Die Zeit drängt bis zur Umsetzung der MEI – doch eine gute Lösung ist nicht in Sicht. In diesem Punkt waren sich die Teilnehmer des hochkarätig besetzten Schweiz-EU-Abends des Thinktanks MetroBasel im Basler Rathaus einig.
«Kontingente und Schutzklausel: Ein Eigentor?» – unter diesem Titel lud der Thinktank MetroBasel zu Vorträgen und einer Podiumsdiskussion des wohl brennendsten Themas des Sommers. Entsprechend war der Grossratssaal des Basler Rathauses am Montagabend gut gefüllt, als MetroBasel-Direktorin Regula Ruetz das Publikum und die Redner und Podiumsteilnehmer begrüsste.
Ruetz hiess eine illustre Runde willkommen (mit einem Klick auf die Namen kommen Sie direkt zu einer Zusammenfassung der Voten): Dr. Andreas Schwab (CDU), Europaabgeordneter und Zuständiger für die Beziehungen Schweiz–EU, Martin Naef (SP), Nationalrat des Kantons Zürich und Co-Präsident der Parlamentarischen Gruppe Schweiz–EU (nebs), Christoph Brutschin (SP), Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, Prof. Dr. Rudolf Minsch, Chefökonom Economiesuisse sowie Dr. Stephan Mumenthaler, Chefökonom Novartis.
SVP-Exponenten waren alle unabkömmlich
Einen hohen Vertreter der SVP hätte man ebenfalls gerne auf dem Podium gehabt, sagte Ruetz, und selbstverständlich auch reihenweise angefragt – doch offenbar waren alle unabkömmlich. Dies hat der Qualität des Abends allerdings keinen Abbruch getan. Denn die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative im Februar 2014, deren gleichsam drängende wie problembehaftete Umsetzung, die verbreitete EU-Skepsis sowie die – nicht mehr undenkbare – Kündigung der bilateralen Verträge mit der EU bildeten die Folie, vor der alle Voten des Abends zu verstehen waren.
Regula Ruetz brachte schon in ihrem Begrüssungsreferat prägnant auf den Punkt, worum es geht und wie viel auf dem Spiel steht: Nach dem MEI-«Zufallsentscheid» vom 9. Februar 2014 (50,3 Prozent Ja), der die ausländischen Fachkräfte explizit mitmeint, pressiere es nun – die Umsetzung muss bis im Februar 2017 vorliegen. Sollte sich das Parlament nicht einig werden, wird der Bundesrat die einseitige Umsetzung beschliessen.
«Von der Zuwanderung hängt die Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung der ganzen Region ab.»
Für die Arbeitgeber der rund 65’000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger der Region bedeute das: Aufwendige Bewilligungsverfahren, grosse Unsicherheiten. Egal für welches Modell der MEI-Umsetzung sich der Bund entscheide: Mit der Personenfreizügigkeit sei keines der Modelle kompatibel, die bilateralen Verträge demnach akut gefährdet.
Die wirtschaftliche Bedrohung, auch vom Seco vorgerechnet, sei «keine Angstmacherei», sagte Ruetz, man sehe das bereits an den Reaktionen der Firmen auf den Brexit. Ruetz mahnte vor möglichen Abwanderungen grosser Firmen, die in andere Regionen mit genügend Fachkräften abwandern würden: «Von der Zuwanderung hängt die Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung der ganzen Region ab.»
Mit viel Widerspruch war anhand der Auswahl der Referenten nicht zu rechnen. Und trotzdem fielen die Voten an diesem Abend dezidiert und differenziert aus.
