Exil-Eritreer üben den Widerstand aus der Schweiz

Eritreer in der Schweiz wehren sich gegen das totalitäre Regime ihres Heimatstaates. Ein Höhepunkt dieses Widerstandes war die Demonstration am vergangenen Freitag vor dem Uno-Gebäude.

Die beiden kämpfen gegen die Angst, die das Regime im Ausland verbreitet.

Eritreer in der Schweiz wehren sich gegen das totalitäre Regime ihres Heimatstaates. Ein Höhepunkt dieses Widerstandes war die Demonstration am vergangenen Freitag vor dem Uno-Gebäude.

Tekle Tekie wischt mit dem Zeigefinger über sein Smartphone. Rhythmische Klänge übertönen das Brummen des Motors, einige Passagiere klatschen zum Lied. Die meisten dösen in ihren Sitzen. Wir fahren zusammen mit etwa 50 Eritreern im Reisebus, das Ziel heisst: Place des Nations in Genf.

Tekie schiesst schnell ein paar Fotos und schickt sie an Freunde weiter. «Die Busse aus Schweden sind schon angekommen», sagt Tekie und zeigt mir ein Video von einer Gruppe Eritreern, die aus einem Reisebus aussteigen. Am Freitag fand eine Demonstration in Genf statt, bei der Exil-Eritreer aus ganz Europa gegen das Regime in ihrem Heimatstaat protestierten.

Wunsch nach Freiheit

Wie alle anderen im Reisebus nahm auch Tekie die Flucht aus seinem Heimatland auf sich. Der heute 30-Jährige musste gleich nach dem Grundschulabschluss mit 14 Jahren den Militärdienst absolvieren. «Weitere Schulbildung oder angemessene Bezahlung blieben mir verwehrt», sagt ­Tekie. Sein Wunsch nach mehr Freiheit hat ihn mehr als einmal ins Gefängnis gebracht. Nach sieben Jahren National Service beschloss er zu fliehen. Seine Flucht begann mit einer Reise in den Sudan, danach durch die Sahara nach Libyen und von da aus über das Mittelmeer nach Italien.

Tekie erzählt Geschichten von Schleppern, Wasserknappheit, langen Wartezeiten und dem Tod. «90 Prozent werden den gleichen Weg wie ich gegangen sein», sagt er. Laut der UNO waren 2014 rund 360’000 Eritreer weltweit auf der Flucht. Das zeigt sich auch in der Schweiz: Eritreer machen die grösste Gruppe von Asylsuchenden aus.

Wunsch nach Selbstbestimmung

Die Flucht sei schrecklich gewesen, sagt Tekie. «Doch ich wollte eine Zukunft, ich wollte mein Recht auf Freiheit einfordern.» Im Erstaufnahmeland Italien habe er diese Freiheit vermisst: «Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und die Asylheime sind voll.» Es zog ihn nach Mailand, wo er auf einen alten Bekannten aus Eritrea traf.

Dieser empfahl ihm, ein Zugticket in die Schweiz zu kaufen. «Ich wusste nicht, wo Basel lag, doch ich wollte einfach weg von Italien. Ich kaufte mir ein Zugticket und fuhr los. So landete ich hier», erzählt Tekie. Nur kurz darauf kamen auch seine Frau und seine Tochter aus Eritrea in die Schweiz. Heute leben er, seine Frau und die drei Kinder in Tecknau.

Tekie ist der Schweiz dankbar für das Asyl. Er sei aber frustriert, weil er in Tecknau zur Untätigkeit verdammt sei. «Ich wollte mich weiterbilden, doch das ist mir nicht möglich wegen meiner schlechten Sprachkenntnisse. Aber einen weiteren Deutschkurs kann ich mir nicht leisten», sagt er. Selber zu entscheiden liege nicht drin. Er und die anderen Flüchtlinge müssten einfach die ihnen zugeteilte Arbeit verrichten. Tekie sieht wenig Chancen, sich jemals weiterbilden zu können: «Mit nur einem Grundschulabschluss wird mir das nicht möglich sein.»

Dieses Vorhaben zeige Erfolg: «Wir werden immer mehr. Die Menschen verlieren die Angst und wehren sich», sagt Yaynishet. Der Verein agiert weltweit. Der Hauptsitz ist jedoch in Äthiopien: «Dort werden Rebellentruppen ausgebildet», so Yaynishet.

