Der Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich will einen heiklen Bereich klären: die Integration schwieriger und behinderter Kinder in die Regelschule. Er geht dabei einen sehr viel vorsichtigeren Weg als die Bildungsbehörden in der Stadt. Mit Kritik muss aber auch er rechnen.
Bei diesem Geschäft geht es um Grundsätzliches. Das machte der Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich (SP) bei der Präsentation seiner Vorstellungen zum integrativen Unterricht gleich zu Beginn klar: «In unserer Gesellschaft sollen alle ihren Platz und ihre Chancen haben. Das muss auch in der Schule so sein.»
Darum soll auch in allen Baselbieter Schulen künftig das Prinzip gelten: Integration vor Separation. Das heisst: Behinderte und schwierige Kinder sollen möglichst nicht mehr in Klein- und andere Sonderklassen geschickt werden, sondern mit allen anderen zusammen in Integrationsklassen oder ganz gewöhnlichen Regelklassen unterrichtet werden.
Im Grundsatz hat sich das Baselbieter Volk schon längst für dieses System entschieden – im September 2010 mit dem Ja zum Konkordat «Sonderpädagogik». Nun muss aber noch die Umsetzung geregelt werden – mit der Vorlage «betreffend die integrative Schulung an der Volksschule», die Wüthrich und sein Team an diesem Freitag in Liestal vorstellte.
Alle profitieren! Tatsächlich?
Zu Wort kam dabei auch der Liestaler Primarlehrer Samuel Mundwiler, der fast nur Positives zu berichten wusste von seinen Erfahrungen, die er mit behinderten Kindern in einer Integrationsklasse gemacht hat. «Von diesem Modell profitieren alle – auch die Schüler ohne eine Behinderung. Ihre Leistungen werden keinesfalls schlechter», sagte er.
Das sehen allerdings längst nicht alle so. Der Verband des Personals Öffentlicher Dienste (VPOD) warnte bereits vor der Abstimmung vom September 2010 vor «chaotischen Zuständen in der Schule». Und der Lehrerverein Baselland rief sogar schon den «Notstand» aus. Die Integration schwieriger und behinderter Kinder würde einen geregelten Unterricht vollends verunmöglichen. Darum müsse dieser Versuch gestoppt werden.
So viele Sonderschüler wie sonst nirgends
Eine Forderung, die wohl auch jetzt nach Wüthrichs Präsentation und vor der Behandlung im Landrat wieder laut wird. Der Bildungsdirektor und seine Mitarbeitenden Marianne Stöckli und Alberto Schneebeli gaben sich an der Medienorientierung darum alle Mühe, die Vorbehalte als unbegründet darzustellen. Um eine Überforderung zu verhindern, würden die Lehrinnen und Lehrer von Fachkräften unterstützt, versprachen sie. Der Kanton werde dafür genügend Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Baselbieter Schulen würden in dieser Hinsicht – auch im Vergleich zu jenen in anderen Kantonen – gut dotiert sein. Das Ganze sei kein Sparprojekt.
Immer wieder sprach Wüthrich auch von einer «pragmatischen Lösung». «Es geht nicht darum, alle Kinder und Jugendlichen um jeden Preis zu integrieren», sagt er. Darum werde es im Baselbiet auch in Zukunft Sonderschulen und Kleinklassen geben – aber nicht mehr für so viele Kinder und Jugendliche wie in der Vergangenheit. Im Jahr 2010 absolvierten rund neun Prozent der Baselbieter Primar- und acht Prozent der Sekundarschüler ein Sonderangebot – so viele wie in keinem anderen Kanton, wie der Bildungsbericht von 2012 zeigt. Mittel- bis langfristig sollen es im Baselbiet nach den Vorstellungen der Bildungsdirektion noch etwa halb so viele sein.
Damit geht der Landkanton deutlich weniger weit als Basel-Stadt, wo das Erziehungsdepartement daran ist, die Klein- und Sonderklassen weitgehend aufzulösen – was man in Liestal offenbar für übertrieben hält. Wüthrich sagt: «Die Integration sollte kein Dogma sein.»