Die wesentlichen Aussagen zusammengefasst
Martin Naef, SP-Nationalrat ZH, Neue Europäische Bewegung Schweiz (nebs)
Nationalrat und nebs-Co-Präsident Martin Naef bei seinem Referat. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Martin Naef sprach von der dringenden Notwendigkeit einer Grundsatzdebatte statt dem «Ideenbasar, den wir jetzt haben, mit einer neuen lustigen Idee an jedem Sonntag». Kein Wunder könne die EU sagen: «Wir haben Verträge, ihr habt ein Problem.» Er betonte: «Die Personenfreizügigkeit ist eine Bürgerfreiheit, kein Steuerungselement. Sie ist der Kern des Kerns der europäischen Idee.» Man müsse auch das Positive herausstreichen: Egal wer – Schüler, Stundenten, Arbeitnehmer, Unternehmer oder auch Pensionäre – dürfen sich frei bewegen und hingehen, wo sie wollen. Auch die 500’000 Schweizerinnen und Schweizer in der EU, so Naef.
Weiter gab Naef zu bedenken, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU nur bei «gröberen sozialen und ökonomischen Problemsituationen verhandelt werden» könne: «Wenn Sie das den Spaniern erzählen mit ihren 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, dann ist nicht so sicher, ob das gut ankommen wird.» Die Frage, die sich stelle, sei die: «Was ist wohl wichtiger: die Beschränkung der Zuwanderung oder die Rettung der Bilateralen? Diese Frage hat das Volk noch nicht beantwortet.»
Dr. Andreas Schwab, CDU Baden-Württemberg, Europaabgeordneter, Zuständiger für die Beziehungen Schweiz–EU
Der Europaabgeordnete Dr. Andreas Schwab (CDU, Baden-Württemberg), Zuständiger für die Beziehungen Schweiz-EU, bei seinem Vortrag. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Andreas Schwab, gerade aus Strassburg angereist, begann seine Rede mit der Feststellung, dass jeder wisse, dass man am besten zusammenarbeite, wenn man die Eigenheiten und die Souveränität des anderen kenne und respektiere. Doch: «Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.» Der Brexit habe gezeigt, dass Debatten in Mitgliedstaaten ein Eigenleben führten, auf das man keinen Einfluss nehmen kann und sollte. «Ich mische mich nicht ein.» Die Schweiz wisse selbstverständlich selbst, was gut für sie ist.
«Wir wissen aber auch, was gut für uns ist», sagte Schwab. Und dann, deutlich, auf eventuelle einseitige Rosinenpickerei-Versuche der Schweiz bei der Umsetzung der MEI bezogen: «Ein Fokussieren auf die positiven Elemente und ein Ausblenden der negativen Elemente werden wir nicht zulassen.»
Mit «negativen Gefühlen» habe das nichts zu tun: Die EU als Gemeinwesen könne nur funktionieren – genau wie die Schweiz auch –, wenn gewisse allgemeine Regeln eingehalten werden. Ganz klar sei auch: Die Brexit-Abstimmung habe «den Druck einerseits, aber auch die Überzeugung andererseits auf die Europäische Kommission erhöht, die Grundfreiheiten nicht in Frage zu stellen». Als Nachbar hoffe er inständig, dass die Probleme gelöst würden – auch, weil ungelöste Probleme für beide Parteien keine angenehmen Folgen hätten.
Schwab: «In den Schweizer Bergen, da kann man auch noch die Heuernte einfahren, wenn die Brüsseler Einflusssphäre komplett abgeschnitten ist. Aber hier am Rhein, da wirds schwierig. Und deswegen habe ich schon das Ziel, dass die ökonomischen Tatsachen, die heute unser Leben dominieren, nicht ausser Acht gelassen werden.» Natürlich müsse auch die EU besser werden, dort, wo Bürger mehr erwarteten – doch schweirig werde es dann, wenn man Diskussionen «abwürgt, wenn man sich über Grundsatzfragen streitet, das wird Ihnen nicht weiterhelfen».
