Es brodelt unter Basels Türken

Türkische Minderheiten gehen in Basel auf die Strasse und protestieren gegen Ministerpräsident Erdogan. Seine Anhänger haben dafür kein Verständnis. Was sich abzeichnet, ist eine geteilte türkische Bevölkerung – nicht nur in der Türkei, sondern auch in der Schweiz.

Die Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland spaltet auch die türkische Bevölkerung in der Schweiz. (Bild: Anthony Bertschi)

Türkische Minderheiten gehen in Basel auf die Strasse und protestieren gegen Ministerpräsident Erdogan. Seine Anhänger haben dafür kein Verständnis. Was sich abzeichnet, ist eine geteilte türkische Bevölkerung – nicht nur in der Türkei, sondern auch in der Schweiz.

Im Café Istanbul in Kleinhüningen sitzt eine Gruppe von Männern beim Kartenspiel. Über ihren Köpfen flimmert der Fernseher: Zu sehen sind Bilder einer Kundgebung in Ankara. Tausende von Erdogan-Anhängern halten wedelnd rote Landesfahnen in die Luft. Hinter dem Bartresen steht ein ­Café-Mitarbeiter. Am vergangenen Wochenende haben einige Gäste über die Demonstrationen gestritten, erzählt er. Im Lokal wolle er aber keine politischen Diskussionen, weshalb er die Männer auf die Strasse stellte.

Er selber habe eine klare politische Meinung: «Wie Erdogan handelt, ist richtig. Er hat recht, dass er die Demon­strationen bekämpft.» Die Bilder und Berichte aus Istanbul spalten auch die türkische Gemeinschaft in der Schweiz. Es sind viele Vertreter von Minderheiten, die schweizweit auf die Strasse gehen: Aleviten, Kurden und türkische Christen. Alleine in Basel gab es seit Ausbruch der Demonstrationen fünf Kundgebungen, an denen sich meh­rere Hundert Menschen versammelten.

Alte Konflikte werden verstärkt

Eine der Aktivistinnen ist Gülten Akgünlü, eine Studentin aus Basel mit alevitischen Wurzeln. «Viele der Demonstranten in der Schweiz sind früher bereits durch die Regierung unterdrückt und verfolgt worden.» Wer sich in Basel auf die Suche nach Erdogan-Kritikern begibt, landet rasch im Umfeld der alevitischen Gemeinschaft. Diese ist gut organisiert und gesellschaftlich stark engagiert. Zu dieser Gemeinschaft gehört auch Derya Sahin. «Ich habe mich noch nie so patriotisch gefühlt wie während den letzten beiden Wochen», sagt die Studentin (siehe Porträt).

Auf der politisch konservativen Seite stehen die Nationalisten, darunter viele türkische Sunniten. Sie halten traditionell der Regierungspartei AKP und dem türkischen Ministerpräsidenten die Treue – auch hier in der Schweiz. Gegner und Befürworter von Erdogans Politik beschuldigen sich gegenseitig, die Stimmung anzuheizen.

Per Facebook und Twitter halten sich viele Türken in der Schweiz auf dem Laufenden.

Doch die politischen Gräben könnten sich auflösen, meint Gülten Akgünlü. «Immer mehr Nationalisten und Regierungstreue in der Schweiz bemerken, dass sie von der Regierung jahrelang betrogen wurden.» Per Facebook und Twitter halten sich viele Türken auch in der Schweiz auf dem Laufenden. Aber nicht alle wollen glauben, was Zeitungen, Fernsehsender und soziale Netzwerke verbreiten. «Die Medien manipulieren die Gesellschaft. Die Bilder von der Polizeigewalt entsprechen nicht den Tatsachen», sagt Süleymann Kardioglu, ein Unterstützer Erdogans (siehe Porträt).

Für die türkisch-schweizerischen Regierungsgegner ist klar: Alleine haben ihre Landsleute kaum eine Chance auf Erfolg. Nur ausländischer Druck könne Erdogan zu Zugeständnissen zwingen. Und dafür wollen sie weiterhin auf die Strasse gehen. Ob Erdogan zurücktreten soll oder ob ­politische Konzessionen ausreichen, darüber gehen auch bei seinen Kritikern die Meinungen auseinander.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.06.13

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