Die Aktionen der Eritreer in der Schweiz seien bekannt, sagt Tekie. «Isayas fürchtet sich vor uns. Wir bieten ihm die Stirn.» Anfangs habe auch er Angst gehabt, doch das sei vorbei: «Hier in der Schweiz kann er uns nichts anhaben», sagt er.

Wiedersehen im Widerstand

In Genf angekommen, marschieren wir mit denDemonstranten durch die Strassen. Die Leute kommen von überall her: Schweizerische und schwedische Flaggen flattern in der leichten Brise. Auch deutsche, irische und französische Flaggen und der Union Jack, die Flagge Grossbritanniens, sind zu sehen. Aus ganz Europa sind Eritreer nach Genf gepilgert, um ihre Zustimmung zum UNO-Bericht kundzutun.

Tekie hat sich eine Schweizer Flagge um den Hals gebunden. Er entdeckt einen alten Freund, der nun in England lebt, sie umarmen sich. Wenig später sichtet er den nächsten Bekannten – er scheint fast alle, die sich in Genf eingefunden haben, zu kennen. Tekie erklärt: «Ich arbeitete im Komitee unseres Vereins und kümmerte mich um die politische Kommunikation, daher bin ich mit vielen Leuten in Kontakt.»

 

Langsam setzt sich der Demonstrationszug in Richtung des UNO-Gebäudes in Bewegung. Yaynishet und Tekie verschwinden in der Menge und tauchen in gelben Leuchtwesten wieder auf. Sie und andere Freiwillige überwachen den Strom der ­Demonstrierenden, um sicherzustellen, dass alle auf einer Strassenseite bleiben. Diese Aufgabe hält sie nicht davon ab, ­selber die Parolen mitzurufen: «Isayas must go!» und «Free Eritrea, the Dictator must go!».

Manche halten Plakate nach oben, auf denen Todesopfer abgebildet sind. Andere zeigen Politiker und Journalisten, die in Eritrea verschwanden. Auf anderen sind Familienmitglieder zu sehen.

Als alle auf der Place des Nations vor dem UNO-Gebäude eintreffen, ist diese voller bunter Fahnen, Schilder und Demonstranten. Die auf dem Platz installierten Wasserfontänen mussten ausgeschalten werden, damit alle Leute stehen können.

Die Sonne brennt und die Redner beginnen mit ihren Parolen. Sie sprechen ihre Solidarität zur UNO aus und halten eine Schweigeminute für die Opfer des Regimes.

Die Demonstranten senken ihre Köpfe im Gedenken an die Verluste ihrer Landsleute. Manche halten Plakate nach oben, auf denen Todesopfer abgebildet sind. Andere zeigen Politiker und Journalisten, die in Eritrea verschwanden. Auf anderen sind Familienmitglieder zu sehen.

Ein friedlicher Nachmittag

Die Ansprachen halten die Redner auf Tigrinisch, es ist die Landessprache Eri­treas. Vereinzelt sprechen sie auch Englisch. Unter den Rednern sind viele Aktivisten und auch ein Priester. «Er erklärt, dass die Taten des Regimes in Eritrea nicht mit der Moral des christlichen Glauben zu vereinbaren sei», übersetzt Tekie.

Eine Frau verteilt selbst gebackenes Brot und andere Helfer verteilen Wasser­flaschen. Der ganze Nachmittag verläuft friedlich. Nachdem der letzte Redner gesprochen hat, zerstreut sich die Menge: Alle suchen nach ihrer Gruppe und ihrem Bus. Langsam schlendern wir mit Tekie und Yaynishet zum Anfangsort der Demonstration zurück.

Auf dem Nachhauseweg sitzen alle müde in ihren Sitzen. Auf dem kleinen Bildschirm vorne im Bus läuft ein eritreischer Film. «Ein kritischer Film», sagt Tekie. Er thematisiere die Gehirnwäsche, die der ­eritreische Staat durchführe. «Wir wollen Untertitel in vielen verschiedenen Sprachen dazu schreiben. Dann können ihn alle Leute sehen», ergänzt er.

Der Abspann läuft, draussen geht die Sonne langsam unter. «Das war ein guter Tag», sagt Tekie. «Die Eritreer haben die Angst verloren. In der Masse haben wir eine Chance gegen das Regime.» Er verschickt ein letztes Bild mit seinem Smartphone und lehnt sich zurück.

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Schwerpunkt-Thema zu Eritrea in der «Rundschau», 1.7.2015:

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