Fall Yberg: Heimleiter schwindelt mit einem Doktortitel

In der Basler Wegwarte litten Angestellte unter ihrem autoritären Direktor. Die Behörden wussten von den Missständen. Trotzdem wollte man ihm wieder einen Chefposten geben.

Briefkopf des Herrn Heinrich Yberg

In der Basler Wegwarte litten Angestellte unter ihrem autoritären Direktor. Die Behörden wussten von den Missständen. Trotzdem wollte man ihm wieder einen Chefposten geben.

In Münchenstein hatte man sich «aus­serordentlich» gefreut. Das Therapie- und Schulzentrum Münchenstein TSM sollte in eineinhalb Wochen einen neuen Schulleiter bekommen: Der «promovier­te Soziologe» habe die Kompetenzen, das Zentrum für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen «erfolgreich in die Zukunft zu führen», schwärmte Schulratspräsidentin Heidi Spirgi in ihrem Brief an kantonale Fachstellen, Behörden und Partner des TSM. Heinrich Yberg war zuletzt Direktor der Basler Wegwarte, einem Übergangsheim für traumatisierte Frauen und Frauen mit Kindern. Diese habe er gemäss Spirgi «erfolgreich zu einer fortschrittlichen Institution entwickelt».

Doch Yberg wird seinen Job in Münchenstein nicht antreten. Der Grund: Die TagesWoche hat recherchiert, dass sich Yberg in der Basler Wegwarte öfters als «Dr.» Yberg ausgab, obwohl er den Doktortitel nie erlangt hatte. Dies bestätigen mehrere Angestellte, Yberg stritt es ab. Noch Anfang Woche schrieb er der TagesWoche, er habe sich «nie als Doktor bezeichnet und auch nie als Doktor ansprechen lassen». Als die Recherche den Briefkopf mit Professor- und Dok­tortitel zutage förderte, gab Yberg zu, er habe «einen Fehler gemacht» und werde deshalb von seinem Amt in Münchenstein zurücktreten.

Angst vor dem Direktor

Yberg war beim letzten Arbeitsort in der Wegwarte von Beginn weg durch seinen autoritären Führungsstil aufgefallen. Während seiner Amtszeit haben über ein Dutzend Mitarbeiterinnen die Wegwarte verlassen. Die meisten zucken beim Namen Yberg noch Monate später zusammen, kaum eine will sich äussern. «Nach wie vor ist mir die Anonymität wichtig, weil ich grosse Angst vor den Machenschaften des Direktors habe», sagt eine Mitarbeiterin.

Bei der Wegwarte war Yberg zuerst Berater. Im Jahre 2009 steigt er zum ­Direktor auf. Er bombardiert die Angestellten mit teilweise abstrusen Weisungen. Alles wird vorgeschrieben, so­gar die Worte, mit denen Mitarbeite­rinnen das Telefon abnehmen müssen. Einzelne Personen müssen gesiezt werden, was in einem sozialen Betrieb, in dem man per Du ist, eine Ausgrenzung bedeutet. Weil viele Weisungen auf Un­ver­ständ­­nis ­stos­sen, verhängt Yberg ein Kommuni­ka­tions­verbot: Unzufriedenheitsbekundungen ausserhalb des Heims werden als «schwerwiegende Zwischenfälle betrachtet und sind stets mit Sanktionen verbunden».

Der Direktor wird zum Diktator. Yberg wechselt Personal aus, stellt die frühere Chefin kalt und ersetzt sie durch einer jüngere Frau, die kurz darauf wieder geht. Wer aufmuckt, wird zu­sam­mengestaucht. Einer Sozialarbeiterin, die sich nicht weiter tyrannisieren lässt und kündigt, verweigert er das Ar­beits­zeugnis. Er lässt ihr via Anwalt ausrichten, dass sie das Zeugnis erst erhalte, wenn sie eine Stillschweigevereinbarung unterschreiben würde. Er musste zurückkrebsen, weil er sich damit wegen Nötigung strafbar gemacht hätte.

«Wir wunderten uns immer, warum niemand etwas unternahm», sagt eine ehemalige Angestellte, «Behörden und Stiftungsrat waren informiert.» Tatsächlich kannten Institutionen wie die Opferhilfe oder das Frauenhaus Ybergs Führungsstil. Das Basler Arbeitsinspektorat wusste seit 2009 von den Zuständen. Die Präsidentin der Stiftung Wegwarte wurde von mehreren Angestellten informiert. Sie zog keine Konsequenzen.

Der Direktor mischt sich immer mehr in die Arbeit der Sozialarbeiter ein, für die er laut mehreren Angestellten weder Kompetenz noch praktische Erfahrung hatte. «Er hatte eine unprofessionelle Haltung gegenüber traumatisierten und psychisch kranken Menschen», sagt eine Sozial­arbeiterin. Es laufe eine Kam­pagne gegen ihn, sagt Heinrich Yberg. Er habe eine «neue Fallführungssystematik vor dem Hintergrund neuster Erkenntnisse des Ca­se­management-Regel­prozesses in der Wegwarte eingeführt». Er habe zwar keine Praxiserfahrung gehabt, «aber ich bin in der Wegwarte in die Praxis hineingewachsen».

Alte Seilschaften

Als Doktor ausgegeben hatte sich Yberg schon 2008 bei seinem Beratungs­mandat für die Genossenschaft Mensch und Arbeit Basel. Dort erweckte er bei Mitarbeitern sogar den Eindruck, er sei Professor. Auf einem Brief nennt er sich «Prof. Dr. des.» Heinrich Yberg. Bis heute hat er weder Doktor- noch Professorwürden erlangt. Der Stiftungsrat der Wegwarte kündigte Yberg im vergangenen August und stellte ihn frei. Offizieller Grund: «Unterschiedliche Auffassung» über die Ausrichtung der Stiftung. Zusammen mit Yberg trennte sich der Stiftungsrat vom Beratungsbüro Ischer & Spirgi, das von Yberg für die Wegwarte einen Coaching-Auftrag hatte. Mitinhaberin des Büros ist Heidi Spirgi. Sie hat Heinrich Yberg auch als Schulratspräsidentin in Münchenstein willkommen geheissen. Im Baselbiet sagt man in solchen Fällen: Sauhäfeli, Saudeckeli.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11

Korrektur 23.12.: In der gedruckten Ausgabe ist uns beim Bild leider ein Fehler unterlaufen. Anstatt der «Wegwarte» haben wir versehentlich das «TSM» in Münchenstein gezeigt.

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