandidaten Tayyip Erdogan. Der Slogan lautet «Nationale Willensstärke, Nationale Kraft». (Bild: MURAD SEZER)

Der Boom am Bosporus kühlt sich ab. Nach einem Jahrzehnt des Wirtschaftswunders wird in der Türkei für dieses Jahr nur noch ein Wachstum von 2,3 Prozent erwartet – zu wenig für ein Schwellenland.

Bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl will der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan, wie schon bei den Kommunalwalen Ende März, erneut seinen grössten Trumpf ausspielen: das türkische Wirtschaftswunder. In seinen elfeinhalb Regierungsjahren hat die Türkei einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der in der Geschichte der modernen Republik ohne Beispiel ist.

Das statistische Pro-Kopf-Einkommen hat sich fast verdreifacht. Die Realeinkommen sind um nahezu 50 Prozent gewachsen. Das Wirtschaftswachstum erreichte im Schnitt der vergangenen zehn Jahre rund sechs Prozent. 2010 und 2011 lag die Türkei beim Wachstum sogar mit China an der Weltspitze. Das Land rückte in der Rangliste der weltgrössten Wirtschaftsnationen auf einen beachtlichen 17. Rang vor. Bis 2023, wenn sich die Gründung der Republik zum 100. Mal jährt, will Erdogan sein Land unter die zehn grössten Wirtschaftsnationen führen.

Private Verschuldung hat sich verfünffacht

Aber inzwischen hat sich der Boom am Bosporus merklich abgekühlt. Die türkische Wirtschaft läuft nicht mehr rund, sie stottert. In diesem Jahr wird die Wirtschaft voraussichtlich nur um 2,3 Prozent wachsen. Das ist zu wenig für ein Schwellenland. In den vergangenen zehn Jahren profitierte die Türkei vor allem vom Zustrom ausländischen Risikokapitals. Rund 400 Milliarden Dollar flossen ins Land. Die Banken schwammen in Liquidität und gaben bereitwillig Kredite. So wurde der private Konsum angekurbelt – mit der Folge, dass sich die Verschuldung der türkischen Privathaushalte seit 2004 inflationsbereinigt fast verfünffacht hat.

Die hohe private Verschuldung ist eine Zeitbombe. Denn seit sich in den USA ein Ende der ultra-lockeren Geldpolitik abzeichnet, ziehen viele Investoren ihre Gelder aus Schwellenmärkten wie der Türkei ab. Dadurch treten nun die vom Boom der vergangenen Jahre überdeckten Strukturschwächen der türkischen Wirtschaft zutage: Eine geringe Produktivität, wenig Innovationskraft, hohe Importabhängigkeit und Exportschwächen, die zu einem chronisch hohen Leistungsbilanzdefizit führen.

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