Es geht vor allem gegen Sommarugas Pläne

Die Verschärfungen des Asylgesetzes sind ein Störmanöver. Sie sollen echte Verbesserungen blockieren: Simonettas Sommarugas grundlegende Verfahrensreform könnte jenen Erfolg zeitigen, den die SVP einer Linken nicht zugestehen will.

(Bild: Quelle: BfM)

Die Verschärfungen des Asylgesetzes sind ein Störmanöver. Sie sollen echte Verbesserungen blockieren: Simonettas Sommarugas grundlegende Verfahrensreform könnte jenen Erfolg zeitigen, den die SVP einer Linken nicht zugestehen will.

«Ich bin schon lange im Flüchtlingswesen tätig», sagt Beat Meiner. «Aber dass Asylbewerber Bäckereien und Metzgereien ausnehmen – auf der Suche nach Brot und Fleisch, nicht nach Geld – das ist neu.»

Solche Vorkommnisse könnten sich häufen, fürchtet Meiner, Geschäftsführer der Schweizerischen Flüchtlingshilfe: Wenn der Ständerat den nationalrätlichen Verschärfungen des Asylgesetzes zustimmt.

Dabei sind die Asylzahlen seit den 90er-Jahren deutlich gesunken. Weshalb also gelingt es der SVP im Jahr 2012, uralte Forderungen durchzubringen – und welche Ziele verfolgt sie damit? «Es ist nichts anderes als eine politische Strategie, um die von Bundesrätin Sommaruga geplante Neugestaltung des Asylwesens zu blockieren», sagt Meiner. Weil sie erfolgversprechend ist und nicht sein kann, was nicht sein darf: dass eine linke Magistratin fertigbringt, was ihrem SVP-Vorvorgänger, Christoph ­Blocher, nicht eingefallen und ihrer Ex-SVP-Vorgängerin, Eveline Widmer-Schlumpf, nicht gelungen ist.

Provoziertes Referendum als Prellbock

Wie das Störmanöver funktioniert? «Wenn der Ständerat die Beschlüsse stützt und jemand das Referendum ergriffe, wären Sommarugas Pläne auf Jahre hinaus blockiert.» Kein Wunder, machen Gegner wie SP-Fraktionspräsident Andy Tschümperlin trotz höch­s­ter Entrüstung um Fragen nach einem Referendum einen weiten Bogen.

Sommarugas Plan wird im Winter ins Parlament kommen. Nach holländischem Modell soll das viel zu langfädige Asylverfahren von derzeit bis zu 1400 Tagen auf ein paar Monate verkürzt, die Antragssteller sollen bis zum definitiven Entscheid in zentralen Unterkünften einquartiert und so lange vom Arbeitsmarkt und dem Kontakt mit der Bevölkerung ferngehalten werden.

«Das System wäre nicht nur schnell und effizient. Es würde auch Arbeitsmigranten, die derzeit versuchen, über das Asylverfahren in die Schweiz zu gelangen, nach anderen Wegen suchen lassen.» Es wäre, anders gesagt, das gerechteste und zugleich das für Arbeit statt Asyl suchende Menschen «abschreckendste» System.

Das ist unbestritten: Von links bis ganz rechts verlangt die Politik seit Jahrzehnten eine Beschleunigung des Asylverfahrens. Aber statt die aufwendige Neuorganisation anzugehen, hat selbst Christoph Blocher als Bundesrat das Gegenteil bewirkt: Mit dem Papierlosenbeschluss, wonach auf Asylgesuche von Personen ohne Ausweispapiere nicht eingetreten wird, hat er eine «zusätzliche nutzlose Rekursschleife eingeführt, die das Verfahren verlängert», wie Meiner erklärt: Schutz vor Verfolgung durch den eigenen Staat ist ein Menschenrecht, und «die wenigsten Regierungen, die ihre Bürger verfolgen, stellen ihnen gültige Reisepapiere für die Flucht aus». Blocher habe aus­serdem mit der verantwortungslosen Halbierung der Asyl-Unterkünfte die derzeitigen akuten Probleme überhaupt erst provoziert.

«Schlepperbanden sind keine SBB»

Dass der «Wettbewerb des Schreckens», wie Meiner die Bemühungen zur «Senkung der Attraktivität» nennt, nichts bringt, dafür gebe es neben Erfahrungswerten längst auch handfeste Beweise. «Die britischen Flüchtlings­behörden haben in einer Studie belegt, dass nur ein Bruchteil der Asylsuchenden, die in Grossbritannien ein Asylgesuch stellen, irgendeine Ahnung vom Verfahren oder gar den Fürsorgeleistungen hat.» Ihren Zielort bestimme nicht der Umstand, wo es ein paar Franken mehr am Tag gebe, sondern wo bereits Angehörige untergekommen seien. Wenn überhaupt ein Zielland bestimmt werden könne: «Denn sehen Sie: Schlepperbanden sind keine SBB.»

Jetzt sei nur zu hoffen, dass die pragmatische Haltung der Kantonsvertreter im Ständerat die populistischen Beschlüsse des Nationalrats über den Haufen werfe. Die Anzeichen sind vorhanden – denn auf Kantone, von denen einige bisher sogar einen Nettogewinn aus den Asylgeldern des Bundes geschlagen hatten, kämen mit der Reduktion auf Nothilfe finanzielle und mit ratlos herumlungernden Asylbewerben massive soziale Probleme zu.

Quellen

Asylstatistik des Bundesamtes für Migration

Studie zur Entscheidung von Asylbewerbern für das Zielland England

Protokoll der Nationalratssitzung vom 13. Juni 2012

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12

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