Man könne schon davon auszugehen, dass die Europäische Kommission zuerst einmal alle anderen Möglichkeiten prüfen würde, die sich vor einer Anwendung der Guillotine-Klausel eignen. «Aber ich glaube, dass Sie sich da nicht täuschen sollten, da die ökonomischen Folgen auch von anderen Massnahmen ähnlich dramatisch sein können», fügte Schwab an.
«Und deswegen geht es aus meiner Sicht heute vor allem darum, dass wir an die Res Publica, an das Salus Publica denken, wie es hier oben steht, das unser höchstes Gesetz sein sollte (Schwab deutete zum Leitspruch des Grossratssaales: «salus publica suprema lex» / «Das Wohl des Volkes ist oberstes Gesetz», Anm. d. Red.) und da glaube ich, sollten Schweizerinnen und Schweizer einerseits und Europäer andererseits einfach mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnen. Die rechtlichen Fragen sollten nicht die tatsächliche Lage überlagern. Die Ausgangslage für die Schweiz ist, trotz aller Probleme von Staaten in der Globalisierung, so gut wie nie zuvor. Sie sind ein grossartiges Land und es wäre schade, wenn Sie sich nun in dieser Sache verheddern würden.»
Prof. Dr. Rudolf Minsch, Chefökonom Economiesuisse
Economiesuisse-Chefökonom Prof. Dr. Rudolf Minsch. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die Economie-Suisse habe vor der MEI gesagt, es werde bei einer Annahme schwierig werden – «nun, nach dem Brexit, wird es noch schwieriger, denn wir können hinten anstehen». An sich, fügte Minsch allerdings an, wäre das gar nicht so schlecht – wäre da nicht die 3-Jahres-Zeitlimite drin. Minsch hofft trotz Zeitdruck immer noch auf eine «pragmatische Umsetzung», denn: «Bei buchstabengetreuer Umsetzung der MEI sehe ich schwarz.»
Christoph Brutschin, Regierungsrat Kanton Basel-Stadt (SP)
Regierungsrat Christoph Brutschin. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Regierungsrat Christoph Brutschin betonte die Wichtigkeit der Zusammenarbeit und der Personenfreizügigkeit für die Region Basel und für «die Zehntausenden Grenzgänger alleine in der Stadt Basel», die unentbehrlich für die Region seien. Er spannte einen historischen Bogen von der EWR-Abstimmungen, die der Schweiz wirtschaftlich zehn verlorene Jahre beschert habe.
Brutschin erinnerte auch daran, dass das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Baden-Württemberg 2015 im Bereich dessen der BRICS-Staaten lag. Er wies den Gast aus Deutschland darauf hin: 80’000 Einwanderer pro Jahr – «das sind hochgerechnet auf Deutschland 800’000. Dass da natürlich Diskussionen losgehen, dafür müssen wir Verständnis aufbringen.»
Dr. Stephan Mumenthaler, Chefökonom Novartis
Novartis Chefökonom Dr. Stephan Mumenthaler: Daumen hoch – aber nicht, wenn das mit den Bilateralen nicht klappt. (Bild: Alexander Preobrajenski)
13’000 Angestellte in der Schweiz, dazu unzählige weitere, die von Novartis im Bereich von Gütern, Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung abhängig seien: Mit dieser Feststellung begann Stephan Mumenthaler seinen Beitrag der Podiumsdiskussion – er musste nicht aussprechen, dass man beim Thema MEI und Bilaterale letztlich um jede einzelne dieser Stellen spricht.
Bei steigender Unsicherheit wäre das Erste, das passieren würde, auch im Unternehmen selbst, ein Zurückhalten von Investitionen, so Mumenthaler. Würde es tatsächlich zu einer Auflösung der Bilateralen kommen, dann wären die Folgen in der Schweiz nicht anders als nun in Vereinigten Königreich nach dem Brexit: Ein Zurückgehen der Investitionen, beziehungsweise eine kontinuierliche Abwanderung von Unternehmen oder einzelner Funktionen – «langsam, aber nicht aufzuhalten», so Mumenthaler.